Die Fakten zuerst: Rund 50.000 Beschäftigte zählte die deutsche Süßwarenindustrie im Jahr 2015, 3,78 Mio. t Schokoladenwaren, Kakao- und Schokoladenhalberzeugnisse, kakaohaltige Lebensmittelzubereitungen, Zuckerwaren, Feingebäck, Knabberartikel, Speiseeis, Kaugummi und Rohmassen wurden in diesem Zeitraum produziert. Der Umsatz lag bei 11,6 Mrd. Euro. In der Branche, in der neben globalen Playern à la Mars, Nestlé oder Ferrero viele mittelständische Unternehmen im Wettbewerb stehen, machten Schokoladenwaren das größte Handels- und Mengenvolumen aus. Der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) spricht für das erste Tertial 2016 von einer stabilen Auftragslage. Zu schaffen macht der Branche jedoch die angespannte Situation auf den Rohstoffmärkten und die zunehmende Konzentration im Lebensmittelhandel.
Umsatzrisiko Brexit
Auch im Export zeichnen sich Unsicherheiten ab. „Die Folgen des Brexit sind noch nicht absehbar“, sagt Klaus Reingen, Hauptgeschäftsführer des BDSI. „Großbritannien ist für die deutsche Süßwarenindustrie der zweitgrößte Exportmarkt mit einem Exportumsatz von 800 Millionen Euro.“ In Deutschland ist die Konsumstimmung zwar gut, doch Wachstum kann laut Experten fast nur noch im Ausland generiert werden. Claus Cersovsky, Geschäftsführer des Dettinger Mittelständlers Rübezahl Schokoladen, bewahrt angesichts des Brexit Ruhe: „Nur wenn sich das Pfund dramatisch entwickelt, könnte es schwierig werden.“ Strafzölle für die saisonalen Schokoladenwaren oder die Puffreishappen „Sun Rice“, für die das Unternehmen bekannt ist, seien kaum zu befürchten. Problematischer sieht Cersovsky das Embargo für Russland, ein Land in das sein Unternehmen bereits geliefert hat. „Auch in der Türkei waren wir bisher aktiv. Ob wir auch in Zukunft ungehindert exportieren können, ist nicht sicher.“
Doch auch auf dem europäischen Binnenmarkt sah sich die Industrie Herausforderungen ausgesetzt: So führte an der Lebensmittelinformations-Verordnung (LMIV) zuletzt kein Weg vorbei. Seit Dezember 2014 soll die Verordnung europaweit einheitliche und klare Vorgaben zur Kennzeichnung sicherstellen. Demnach müssen der Brennwert sowie sechs Nährstoffe – die Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz – angegeben werden, für Allergene greifen verschärfte Kennzeichnungspflichten. Mit einem branchenweiten Aufwand von geschätzt 100 Mio. Euro galt es beispielsweise, alle verwendeten Verpackungen auf das neue System umzustellen.
„Der aufgeklärte Konsument von heute fordert Transparenz. Er will wissen, welche Ingredienzien in einem Produkt stecken“, sagt Perry Soldan. Gerne trage man dem mit bestmöglichen Deklarationen Rechnung. Der geschäftsführende Gesellschafter beim Bonbonhersteller Dr. C. Soldan sieht allerdings auch die Belastungsprobe, die die Umstellung auf die LMIV für die Firma bedeutet hat: „Die Lebensmittelinformations-Verordnung hat uns als mittelständisches Unternehmen in letzter Zeit Schweiß, Mühen und viel Geld gekostet.“ Diskussionen um neue Verordnungen betrachtet Soldan daher eher mit Skepsis. Man müsse eben auch hier von einem mündigen Bürger ausgehen.
Großtrend Transparenz
Doch der aufgeklärte Konsument fordert nicht nur Informationen, er wünscht sich Produkte, die zu seinem bewussten Lebensstil passen: nachhaltig Produziertes aus regionalen oder fair gehandelten Zutaten. „Wir wählen unsere Lieferanten und Rohstoffe mit größter Sorgfalt aus und arbeiten, wenn irgend möglich, mit regionalen Partnern zusammen“, sagt Perry Soldan. Etablierte Markenprodukte wie „Em-eukal“, „Kinder Em-eukal“ oder „aecht Bayrischer Blockmalz“ werden in Deutschland hergestellt – nach den Originalrezepturen des Gründers. „Der Einsatz nachhaltig erzeugter Rohstoffe in Süßwaren und Knabberartikeln wird von der deutschen Süßwarenindustrie mit erheblichem Einsatz seit vielen Jahren vorangetrieben“, weiß Klaus Reingen vom BDSI. Vor allem Unternehmen aus dem Schokoladensegment haben sich der Verarbeitung von nachhaltig erzeugtem Kakao verschrieben. Auch Rübezahl hat seinen Anteil an Fair-Trade-Schokolade nach und nach gesteigert. „Mittlerweile liegen wir bei ungefähr 50 Prozent“, erläutert Claus Cersovsky. In der Multi-Stakeholder-Initiative „Forum Nachhaltiger Kakao“, die sozialen und ökologischen Missständen in der Kakaoproduktion entgegenwirken will, engagiert das Unternehmen sich seit deren Gründung. Bei der Produktneuheit „Sun Rice Zartbitter“ setzt Rübezahl auf die als besonders hochwertig und gesund wahrgenommene dunkle Schokolade.
Für immer mehr Käufer schließt bewusster Konsum den Verzicht auf tierische Produkte mit ein. Laut einer Umfrage des Allensbach Institutes ordneten sich im Jahr 2015 5,36 Mio. Deutsche über 14 Jahre als Vegetarier oder Menschen, die weitgehend auf Fleisch verzichten, ein, 0,85 Mio. sahen sich gar als Veganer. Eine enorme Zielgruppe, die durchaus bereit ist, in ihren bewussten Konsum zu investieren. Passend dazu hat der Waldenbucher Schokoladenriese Alfred Ritter in diesem August eine erste vegane Produktreihe auf den Markt gebracht, die aus den Sorten „Dunkle Voll-Nuss Amaranth“ und „Dunkle Mandel Quinoa“ besteht. „Knusprige Quinoa oder Amaranth-Crisps greifen den Trend zum Superfood auf und unterstreichen den knackigen Charakter der veganen Halbbitterschokolade mit einem Kakaoanteil von 50 Prozent“, heißt es aus dem Unternehmen. Noch weiter geht Weingummi-Hersteller Katjes, der den vegetarischen Lifestyle mit dem Slogan „Be Veggie!“ und mehreren Werbekampagnen offensiv für sich besetzt hat. Produkte, die ohne tierische Inhaltsstoffe auskommen, lässt man sich von der Europäischen Vegetarierunion zertifizieren. Dass Katjes gar einen 3D-Drucker für vegane Süßigkeiten entwickelt hat, ist interessant, da es einen weiteren Großtrend beschreibt – die Individualisierung.
Gummidrops und Müslimischer
Die Branche begegnet einem begrenzten Markt mit zunehmend komplexen, ausdifferenzierten Produkten. So bietet Soldan neben klassischen Bonbons mittlerweile auch „Em-eukal Gummidrops“ an: Die Geschmacksrichtungen Wildkirsche-Salbei, Eukalyptus-Menthol, Ingwer-Orange und Anis-Fenchel, die kürzlich lanciert wurden, sollen dem Kundenwunsch nach Zusatznutzen entsprechen. „Da kau ich mir die Wirkung raus“, zitiert Perry Soldan einen Testkunden. BDSI-Hauptgeschäftsführer Reingen sieht noch eine weitere Stufe der Individualisierung: „Mit neuen Technologien personalisierte Produkte liegen im Trend.“ Ins Bild passen Pralinen mit aufgedruckten Vornamen oder auch die Geschichte der drei Studienfreunde, die sich im Jahr 2005 über den unsäglichen Radiowerbespot eines Müsliherstellers ärgerten und die Geschäftsidee von Mymuesli entwickelten: Bio-Müsli, dessen Mischung man online nach eigenen Geschmacksvorstellungen zusammenstellen und ordern kann. Mittlerweile hat sich aus dem Start-up von Hubertus Bessau, Max Wittrock und Philipp Kraiss eine etablierte Kette entwickelt, die – neben der ursprünglichen Website – in Supermärkten und mehreren eigenen Läden präsent ist.
Einerseits ist Qualitätssicherung ein Dauerbrenner der Süßwarenindustrie, andererseits lassen sich auch hier Trends ausmachen. „Mineralölrückstände in Schokolade waren zuletzt immer wieder Thema auf dem Markt“, sagt Rainer Gozzer, Leiter globales Geschäftsfeld Nahrung und Pharmazie bei Netzsch Pumpen und Systeme. Der Haupteintrag der sogenannten MOSH (Mineral Oil Saturated Hydrocarbons) und MOAH (Mineral Oil Aromatic Hydrocarbons) stammt aus Druckfarben auf Mineralölbasis, wie sie im Zeitungsdruck verwendet werden. Diese gehen in den Recyclingkreislauf ein und können aus Transport- oder Recyclingkartonen gasförmig oder durch direkten Kontakt in Lebensmittel übergehen. Um die seltenere Kontamination durch Herstellungsequipment auszuschließen, hat Netzsch eine Pumpe entwickelt: „Unsere Drehkolbenpumpe Tornado T2 ist so konzipiert, dass sie komplett ohne Schmierstoffe auskommt. Sie hat kein Gleichlaufgetriebe und auch der Antrieb funktioniert schmierstofffrei“, erklärt Gozzer. Bei mehreren international tätigen Schokoladenherstellern wurde die Pumpe bereits getestet. Als zusätzliches Feature bietet der Waldkraiburger Hersteller einen Heizmantel an, der eine gleichmäßige Temperierung der Schokolade während des Förderprozesses gewährleistet.
Kontamination ausschließen
Neben Mineralölbestandteilen MOSH/MOAH können Spuren von Allergenen in der Schokolade zum Problem werden. „Man kann es sich leicht machen und sämtliche potenzielle Allergene auf der Verpackung nennen. Doch Sätze wie ,Kann Spuren von Nüssen enthalten‘ werden vom Marketing nicht gern gesehen, weil man damit eine bestimmte Käuferschaft außen vor lässt“, erläutert Rainer Gozzer. Will man jedoch nicht gegen Auszeichnungspflichten verstoßen, muss man mit besonders sauberem Equipment arbeiten: Während in den Linien früher viel mit Grauguss oder Stahl gearbeitet wurde, findet nun immer häufiger Edelstahl Einsatz. Hinzu kommen Regularien wie die Direktive EGVO 1935/2004 der EU, die sich auf die Materialien beziehen, die mit den Produkten direkt in Kontakt kommen. Gozzer: „Medienberührte Teile, zum Beispiel Elastomere, dürfen das Produkt nicht nachteilig verändern und die Gesundheit des Konsumenten nicht gefährden.“ Der besondere Süßwaren-Moment wäre schließlich empfindlich gestört.