Schaltschrank-Projektierung Standardisieren und regelbasiert konfigurieren

Mit heutigen sequenziellen Engineering-Prozessen lassen sich kundenindividuelle Schaltschränke und -anlagen nur bedingt wirtschaftlich anbieten.

Bild: Rittal
22.10.2014

Der Kundenwunsch nach auftragsspezifischen Produkten und Projekten erfordert neue Prozesse im Engineering und in der Produktion. Was auftragsspezifische Anforderungen bewirken, wird am Beispiel des Engineerings von Schaltschränken und -anlagen aufgezeigt. Im Zentrum steht dabei Prozessverbesserung durch Standardisierung und regelbasierte Konfiguration.

Mit steigendem Wettbewerbsdruck und dem resultierenden Bedarf an Differenzierung müssen Unternehmen heute kundenindividuelle Produkte und Projekte wirtschaftlich anbieten. Ein typisches Beispiel für die zunehmende Individualisierung komplexer Produkte bei gleichzeitigem Kostendruck ist der Schaltschrankbau. Effiziente Prozesse im Engineering und in der Produktion sichern Dienstleistern der Automatisierungstechnik dabei einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil.

Fehler durch manuelles Umsetzen

Heute arbeiten die Engineering-Disziplinen im Schaltschrank- und Schaltanlagenbau Projektierungsaufgaben diskret – also in Form eines sequenziellen Prozesses – ab, ohne strukturiertes Wiederverwenden auftragsneutraler Lösungen. Stattdessen existieren Richtlinien für das manuelle, disziplinspezifische Umsetzen der Projekte. Diese Richtlinien beschreiben Konstruktion und Planung des Montageaufbaus sowie Fertigung und Montage. Die Richtlinien sind manuell in Projekten umzusetzen, was zu einer Verschlechterung der Qualität der Produkte und ihrer Dokumentation durch Nichteinhaltung der Richtlinien führen kann. Zudem existieren im bisherigen sequenziellen Prozess unterschiedliche Richtlinien für die verschiedenen Disziplinen, wie beispielsweise elektrotechnische und fluidtechnische Normen. In der Synchronisation und Abstimmung der Richtlinien besteht zudem eine weitere mögliche Ursache für Fehler oder Mehraufwände.

Im heutigen, sequenziellen Prozess werden eine konsistente Dokumentation und ein richtlinienkonformes Produkt mit erheblichen manuellen Aufwänden erstellt. Die im Engineering eingesetzten Software-Werkzeuge unterstützen das Abstimmen der Disziplinen nicht oder nur in unzureichender Art und Weise. In vielen Fällen, in denen keine Schnittstellen zwischen den Engineering-Werkzeugen bestehen, müssen die Daten sogar redundant eingegeben und gepflegt werden.

Mechatronische Arbeitsweise

Durch Standardisierung und regelbasierte Konfiguration wird eine parallele und damit mechatronische Arbeitsweise ermöglicht. Ziel dieser parallelen Arbeitsweise ist, das Verwenden von Richtlinien und Normen zu steuern – unterstützt durch ein Konfigurationssystem. Dazu werden die Richtlinien zum Aufbau eines Schaltschranks in einem Baukasten abgebildet. Die Standardisierung basiert auf der Konzeption projekt- beziehungsweise auftragsneutraler Schaltschrank- und Schaltanlagenlösungen. Diese basieren auf Gerätedaten aus Projekten oder Herstellerkatalogen und Regeln, in denen das Wissen aus den Fertigungs- und Montagerichtlinien abgebildet wird. Dabei kann das Wissen über den Schaltschrankaufbau für sich als Baukasten abgebildet werden oder dieses Wissen ist Teil eines mechatronischen Baukastens. Es reicht somit von der disziplinspezifischen Konfiguration eines Dienstleisters der Automatisierungstechnik bis hin zur mechatronischen Konfiguration im Maschinen- und Anlagenbau. Auf Basis einer konsistenten Konfiguration des Schaltschranks oder der Schaltanlage lässt sich durch die entsprechenden Gerätedaten vom Vertrieb über das Engineering bis in die Produktion automatisiert die Dokumentation generieren.

Durch die zentrale Abbildung und Pflege von Standards und Regeln werden Redundanzen vermieden und das Einhalten von Richtlinien und Standards gesichert. Die auf Basis ­einer konsistenten Konfiguration eines Schaltschrankes automatisiert generierte Dokumentation entspricht also den im Baukasten abgebildeten Regeln und Standards. Durch das Abbilden mehrerer Disziplinen in diesem mechatronischen Baukasten werden die Unternehmensprozesse vom Vertrieb über das Engineering bis hin zur Fertigungsintegration durchgängig unterstützt. Das Wissen aus dem Baukasten wird dadurch nicht nur effizient wiederverwendet, sondern auch zentral erfasst und gepflegt.

Durchgängig dokumentieren

Für den Schaltschrankbau bedeutet dies, dass das generierte 3D-Montagelayout die Basis für die virtuelle Schaltschrankverdrahtung inklusive Ader- und Kabellängenermittlung sein kann. Fertigungsdokumentationen wie Bohrschablonen oder Fertigungs- und Montagezeichnungen entsprechen somit den im Baukasten eingepflegten Regeln und Standards. Darüber hinaus können über entsprechende Schnittstellen automatisierte Fertigungsverfahren zur Ansteuerung von NC-gesteuerten Bearbeitungsmaschinen, Automaten zur Aderkonfektionierung, robotergestützte Technik für die Klemmenbestückung oder die automatisierte Betriebsmittelverdrahtung mit eingebunden werden.

Standardisierung und regelbasierte Konfiguration setzen die Entwicklung eines Baukastens voraus. Dadurch ist es einerseits möglich, die Entwicklung von der Auftragsbearbeitung zu trennen und somit kürzere Durchlaufzeiten eines Auftrags zu realisieren. Andererseits muss dieser Baukasten erstellt und gepflegt werden. Bis im Rahmen der Bearbeitung eines Auftrages für neue, kundenindividuelle Schaltschränke und Schaltanlagen Zeit eingespart wird, müssen Unternehmen also in den Aufbau des Baukastens und gegebenenfalls die Abstimmung der Disziplinen investieren. Gerade in dieser Abstimmung zwischen den Fachabteilungen, die heute vielfach nicht oder nur unzureichend stattfindet, liegt aber ein enormes Optimierungspotenzial. Zudem ermöglicht die Abbildung vorgedachter, auftragsneutraler Lösungen in einem Baukasten und das damit verbundene Vermeiden von Wiederholtätigkeiten in der Auftragsbearbeitung, Freiräume für innovative Lösungen zu schaffen.

Aufträge effizienter bearbeiten

Für Dienstleister im Bereich der Automatisierungstechnik oder Maschinen- und Anlagenbauer mit eigenem Schaltschrankbau bedeutet dies, dass Aufträge effizienter bearbeitet werden können. Zudem wird die Qualität der Dokumentation durch das Einhalten der im Baukasten abgebildeten Konstruktions- und Montagerichtlinien durch das Konfigurationssystem gewährleistet. Dabei kann durch eine konsistente ­Konfiguration und der darauf basierenden, automatisiert generierten Dokumentation der gesamte Prozess vom Vertrieb über das Engineering bis in die Fertigung von heutigen Konfigurations- und Engineering-Systemen durchgängig unterstützt werden.

Mit dem vorgestellten Ansatz der Standardisierung und regelbasierter Konfiguration im Schaltschrankbau werden die beschriebenen Schwachstellen heutiger Engineering-Prozesse nachhaltig in puncto Zeit, Kosten und Qualität verbessert. Aus den vorab definierten auftragsneutralen Lösungen aus dem Baukasten werden so kundenindividuelle Schaltschränke und Schaltanlagen konfiguriert. Schrittweise lässt sich das Vorgehen auf die mechatronische Konfiguration von Maschinen und Anlagen erweitern. Dadurch wird das heutige, sequenzielle Engineering zu einem funktionsorientierten, mechatronischen Engineering.

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