Intelligentes Ökosystem: Reif für die Insel Bidirektionales Laden auf Porto Santo

Bis 2022 soll Porto Santo zu 22 Prozent mit Erneuerbaren Energien versorgt werden.

Bild: The Mobility House; iStock, caravana
18.11.2019

Seit Anfang 2018 läuft auf Porto Santo ein Projekt, das durch die intelligente Integration von Elektroautos und Batteriespeichern den Anteil des vor Ort erzeugten Grünstroms steigert. Besonders innovativ ist der Einsatz von Vehicle-to-Grid.

Aktuell tragen erneuerbare Energien rund 15 Prozent der Stromversorgung auf der zum Archipel Madeira gehörenden Insel. Bis 2022 soll der Anteil auf mindestens 22 Prozent anwachsen. Schwerpunkt der Aktivitäten der drei Projektpartner The Mobility House (TMH), Renault und Empresa de Electricidade da Madeira ist dabei die Optimierung des Zusammenspiels zwischen herkömmlichen Elektroautos, stationären Second-Life-Batteriespeichern und bidirektionalen Elektrofahrzeugen (Vehicle-to-Grid, V2G), die Energie aus ihren Akkus auch wieder ans Stromnetz abgeben können.

Im Mittelpunkt steht die von TMH speziell für diese Anwendungsfälle entwickelte intelligente Software „Charge Pilot“. Die Cloud-Plattform harmonisiert als „Marketplace“ im Gesamtsystem Bedarf und Angebot der verschiedenen Erzeuger und Verbraucher vollautomatisch und gleicht Schwankungen aus. Besteht ein Überschuss an Ökostrom, wird dieser an die Elektroautos beziehungsweise die stationären Speicher abgegeben. Bei geringem Ökostromangebot speisen die bidirektionalen Elektroautos oder der Second-Life-Speicher aus E-Autos Energie in das Stromnetz ein, um zusätzliche Stromerzeugung aus konventionellen Kraftwerken zu vermeiden. Die unidirektionalen Elektroautos laden in diesem Fall nicht. Derzeit umfasst die Flotte 20 unidirektionale E-Fahrzeuge und zwei bidirektionale Renault Zoe mit einer Batteriekapazität von je 40 kWh. Zudem gibt es noch zwei Second-Life-Speicher mit insgesamt 132 kWh Kapazität.

Ideale Umgebung für Zukunftskonzepte

Laut Thomas Raffeiner, Gründer und CEO von TMH, sind Inseln ohne Netzverbindung zum Festland generell für die Integration von nachhaltiger Energieversorgung und E-Mobilität sehr attraktiv, da die Effekte der Energiewende wie fluktuierende Energieerzeugung oder Speicherbedarf hier zuerst zum Tragen kommen und ökonomisch gelöst werden können. „Für uns ist dies die ideale Umgebung, um ein intelligentes Ökosystem aus uni- und bidirektionalen Fahrzeugen sowie Speichern zur Anwendung zu bringen“, sagt Raffeiner.

Machbarkeit bewiesen

Die bisherigen Praxiserfahrungen sind positiv, die Technologie habe ihre Machbarkeit bewiesen, berichtet Veronika Brandmeier, Verantwortliche für V2G-Projekte bei TMH. So führt das Smart Charging dazu, dass die E-Fahrzeuge überwiegend mit erneuerbarem Überschussstrom geladen werden. Dabei hat die Flexibilität der Fahrzeuge wiederum positive Effekte auf das Energiesystem. Auf einer kleinen Insel wie Porto Santo mit einer Länge von rund 10 km seien jedoch die potenziellen Effekte aufgrund des durch die kurzen täglichen Fahrtstrecken bedingten geringen Energieverbrauchs bei V2G größer als etwa bei unidirektionalem Smart Charging, betont Veronika Brandmeier.

Kurzfristige Schwankungen ausgleichen

Die Speicher werden immer dann be- und entladen, wenn dies systemdienlich notwendig ist. Da hauptsächlich kurzfristige Schwankungen ausgeglichen werden sollen, erreicht deren Beladungszustand jedoch selten 100 Prozent. Die V2G-Funktionalität der beiden Fahrzeuge wird täglich abgerufen, berichtet Brandmeier. Entladen werden die Fahrzeuge, ebenso wie die Second-Life-Speicher, immer dann, wenn ein Mangel an Ökostrom vorliegt oder wenn unidirektionale Fahrzeuge geladen werden müssen, ohne dass das Netz summarisch belastet wird. Darüber hinaus dienen die Speicher der Spannungshaltung auf der Insel.

Größeres Engagement wünschenswert

Die E-Mobilitätsexpertin konstatiert eine positive Resonanz bei den Inselbewohnern: „Die Fahrer sind durch die Bank zufrieden mit den Elektroautos und dem Smart Charging.“ Allerdings könnte aus Sicht von TMH das Engagement noch etwas größer sein. Dies betrifft etwa das Erfordernis, dass die E-Autos beim Parken immer an die Ladestationen angedockt werden. Derzeit stecken die Bewohner häufig nachts an Ladestationen an, bei Standzeiten während des Tages jedoch kaum. Überschüsse aus erneuerbaren Energien kommen auf Porto Santo aufgrund des hohen PV-Anteils jedoch häufig tagsüber vor. Dennoch ist es im Projekt gelungen, den Anteil erneuerbarer Energien bereits deutlich zu erhöhen. Eine Incentivierung über entsprechende Stromtarife wäre eine Möglichkeit, die Mitarbeit hier noch weiter zu verbessern. Als größte Herausforderung nennt Veronika Brandmeier deshalb auch – neben der Vielzahl der Stakeholder sowie der großen Entfernungen von München und Paris nach Porto Santo – die Vermittlung des Projektgedankens und des idealen Nutzerverhaltens an die Fahrer. Die Nutzergruppe ist breit angelegt und reicht von Hotels, Mietauto- und Taxiunternehmen über Privat- und Polizeifahrzeugen bis zu Angestellten des Energieversorgers.

Geplant ist im weiteren Projektverlauf, die Anzahl der Fahrzeuge hochzuskalieren und weitere relevante Nutzer in das Projekt einzubeziehen. Hierbei setzt man auch auf die Unterstützung der Regionalregierung, die den Kauf von E-Autos seit kurzem mit bis zu 10.000 Euro finanziell unterstützt. Mittelfristig sollen 100 bis 200 der 1000 PKW auf der Insel elektrisch angetrieben sein, langfristig deutlich mehr. Auch ein weiterer Speicher auf der Hauptinsel ist bereits im Bau.

Erste Co2-freie Insel der Welt

Bei dem Entschluss, dass Porto Santo zur ersten CO2-freien Insel der Welt werden will, standen ökologische Gründe im Vordergrund. Aber auch wirtschaftlich ist der Ansatz interessant. „Bei konsequenter Umstellung auf erneuerbare Energien und Speicher durch E-Fahrzeuge oder Second-Life-Stationärspeicher ist das System auf jeden Fall ökonomisch darstellbar“, sagt Brandmeier. So würden die Stromgestehungskosten gegenüber dem Import von Schweröl per Schiff, das in einem thermischen Kraftwerk meist in einem ineffizienten Bereich Strom erzeugt, drastisch sinken. Nach Einschätzung der TMH-Expertin sind die Erkenntnisse des von der EU geförderten Projekts auch auf größere Energiesysteme übertragbar. So biete es diverse Ansatzpunkte für Learnings, etwa zu den Themen Steuerungslogik, User Interface Design, oder Nutzerbeteiligung. „Insofern bildet das Projekt auf Porto Santo einen weiteren Schritt hin zum Management dezentraler Batterieportfolien mit diversen Energiemarktprodukten im europäischen Kontext“, bilanziert Thomas Raffeiner.

Bildergalerie

  • Auf einer kleinen Insel wie Porto Santo sind die Effekte des bidirektionalen Ladens besonders groß.

    Auf einer kleinen Insel wie Porto Santo sind die Effekte des bidirektionalen Ladens besonders groß.

    Bild: The Mobility House

  • Derzeit umfasst die Flotte 20 unidirektionale E-Fahrzeuge und zwei bidirektionale Renault Zoe mit einer Batteriekapazität von je 40 kWh.

    Derzeit umfasst die Flotte 20 unidirektionale E-Fahrzeuge und zwei bidirektionale Renault Zoe mit einer Batteriekapazität von je 40 kWh.

    Bild: The Mobility House

  • Thomas Raffeiner, Gründer und CEO von TMH.

    Thomas Raffeiner, Gründer und CEO von TMH.

    Bild: The Mobility House

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