Agile Entwicklungsmethoden Kontrolle ist gut, Vertrauen besser?

Agile Methoden erhöhen die Flexibilität der Entwicklung. Diese senken aber oftmals auch die Transparenz für Manager.

Bild: Perforce Software
24.10.2018

Die digitale Zukunft verändert nicht nur Technologien und Produkte. Auch die Art und Weise, wie diese entwickelt und produziert werden müssen, hat sich drastisch gewandelt. Um der steigenden Marktdynamik Rechnung zu tragen, führt am Einsatz agiler Entwicklungsmethoden kaum mehr ein Weg vorbei. Doch rudern alle Projektbeteiligten nach eigenem Ermessen - wie hält ein Kapitän sein Schiff auf Kurs?

Entwicklerteams, die über den Globus verteilt an neuen Produkten arbeiten, Software und Hardware, die stimmig miteinander kombiniert werden will, neue Technologien, die für das Produkt berücksichtig werden müssen – im Zeitalter der Digitalisierung steigt die Komplexität von Produktentwicklungsprozessen unaufhaltsam an. Nicht zuletzt durch den Siegeszug des Internets der Dinge mausert sich Software für viele Unternehmen mehr und mehr zum Kerngeschäft, anstatt weiterhin ein Schattendasein als reiner Kostenfaktor zu fristen. So hat sich in den vergangenen Jahren auch die Größenordnung von Entwicklungsprojekten drastisch verändert: Bis zu hundert Software-Teams, die an der Entwicklung eines einzigen Produkts beteiligt sind, sind heute keine Seltenheit mehr. Damit dies gelingen kann, sind solide Planungs- und Kontrollmechanismen unerlässlich.

Doch nicht nur die Produktentwicklung selbst, auch die Gegebenheiten am Markt sind längst nicht mehr mit analogen Zeiten zu vergleichen. Schnellere Markteinführungszeiten, individuellere Produkte – wer in Zeiten der Digitalisierung am Markt bestehen will, muss sich an die veränderte Erwartungshaltung seiner Kunden anpassen. Nicht zuletzt auf Grundlage ihres privaten Konsum- und Mediennutzungsverhaltens setzen diese heutzutage geradezu voraus, maßgeschneiderte Produkte in immer kürzeren Fertigungs- und Bereitstellungszyklen zu erhalten. Dies wiederum verlangt Unternehmen nahezu dieselbe Flexibilität in ihrer Entwicklung ab, die Kunden bei den Produkten selbst erwarten. Mit starren Vorgaben und strengen Kontrollmechanismen lässt sich dies freilich nur schwer vereinbaren. Für Unternehmen ein Konflikt, den es aufzulösen gilt.

Lineare Entwicklung: Verlässlich, aber starr

Bis vor wenigen Jahren herrschten in einem Großteil der Produktentwicklungsabteilungen traditionelle Entwicklungsszenarien vor, mit denen sich Anforderungen wie eine hohe Transparenz auf den einzelnen Prozessstufen und nahtlose Dokumentation der Gesamtabläufe optimal sicherstellen ließen. Im Rahmen des klassischen Waterfall-Modells beispielsweise werden Produkte linear entwickelt, die notwendigen Entwicklungsschritte werden der Reihe nach durchlaufen. Entsprechend sind Weg und Ziel bereits zu Beginn des Prozesses definiert, Aufgaben und Zuständigkeiten lassen sich klar verteilen, durchgeführte Schritte sauber und nahtlos dokumentieren.

Auf der anderen Seite entsteht im Zeitverlauf jedoch ein immer größeres, ungetestetes Produkt. Mit fortschreitender Entwicklung erhöht sich somit auch das verbundene Risiko graduell: Kritische Fehler aus frühen Entwicklungsstufen können sich im schlimmsten Fall durch das gesamte Projekt ziehen. Eine Rückverfolgung der entsprechenden Fehlerursachen am Ende ist dann oft nur mit hohem Aufwand zu bewerkstelligen, die Behebung entsprechend komplex. Darüber hinaus findet die Markteinführung bezogen auf den Entwicklungsbeginn vergleichsweise spät statt. In unserer heutigen, schnelllebigen Zeit haben sich die Anforderungen und Wünsche der Kunden in der Zwischenzeit vielleicht längst weiterentwickelt.

Agile Entwicklungsmethoden

Gerade diese Nachteile haben in jüngster Vergangenheit zu einem regelrechten Aufschwung agiler Entwicklungsmethoden geführt und diese zunehmend in Entwicklungsabteilungen etabliert. Im Gegensatz zu linearen Vorgehensweisen werden bei agilen Methodiken wie Scrum oder Kanban Produkte deutlich kleinschrittiger geplant, entwickelt und getestet. Der entsprechende Prozess wird dabei immer wieder zyklisch wiederholt. Dadurch können Fehler bereits früh entdeckt und behoben werden, während gleichzeitig Zielsetzung und Kundenanforderungen immer wieder reflektiert und damit flexibler auf neue Gegebenheiten oder Veränderungen hin angepasst werden können.

Während sich Markteinführungszeiten auf diese Weise oft deutlich beschleunigen lassen, die entwickelte Lösung genauer und dynamischer auf die Anforderungen der Kunden zugeschnitten und das mit der Entwicklung verbundene Risiko geringer gehalten werden kann, stellen agile Vorgehensweisen jedoch nicht selten auf Managementebene eine Herausforderung dar. In vielen Fällen werden entsprechende Projekte bislang kaum als unternehmensweite Initiativen behandelt. Vielmehr verbleiben sie auf der Ebene der einzelnen Entwickler. Die Folge: Weniger Transparenz für Manager und Projektleiter.

Bruch zwischen Mikro- und Makro-Ebene

Genau diese wäre jedoch die Voraussetzung dafür, bei Bedarf steuernd und korrigierend einzugreifen. Gerade kostspielige Elektronikprojekte erfordern meist bereits zu Beginn einen granular definierten Entwicklungsplan – sowohl bezüglich der Art und Weise der Erfüllung der Kundenwünsche als auch in Bezug auf die zeitliche Fertigstellung –, um überhaupt eine Freigabe von den Geldgebern zu erhalten. Eine dynamische, ungeplante Anpassung des Produkts im Entwicklungsverlauf ist dabei weder gewünscht noch möglich. In Szenarien, in denen sich Entwickler selbst organisieren, sich auf ihre Ziele und Prozesse selbst einigen, ist damit eine zentrale Kontrolle wichtiger denn je: Als übergeordnete Steuerungsinstanz müssen Projektleiter das große Ganze im Blick behalten und in der Lage sein, kontinuierlich zu prüfen, ob nach wie vor das richtige Produkt entwickelt wird und dies auf eine effiziente und wirtschaftliche Art und Weise geschieht.

Aufgrund der hohen Autonomie der Teams sowie der hohen Änderungsgeschwindigkeit und -häufigkeit ist es für diese in agilen Projekt jedoch oft schwer, sich einen genauen und aktuellen Überblick über den Stand der verschiedenen Projekte zu verschaffen. Zwischen der Mikro-Ebene der Entwickler sowie der Makro-Sicht der Manager kommt es zum Bruch.

Gerade in sensiblen Elektronikbranchen bringt die fehlende Transparenz darüber hinaus noch weitere, kritische Folgen mit sich: Strenge Regulierungen erfordern in vielen Fällen eine lückenlose Nachverfolgbarkeit und Dokumentation aller Prozesse. Ohne sie lässt sich im Ernstfall nicht belegen, dass alle ursprünglichen Anforderungen auch tatsächlich im finalen Produkt eingehalten und umgesetzt wurden.

Ziel: Hybride Entwicklungsmethodik

Um den Konflikt zwischen dynamischer und flexibler Entwicklung auf der einen Seite und der Sicherstellung von Transparenz und Nachvollziehbarkeit auf der anderen aufzulösen, ist es in vielen Fällen sinnvoller, mithilfe geeigneter Vorgehensweisen eine hybride Entwicklungsmethodik zu schaffen, die aus Teilen der agilen Methode Scrum, Kanban oder anderen Ansätzen für Lean Development sowie traditionellen Projekt-Management-Modellen bestehen kann. In der Praxis lässt sich eine solche Kombination beispielsweise mithilfe einer Software-Lösung umsetzen, die eine parallele Nutzung beider Vorgehensweisen unterstützt. Entsprechend können agile und klassische Elemente unter einer einheitlichen Oberfläche zusammengeführt werden, sodass der Abstimmungsaufwand zwischen agilem und traditionellem Vorgehen möglichst gering bleibt.

Auf diese Weise sind Projektleiter und Manager in der Lage, jederzeit den aktuellen Stand der verschiedenen Projekte im Auge zu behalten – von der obersten Aggregationsstufe bis auf die Ebene der Einzelprojekte hinunter. Damit ist sowohl eine Makro- als auch Mikrosicht auf die Entwicklungsaktivitäten sichergestellt. Gleichzeitig bietet der einheitliche Datenfundus die Möglichkeit, auf Basis von Auswertungen und Analysen fundierte Entscheidungen im Entwicklungsprozess zu treffen, die sich bei einem separaten Nebeneinander unterschiedlichster Vorgehensweisen nur mit hohem Aufwand bis gar nicht bewerkstelligen lassen.

Kurs halten im digitalen Zeitalter

Durch die Kombination von traditioneller und agiler Methodik können Elektronikhersteller von den Vorteilen beider Welten profitieren: einer dynamischen und innovativen Entwicklung einerseits und einer verlässlichen Struktur, lückenloser Dokumentation sowie Regelkonformität andererseits. Aspekte, die für eine kundenindividuelle und wirtschaftliche Entwicklung im digitalen Zeitalter unerlässlich geworden sind. Mit einer soliden, hybriden Entwicklungsstrategie lassen sich die richtigen Voraussetzungen schaffen, im veränderten Marktumfeld der heutigen Zeit bestehen zu können – und das Projektschiff auf direktem Kurs ans Ziel zu steuern.

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  • Bei klassischen Entwicklungsmodellen werden die einzelnen Stufen linear durchlaufen.

    Bei klassischen Entwicklungsmodellen werden die einzelnen Stufen linear durchlaufen.

    Bild: Perforce Software

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