Ersatz für klassische Lithium-Ionen-Batterien „Festkörperbatterien bieten bis zu 50 Prozent mehr Leistung“

Dr. Henning Lorrmann vom Fraunhofer-Institut für Silicatforschung spricht über Lithium-Ionen-Akkus und eine europäische Batterieproduktion.

Bild: Fraunhofer ISC
10.05.2019

Anders als übliche Lithium-Ionen-Zellen enthalten Festkörperbatterien für Elektroautos keine brennbaren flüssigen Elektrolyte. Welche Vorteile sie dadurch bieten und wie weit die Technik bereits ist, erklärt Dr. Henning Lorrmann vom Fraunhofer-Institut für Silicatforschung. Außerdem erläutert er, wieso er eine europäische Batterieproduktion für realistisch hält.

E&E:

Herr Dr. Lorrmann, worin unterscheiden sich Lithium-Ionen- und Festkörperbatterien?

Henning Lorrmann:

Bei Lithium-Ionen-Batterien und Festkörperbatterien sprechen wir nicht von komplett unterschiedlichen Systemen. Lithium-Ionen-Batterien sind Systeme, in denen Lithium-Ionen in einem Elektrolyten zwischen den Zellelektroden hin und her wandern. Bei Festkörpersystemen ist der Elektrolyt im Inneren fest. Das heißt mit anderen Worten: Eine Lithium-Ionen-Batterie kann auch eine Festkörperbatterie sein, eine Festkörperbatterie kann auch eine Lithium-Ionen-Batterie sein. Im Kontext der Elektromobilität sprechen wir eigentlich immer von Lithium-Ionen-Technologie.

Wie sind beide aufgebaut?

Beide sind grundsätzlich gleich aufgebaut: Anode, Elektrolyt und Kathode – der wesentliche Unterschied ist, dass der Elektrolyt mal fest, mal flüssig ist. Bei Festkörperbatterien erlaubt das den Einsatz anderer Materialien, wie zum Beispiel Lithium-Anoden, anstatt der heute üblichen Graphit-Anoden. Die verwendeten Materialien der Kathode dagegen werden sich zunächst nicht grundlegend ändern. Dennoch müssen sie natürlich entsprechend an dieses feste System angepasst und ein optimaler Kontakt zwischen der Kathode, dem Elektrolyt und der Anode erreicht werden.

Flüssige Systeme werden seit 25 Jahren entwickelt und in den letzten Jahren gab es einen regelrechten Entwicklungsschub. Woran liegt das?

Das liegt unter anderem daran, dass neben verbesserter Zellchemie auch der Zellaufbau deutlich weiterentwickelt wurde. Zum Beispiel verwendet man dünnere Separatoren und wickelt die Zellen kompakter. Das bewirkt, dass sich bei bestimmten Fahrzeugmodellen innerhalb kurzer Zeit die Kapazität nahezu verdoppelt hat – ohne, dass die Batterie mehr Platz benötigt. Der Entwicklungsstand ist schon sehr fortgeschritten und die Entwicklung bei herkömmlichen Lithium-Ionen-Zellen geht weiter sehr schnell voran.

Welchen wesentlichen Vorteil haben die flüssigen Systeme?

Der flüssige Elektrolyt im Inneren der Zelle benetzt alle Komponenten. Das gewährleistet einen idealen Kontakt zwischen den Komponenten und eine sehr hohe Leistungsfähigkeit.

Als Hightech-Massenprodukte sind sie sicher auch sehr kostenoptimiert?

Das stimmt. Durch die „Economy of Scale“-Gesetze ist der Preis sehr niedrig. Die Marke von 100 US-Dollar pro KWh wird in den nächsten Jahren voraussichtlich unterschritten werden. Vor wenigen Jahren waren wir noch bei knapp 500 Dollar pro KWh. Diese Marktvorteile hat die Festkörperbatterie zunächst einmal natürlich nicht.

Welche Vorteile besitzt stattdessen die Festkörpertechnologie?

Zuerst ihre Energiedichte: Die Festkörpertechnologie verspricht einen Schub von 40 oder 50 Prozent. Das bedeutet größere Reichweite bei gleichem Gewicht. Darüber hinaus hat sie ein breites Temperaturfenster und ist gerade bei hohen Temperaturen sehr gut einsetzbar. Zellen mit organischen Elektrolyten fühlen sich in einem engen Temperaturfenster, bei Raumtemperatur, am wohlsten. Bei höheren Temperaturen müssen sie aktiv gekühlt werden. Ab 120 °C würden sie thermisch durchgehen und fangen dann teilweise Feuer. Diese Temperaturen werden im Regelbetrieb natürlich nicht erreicht.

Lithium-Ionen-Batterien gelten als Risiko. Wie unsicher sind sie wirklich?

Die Zellchemie selbst ist nur eine von mehreren sicherheitsbestimmenden Faktoren. Auch das Zelldesign und das Batterie-Management-System spielen eine zentrale Rolle. Intakte Lithium-Ionen-Batteriesysteme sind daher grundsätzlich sicher! Ein intrinsischer Vorteil der Festkörpertechnologie ist, dass es keine leicht flüchtigen organischen Komponenten im Inneren der Batterien gibt. Zusätzlich fehlt der Kohlenstoff der Grafitanode als Brennstoff. Sauerstoff als Oxidationsmittel ist hingegen weiter vorhanden. Der ist gebunden in der Kristallstruktur von Kathode und Elektrolyt und kann bei hohen Temperaturen freigesetzt werden. Wie sich eine Festkörperzelle mit Lithium-Anode genau verhalten wird, müssen aufwendige Tests noch zeigen.

Wie setzt sich eine Lithium-Ionen-Festkörperzelle zusammen?

Im Wesentlichen gibt es drei Entwicklungsstränge. Erstens polymere Festkörperbatterien mit einem polymeren Festkörperelektrolyten. Zweitens gibt es sulfidische Systeme, mit Schwefelverbindungen. Diese bilden unter Druck eine gute Grenzfläche aus. Und es gibt rein keramische Systeme. Alle drei genannten Varianten lassen sich vielfältig miteinander kombinieren. Je nach Anforderung können unterschiedliche Kombinationen sinnvoll sein. Verfahrenstechnisch ist das auch durchaus anspruchsvoll.

Worin genau besteht die Schwierigkeit bei Festkörperbatterien?

Sie liegt vor allem in der lückenfreien Fügung, also dem Kontakt zwischen Anode, Kathode und Elektrolyt. Das ist unglaublich komplex. Hier fließen erhebliche Entwicklungsanstrengungen hinein. Dieses defektfreie Fügen in den Griff zu bekommen, ist die größte Herausforderung in der industriellen Fertigung. Im Grunde lassen sich fast alle Schwierigkeiten auf das Verhalten an der Grenzfläche zurückführen.

Lassen Sie uns einen Blick auf den Batteriemarkt werfen. Wie wird sich dieser in der nächsten Zeit entwickeln?

Was den Markt angeht, sind Prognosen enorm schwierig. Die Entwicklung ist rasant. Vor anderthalb Jahren sind wir von einer Produktionsleistung in 2025 von 800 GWh ausgegangen und von knapp 2.000 GWh in 2030. Heute sprechen wir schon von 3.000 GWh im Jahr 2030 geschätzter Jahreskapazität. Das bedeutet, innerhalb von anderthalb Jahren haben sich die Prognosen um 30 Prozent nach oben korrigiert. Fakt ist, dass wir am Anfang eines exponentiellen Wachstums stehen. Die genaue Potenz lässt sich zu diesem frühen Zeitpunkt nur schwer vorhersagen. 2015 hatten wir noch nicht mal die 100-Gigawatt-Marke überschritten!

3.000 GWh sind eine Hausnummer, zumal in Europa noch keine einzige Gigawatt-Factory existiert. Wie lässt sich das überhaupt erreichen?

Ziel von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und anderen ist es, 30 Prozent dieses Marktes zu adressieren. Wir müssten also 1.000 GWh in Europa installieren. Eine Gigawatt-Factory produziert ungefähr 20 bis 30 GWh im Jahr. Nötig wären somit 30 Giga-Factories. Diese Pläne decken sich mit denen des EU-Kommissionsvizepräsidenten Maroš Šefčovič, zuständig für die Europäische Energieunion. Vor dem Hintergrund eines potenziell 250 Milliarden Euro großen Marktes für Batterien in Europa hat er die European Battery Alliance ins Leben gerufen. Diese verfolgt das Ziel, auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette, von der Forschung bis hin zur Vermarktung, ein Zellproduktions-Ecosystem auf die Beine zu stellen. Die Allianz wird von der Überzeugung getrieben, dass man sich auf dem Markt positioniert und ihn nicht anderen, etwa asiatischen Herstellern, allein überlässt. Den 250 Milliarden Euro würden 2025 circa zehn bis 20 Gigawatt-Factories entsprechen. Das sind besondere Größenordnungen, von denen wir hier sprechen.

Die Produktion moderner Lithium-Ionen-Akkus liegt größtenteils in den Händen asiatischer Firmen. Können die Europäer die Asiaten überholen?

Das ist nicht das Ziel von Altmaier und Šefčovič. Wir Europäer sollten das Ziel haben, einen erheblichen Anteil an diesem Markt zu haben und diesen nachhaltig zu sichern. Den asiatischen Markt zu überholen - das wäre unrealistisch und auch vermessen.

Welche Maßnahmen gibt es, um die technologischen Vorteile nach Europa zu holen?

Da gibt es einige im Rahmen der Horizon 2020 oder der zukünftigen Mission-Europe-Rahmenprogramme. Innerhalb von ihnen werden länderübergreifend große Forschungs- und Innovationsprojekte auf EU-Ebene bearbeitet. Zusätzlich unterstützen wir die „Battery 2030+“-Initiative. Sie verfolgt das Ziel, entlang einer ambitionierten und langfristigen Roadmap zukünftige Zelltechnologien zu entwickeln. Da sind wir an vorderster Front dabei. Das ist quasi der Startpunkt, die Technologien von morgen zu entwickeln, um 2030 die richtige Technologie parat zu haben. Forschung an den Grundlagen flankieren somit die notwendigen Aktivitäten, um eine europäische Zellproduktionsstätte ins Leben zu rufen und nachhaltig zu positionieren.

Northvolt will in Schweden eine Giga-Factory bauen, die ersten Akkus sollen 2020 vom Band laufen. Die ersten Schritte werden also unternommen?

Ja, es sieht danach aus. Wenn der Markt weiter so anzieht - und die Automobilbauer, als größte Beteiligte im Markt, rechnen sehr stark damit - wird es eine erhebliche Nachfrage geben. Dann bildet sich auch ein großer Markt in Europa. Die Frage ist nur, wie wir eine europäische Produktion rechtzeitig voranbringen, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. Dass es eine erhebliche europäische Produktion geben muss, davon kann man zum heutigen Zeitpunkt auf jeden Fall ausgehen, die Schwierigkeit ist, überhaupt in diesen Markt reinzukommen. Da hat sich Europa einfach relativ lange zurückgehalten.

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