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Kristallforschung für die Chemie Kristallspalterei und Schwarzweißdenken

02.02.2018

Wer teilt, gewinnt – das dachten wohl auch Forscher an der TU Wien und haben fleißig Kristalle zerschnitten. Auf diese Weise konnten sie erstmals die Vermutung bestätigen, dass dabei Effekte auftreten, die für chemische Anwendungen hoch interessant sind.

Kristalle besitzen eine bemerkenswerte Anziehungskraft – im wahrsten Sinne des Wortes: Positiv und negativ geladene Teilchen sitzen abwechselnd nebeneinander, in einer bestimmten geometrischen Anordnung, die sich unzählige Male wiederholt. Dazwischen herrschen starke Anziehungskräfte, die den Kristall zusammenhalten und ihm seine hohe Festigkeit verleihen.

So viel zum Innenleben eines Kristalls, doch wie sieht das auf der Oberfläche aus? Das hängt von der Richtung ab, in der man den Kristall schneidet. Dabei kann es zu komplizierten Effekten kommen, die sich auch für chemische Anwendungen nutzen lassen. Vermutungen dazu gab es schon lange – an der Technischen Universität Wien ist es nun gelungen, diese Effekte mit Rastertunnelmikroskopen und Rasterkraftmikroskopen abzubilden. Die gewonnenen Daten konnten nun, gemeinsam mit Computerberechnungen der Universität Wien, eine Reihe bemerkenswerter Phänomene erklären. Für ihre Untersuchungen haben die Wissenschaftler Kaliumtantalat genutzt, ein Kristall aus der Gruppe der Perovskite.

Schwarzweißdenken erwünscht

Die positiven und negativen Ladungen im Kristall ähneln vereinfacht den schwarzen und weißen Felder auf einem Schachbrett: Entlang der Zeilen und Spalten wechseln sich schwarze und weiße Felder ab, doch wenn man das Muster entlang der Diagonalen betrachtet, sieht man abwechselnd rein schwarze und rein weiße Reihen.

Dreidimensional lässt sich dieses Phänomen auch im Kristall betrachten: „Spaltet man einen kubischen Kristall entlang einer passenden Richtung, dann müsste man, naiv betrachtet, eigentlich ausschließlich positive oder ausschließlich negative Ladungen an der Oberfläche finden – doch so ein Zustand wäre hochgradig instabil“, erklärt Prof. Ulrike Diebold, die Leiterin der Forschungsgruppe für Oberflächenphysik am Institut für Angewandte Physik der TU Wien.

In einem solchen Kristall, der aus rein positiv und rein negativ geladenen Schichten bestünde, würde sich bereits in einer kleinen Materialprobe eine gewaltige elektrische Spannung von Millionen Volt ergeben – man spricht von der „polaren Katastrophe“. Um das zu vermeiden, müssen sich die Ladungsträger irgendwie umorganisieren. Bisher war unklar, wie sie das machen.

Wird ein Kristall gespalten, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie die Oberfläche reagieren kann. Die Elektronen können sich an bestimmten Stellen sammeln, es kann zu Verformungen des Kristallgitters kommen, es kann passieren, dass sich Atome von außen an die Schnittstelle anlagern.

Von der Inselgruppe zum Labyrinth

Was man unter dem Rastertunnelmikroskop jedenfalls feststellen kann: Die Teilung des Kristalls verläuft nicht exakt zwischen einer positiv und einer negativ geladenen Schicht. Stattdessen bricht der Kristall zwischen zwei positiv geladenen Schichten, die Hälfte der negativ geladenen Schicht dazwischen geht auf die eine Seite, die andere Hälfte auf die andere. Diese negativen Inseln, die sich auf jeder Seite spontan ausbilden, bedecken genau die Hälfte der Oberfläche – somit ist die Gesamtoberfläche insgesamt elektrisch neutral.

Diese Inseln zeigen ein interessantes, unerwartetes Verhalten: Zunächst nehmen sie zufällige Formen an, ähnlich wie Inselgruppen im Meer. Doch wenn man die Temperatur der Oberfläche erhöht, werden die Atome mobiler und beginnen, ein zackiges Muster aus geraden Linien zu bilden, das am Ende aussieht wie ein Labyrinth. Die „Mauern“ dieses Labyrinths sind nur ein Atom hoch und vier bis fünf Atome breit, wie man auf den Mikroskop-Aufnahmen leicht sehen kann. Berechnungen zeigen, dass tatsächlich genau das die energetisch stabilste Konfiguration ist.

Vielversprechende Eigenschaften für die Chemie

„Diese labyrinthartigen Strukturen haben technisch höchst vielversprechende Eigenschaften“, sagt Ulrike Diebold. „Das ist genau das was man will: Winzige Strukturen, in denen starke elektrische Felder auf atomarer Skala auftreten.“ Man kann sie etwa nutzen, um chemische Reaktionen zu ermöglichen, die nicht von alleine ablaufen würden – etwa das Spalten von Wasser, um Wasserstoff zu gewinnen.

Doch solche Technologien lassen sich nur entwickeln, wenn es gelingt, die atomaren Vorgänge direkt zu beobachten, zu untersuchen und zu verstehen. Deshalb ist für die Forscher die Rasterkraft- und Rastertunnelmikroskopie so wichtig. Erst durch hochauflösende Bilder, auf denen man einzelne Atome beobachten kann, lässt sich verstehen, welche komplizierten Vorgänge auf der Kristalloberfläche ablaufen.

Bildergalerie

  • Die Kristallspalter der TU Wien: Michele Reticcioli (Universität Wien), Jan Hulva, Ulrike Diebold, Martin Setvin, Michael Schmid (alle TU Wien), v.l.n.r.

    Die Kristallspalter der TU Wien: Michele Reticcioli (Universität Wien), Jan Hulva, Ulrike Diebold, Martin Setvin, Michael Schmid (alle TU Wien), v.l.n.r.

    Bild: TU Wien

  • Das Bild zeigt, wie sich inselartige Strukturen in Kristallen bei niedrigeren Temperaturen verhalten.

    Das Bild zeigt, wie sich inselartige Strukturen in Kristallen bei niedrigeren Temperaturen verhalten.

    Bild: TU Wien

  • Die labyrinth-Struktur auf der Oberfläche des Kristalls

    Die labyrinth-Struktur auf der Oberfläche des Kristalls

    Bild: TU Wien

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