Interview „Oft sind die am besten gefahren, die nichts gemacht haben“

Nikolaus Graf Kerssenbrock: Consulting-Partner bei der KPMG-Tochter CTG.

Bild: Die Hoffotografen
29.01.2015

Energieversorger positionieren sich neue oder überprüfen ihr Portfolio. Wir sprachen mit einem, der den Wandel kennt: Nikolaus Graf Kerssenbrock ist Consulting-Partner bei CTG, inzwischen eine KPMG-Tochter.

Energy 2.0: Graf Kerssenbrock, wird 2015 das Jahr der großen Entscheidungen in der Energiebranche?

Nikolaus Graf Kerssenbrock: Neben den Energieversorgern werden auch die Stadtwerke mit Herausforderungen zu kämpfen haben. Demzufolge erwarte ich auch eine verstärkte Belastung der öffentlichen Haushalte. Viele Kämmerer bemerken derzeit, dass ihre Erträge aus der kommunalen Energieversorgung zurückgehen, während in den nächsten Jahren zusätzliche Investitionen etwa in Netze oder Smart Grids anstehen. Das führt zu einem Umdenken auch bei gerade rekommunalisierten Unternehmen, denn die Organisation in kommunalen Einheiten bedeutet Synergieverluste in der Ausbildung, der Infrastruktur und auch bei der Marktbearbeitung.

Überheben sich Stadtwerke und Kommunen mit solchen Belastungen?

Ich habe vor allem Zweifel an der volkswirtschaftlichen Sinnhaftigkeit dieser Übung. Ich kann das nachvollziehen, dass aufgrund der Kosten­entwicklung der letzten Jahre viele Kommunen die Kontrolle wieder haben wollen über die eigene Versorgung. Ich denke aber, dass die aus­stehenden Investitionen vielfach in ­ihrem Umfang noch gar nicht klar sind. Jedenfalls wird das Investitionsvolumen ganz erheblich sein. Unklar ist, ob es einen Weg zurück aus der Rekommunalisierung gibt, zurück in die private Wirtschaft, oder ob die Kommunen sich einfach an den Bund wenden werden mit dem Appell: Ihr habt uns die Energiewende verordnet, jetzt müsst ihr uns auch helfen, die Folgen zu tragen.

Solange die politischen Rahmenbedingungen so unklar sind: Welche Unternehmensstrategie hat derzeit denn am ehesten Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg?

Normalerweise erwartet man doch, dass es eine erfolgversprechende Strategie ist, sich frühzeitig mit Veränderungen zu befassen und zu agieren. Aber angesichts der vielen politischen Wirren hat sich das genau ins Gegenteil verkehrt. Heute sieht es eher so aus, dass – polemisch gesagt – oft die Unternehmen am besten gefahren sind, die nichts gemacht haben.

Gilt das weiterhin, oder ist jetzt die Zeit gekommen, wieder aktiv zu werden?

Ich glaube, es ist immer gut, sich Gedanken zu machen über den Markt. Sich auf das zu konzentrieren, was man gut kann und auf das eigentliche Asset – die Kunden –, das ist mit Sicherheit immer richtig. Viele Unternehmen suchen als Geschäftsmodell von morgen die berühmte eierlegende Wollmilchsau, aber die gibt es nicht. Energiewirtschaft muss eben neue Wege gehen, und welche Wege da erfolgreich sind, das wird die Zeit zeigen. Den Kunden in das Zentrum der Betrachtung stellen und die Kosten im Fokus zu behalten ist entscheidend. Das sind ja nicht unbedingt Widersprüche, denn Unternehmen, die gut in der Kundenarbeit sind, haben meistens auch einen Kostenvorteil. Da sehen wir in der Energiewirtschaft noch einiges zu tun.

Raten Sie eher zur Spezialisierung, also nicht alle Produkte anzubieten, um die Kosten­effizienz zu erhöhen?

Man muss das Produkt-Portfolio in der Tat überprüfen. Ähnlich wie Telekommunikationsbetreiber haben Energieversorger oft eine Vielzahl von Produkten und Tarifen geschaffen, die unter Vollkostenbetrachtung nicht mehr zukunftsfähig sind. Sie zu streichen reduziert die organisatorische, prozessuale und IT-Komplexität deutlich – viele Energieversorger haben ja Hunderte oder Tausende von Produkten.

Wie können kleine Energieversorger herausfinden, wie sie ihre Marge erhöhen können?

Sie müssen erst einmal wissen, in welchen Feldern, Kunden- und Produktsegmenten sie Geld verdienen. Man braucht dafür nicht zwingend eine Deckungsbeitragsrechnung in epischer Breite, muss aber Kosten zu Kundengruppen verursachungsgerecht zuordnen, um eine einigermaßen belastbare Sicht darauf zu haben, an welchen Stellen Geld verdient wird. Je mehr Transparenz schon vorhanden ist, desto leichter tut man sich da. Allerdings hat sich in den letzten Jahren beispielsweise beim Gas sehr viel getan, so dass sich die Kostenblöcke verschoben haben – man muss also schon genau hinschauen.

Heißt das, Energieversorger sollten jetzt eigene Schritte unternehmen, um wirtschaftlicher zu arbeiten, statt länger auf große politische Entscheidungen wie etwa ein Strommarktdesign zu warten?

Genau. Das würde ich auch jedem empfehlen, denn wie später der politische Rahmen aussieht, das wissen wir alle noch nicht. Daher sollte momentan jeder seine Hausaufgaben machen. Und aus meiner Erfahrung weiß ich, dass es bei den meisten Unternehmen da durchaus noch einiges zu tun gibt, bevor man das Geschäftsmodell komplett umstellt und auf einmal anfängt, irgendwelche Dinge zu verkaufen, die mit der Kernkompetenz nicht viel zu tun haben.

Das Interview führte Dr. Karlhorst Klotz, Energy 2.0

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