Interview „Ein großstädtisches Flair schaffen“

Konzepte gefragt: Bis 2030 soll auf dem Siemens-Areal im Erlanger Süden ein nachhaltig gestalteter Campus entstehen, der auch eine neue Verkehrsanbindung erfordert.

Bild: Siemens, Stadt Erlangen
10.04.2014

Erlangen steht vor einer Riesen-Rochade: Siemens schafft auf einem 54 Hektar großen „Campus“ Arbeitsplätze, Wohnungen und Freizeitangebote und gibt gleichzeitig innerstädtische Standorte frei. Ein „Sechser im Lotto“ für Josef Weber, Referent für Planen und Bauen der Stadt Erlangen, wie Dr. Siegfried Balleis meint, der bei unserem Besuch im März amtierender Oberbürgermeister von Erlangen war.

Herr Dr. Balleis, was bedeutet das Projekt Siemens-Campus für die Stadt Erlangen?

Dr. Siegfried Balleis: Ich sehe darin eine historische Chance, bei der mehrere Partner gewinnen können: nicht nur das Haus Siemens, sondern auch die Stadt Erlangen und auch die Friedrich-Alexander-Universität.

Gibt es da auch Verlierer?

Die Chancen, diesen Standort zukunftsfest zu machen, überwiegen die Risiken bei weitem. Eine Gefahr besteht darin, dass der Einzelhandel darunter leiden könnte. Heute pilgern Hunderte wenn nicht Tausende von Siemens-Mitarbeitern in ihrer Mittagspause vom „Himbeerpalast“ oder vom blauen Hochhaus in die Stadt hinein. Diese intensiven Käuferströme wird es dann nicht mehr geben. Aber die heutigen Gebäude werden anderweitig genutzt werden.

Nun ist Siemens für Erlangen ja ein bedeutender Arbeit­geber. Ist die Stadt bei einem Projekt dieser Größenordnung nur der Juniorpartner, der sich den Wünschen eines finanzstarken Unternehmens fügen muss?

Dr. Balleis: Nein, wir sehen uns da ganz klar auf Augenhöhe. Das Baurecht liegt bei der Stadt Erlangen. Natürlich ist Siemens ein Riesen-Unternehmen, da braucht es Rückgrat und Selbstbewusstsein, sowohl bei unseren Referenten als auch beim Oberbürgermeister und dem Stadtrat.

Erlangen hatte mit dem Abzug der US-Truppen bereits in den Neunziger Jahren eine ähnliche Herausforderung zu bewältigen. Lassen sich die Erfahrungen auf das Campus-Projekt übertragen?

Dr. Balleis: Auf dem ehemaligen Exerzierplatzgelände haben wir es mit einem Gelände zu tun, das vorher rein militärisch genutzt wurde. Beim Campus-Projekt verändert sich die Nutzungsart des Geländes nicht so gravierend. Allerdings wird man den Siemens-Campus noch deutlich stärker verdichten, als man das beim Rödelheimpark getan hat. Herr Weber wird da bis unter die Hochhausgrenze gehen – sechs oder sieben Geschosse. Gleichzeitig muss man versuchen, eine hohe architektonische und städteplanerische Qualität herzustellen. Ansonsten ist der Vergleich mit dem Rödelheimpark durchaus berechtigt, weil auch Siemens die Philosophie verfolgt, Wohnen, Arbeiten und Forschen zusammenzubringen.

Wie soll das gelingen? Was macht dieses Flair aus?

Weber: Das ist die klassische Aufgabe des Wettbewerbs, den Siemens initiiert, aber den wir gefordert haben: Bilder von so einer „Siemens-Welt“ zu erzeugen. Siemens hat ja bereits mit seinen massiven Bauten wie dem „Himbeer­palast“ bewiesen, dass es einen Stadtteil prägen kann – da kann schon ein Flair entstehen. Da geht es nicht darum, modern, städtisch oder international zu bauen, sondern einen eigenen Stil zu entwickeln.

Schließt der Wettbewerb die Verkehrs­anbindung mit ein?

Weber: Ja, die interne Erschließung des Gebietes, wo liegen Straßen, Fußwege, Radwege und auch die Anbindung an das überörtliche Netz sowie das ÖPNV-Anbindung, die Campusbahn oder Bussysteme in dem Bereich.

Sollen im Campus selbst Fußgänger und Fahrradfahrer dominieren?

Weber: Das ist noch ganz offen. Erste Aufgabe ist, eine Vision zu entwickeln und sie dann funktionsfähig zu machen. Und da schaut man, wo dann Autos fahren oder Fahrräder.

Welche Rolle wird die Schiene spielen?

Dr. Balleis: Ich war ja von 1984 bis 1988 selbst Siemens-Mitarbeiter in der Bahnabteilung und habe später eine Stadt-Umland-Bahn gefordert. Dieses Projekt ist in den letzten eineinhalb Jahrzehnten dann leider liegen geblieben, weil wir extreme finanzielle Schwierigkeiten zu bewältigen hatten. Jetzt ergibt sich die Möglichkeit für eine „Campusbahn“, die drei Campi erschließt: Technische Fakultät, Siemens und den Sportcampus Herzogen­aurach. Das wäre ein schlüssiges Konzept. Aber solche schienen­gebundenen Nahverkehrssysteme sind unglaublich teuer. In der Investition geben Bund und Land eine relativ hohe Förderung von 80 Prozent der förderfähigen Kosten. Aber auf den Betriebskosten bleiben die Kommunen zu 100 Prozent sitzen.

Busse wären ja auch flexibler in der Verkehrsführung.

Dr. Balleis: So habe ich in den letzten Jahren auch argumentiert. Und es gibt tolle Entwicklungen wie elektrische Busse, die mit Super-Kondensatoren ohne Oberleitung mehrere Stationen anfahren können und nur geladen werden, wenn sie zum Ein- und Aussteigen halten. Oder die Autotram der Fraunhofer-Gesellschaft in Dresden, eine Art Straßenbahn, die nicht auf einer Schiene verkehrt, sondern ein busähnliches System ist. Aber Komfort und Verlässlichkeit der Rad-Schiene-Technologie ist doch noch so hoch, dass die alternativen Systeme nicht ganz mithalten können. Eine Campusbahn hätte natürlich den Charme, dass sie bruchstellenfrei an das Straßenbahnsystem in Nürnberg angebunden werden könnte.

Erwarten Sie Altlasten auf dem Gelände, auf dem gebaut werden soll? In der Forschung und Entwicklung wurde auch mit radioaktivem Material hantiert.

Weber: Da sind keine Fässer vergraben. Da sind wohl die Befürchtungen größer als das tatsächliche Risiko.

Das Gespräch führte Dr. Karlhorst Klotz, Urban 2.0.

Einen Artikel zur Innenstadt-Entwicklung in Erlangen von Norbert Lingen, Autor der empirischen Studie „Eine Innenstadt im Aufbruch“, finden Sie online unter http://goo.gl/7TXSv4.

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