Antivirale Wirkstoffe Mit Computermodellierung schneller Corona-Medikamente entwickeln

Bioinformatiker Andreas Dräger und sein Team (von links): Dr. Reihaneh Mostolizadeh, Dr. Alina Renz und Nantia Leonidou

Bild: Universität Tübingen
30.03.2023

Wissenschaftler arbeiten an einem neuen Verfahren, das die zeitaufwendige Identifizierung und Entwicklung antiviraler Wirkstoffe beschleunigen soll. Das könnte insbesondere im Hinblick auf Virusmutanten eine wichtige Rolle spielen. Die Analysetechnik zeigt zudem neue Angriffspunkte gegen das Coronavirus auf.

Wirksame Medikamente gegen Viruserkrankungen werden umso dringender benötigt, je mehr Mutationen und neu auftretenden Varianten Impfstoffe an ihre Grenzen bringen. Andreas Dräger, Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), arbeitet an der Universität Tübingen deshalb an einem computerbasierten Verfahren, mit dem sich antivirale Arzneimittel schneller entwickeln lassen sollen.

„Eine effiziente Pandemievorsorge erfordert neue, breit wirksame antivirale Medikamente, gegen die die Viren nicht schnell Resistenzen entwickeln können“, sagt Dräger, der auch Mitglied des Tübinger Exzellenzclusters Kontrolle von Mikroorganismen zur Bekämpfung von Infektionen – CMFI ist. „Doch die Wirkstoffentwicklung benötigt sehr viel kostbare Zeit, auf die es im Ernstfall dringend ankommt.“ Hier will Dräger mit seiner Computermodellierung Abhilfe schaffen.

Bereits 2021 konnte die Tübinger Arbeitsgruppe im Modell ein menschliches Enzym – die Guanylatkinase 1 – identifizieren, das für die Virusvermehrung unabdingbar ist und ausgeschaltet werden kann, ohne die Zelle zu schädigen. Nun konnte der Bioinformatiker mit seinem Team ein weiteres Modell entwickeln, um die Aussagekraft ihrer Ziele zu testen. „Durch eine verbesserte Analysetechnik können wir nun die Virusinfektion in vielen verschiedenen Gewebearten spezifisch modellieren”, erklärt Nantia Leonidou, Erstautorin der aktuellen Studie.

Stoffwechsel nach Infektion beobachten

Das integrierte systembiologische Modell der Tübinger simuliert eine Infektion mit Sars-CoV-2 in bronchialen Epithelzellen und identifiziert dann wirtsbasierte Stoffwechselwege, die gehemmt werden können, um die virale Vermehrung zu unterdrücken. „Wenn man die Zusammensetzung eines Virus kennt, kann man verschiedene Szenarien durchspielen und sehen, wie sich die biochemischen Reaktionen in den Wirtszellen während einer Virusinfektion verändern“, erklärt Dräger.

Um eine Infektion zelltypspezifisch zu simulieren, entwickelte das Team eine spezielle Software. Mit dem Modell für einen weiteren Zelltyp konnte es das bereits identifizierte Zielmolekül, die Guanylatkinase, bestätigen und weitere neue Ziele mit starken antiviralen Wirkungen entdecken. Der vielversprechendste neue Treffer war die CTP-Synthase 1, ein Enzym, dessen Hemmung auch das Viruswachstum um 62 Prozent minderte, ohne sich auf die Zellerhaltung des menschlichen Wirts auszuwirken.

Präklinische Phase beschleunigen

Beide Zielmoleküle sind eng mit dem Aufbau der Erbsubstanz verknüpft, die sowohl im Virus als auch im Wirt dieselben Bausteine benötigt. Das Team um Andreas Dräger geht davon aus, dass diese Ergebnisse eine wichtige Grundlage für die schnellere Entwicklung von viralen Hemmstoffen darstellen. „Unsere Modelle könnten einen Paradigmenwechsel in der Wirkstoffentwicklung darstellen und die präklinische Phase beschleunigen“, sagt Leonidou und ergänzt: „Die Methoden sind vollständig auf jeden Virus- und Wirtszellentyp übertragbar und auch kommerziell nutzbar.“

Die Gruppe um Dräger will nun ihre Methoden auf weitere Viren anwenden. Erste Hemmstoffe für ihre gefundenen Enzyme sollen in Tiermodellen auf Sicherheit, Toxizität und Wirksamkeit getestet werden.

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel