Fachbeitrag Die Wiederentdeckung des Gleichstroms

ABB AG


Gleichstrom hautnah: Die Niederspannungs-Gleichstrom-Hauptverteilung im DC-Rechenzentrum

22.06.2012

Wechselstrom hat die Stromversorgung seit über 100 Jahren dominiert, wo immer es um große Mengen und Entfernungen ging. Nicht nur mit der Hochspannungsgleichstromübertragung über weite Strecken scheint diese Vorherrschaft nun ins Wanken zu geraten, sondern auch bei lokalen Stromfressern. In der Schweiz ging nun ein Rechenzentrum mit Gleichstrom-Technik in Betrieb.

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Ende des 19. Jahrhunderts tobte in den USA ein elektrisierender Krieg: Der Erfinder Thomas Alva Edison und der aus der Industrie stammende George Westinghouse stritten um die geeignete Technik für die Stromversorgung Amerikas. Während Edison auf Gleichstrom setzte, trieb Westinghouse den einfach transportierbaren Wechselstrom voran, der höhere Spannungen ermöglichte, sich mit weniger Verlusten transportieren ließ und auch für Motoren geeignet war.

Den Kampf um den Strom konnte damals Westinghouse für sich entscheiden. Seitdem steht unsere Welt in weiten Teilen unter Wechselspannung. Über 100 Jahre später erlebt die Gleichstromtechnik jedoch eine Renaissance: Über große Strecken (bei Offshore-Windparks etwa ab 100 km Distanz, bei Onshore-Transportleitungen ab einigen Hundert Kilometern) kommt immer öfter die Hochspannungsgleichstromübertragung zum Einsatz, und auch in der Niederspannungstechnik eröffnen sich bei der lokalen Stromversorgung attraktive Einsatzfelder. So realisierten in der Schweiz drei internationale Unternehmen das weltweit erste Rechenzentrum mit einer 380-Volt-Gleichstromversorgung.

Die Ironie der Geschichte: Das Energieverteilungssystem für das Datacenter liefert ABB. Ausgerechnet Charles Brown, einer der Gründungsväter des Schweizer Elektronikkonzerns, hatte damals den Kampf um die Stromversorgung entschieden, indem er Generator und Transformator für ein Hochspannungs-Drehstromübertragungssystem in Deutschland bereitstellte, mit dem sich der Wechselstrom hochtransformieren und über 176 km Entfernung übertragen ließ. Trotzdem setzt das Unternehmen nun in Lupfig auf eine Gleichstromversorgung von rund 1 MW und will auf einem Drittel der Fläche den effizienten Betrieb von Rechenzentren demonstrieren, die rund hundertmal mehr Energie als durchschnittliche Bürogebäude verbrauchen.

Betreiber des Rechenzentrums ist Green Datacenter, ein auf internetbasierte Datenkommunikation und Sicherheit spezialisierter Dienstleister. Klar, dass Sicherheit daher in Lupfig ganz großgeschrieben wird: Der Zutritt ist nur unter Vorlage eines Personalausweises und in Anwesenheit eines Green-Mitarbeiters möglich, der seine Hand vor einen Venen-Scanner hält, damit die Tür sich öffnet. „Daten sind das neue Gold in der Schweiz“, scherzt Franz Grüter, CEO bei Green. „Die hüten wir genauso diskret wie das Geld in den Schweizer Banken.“

Warum DC statt AC?

Neben der Sicherheit spielt in Lupfig aber vor allem Effizienz eine Rolle, die mit der Gleichstromtechnik (Direct Current, DC) erreicht werden soll. Während Wechselstrom mehrere Umwandlungsschritte erfordert, kann Gleichstrom die Hardware auf Basis einer vereinfachten Architektur versorgen: Zunächst formt eine Gleichrichtereinheit aus Mittelspannungs-Lastschalter, Transformator und Gleichrichter die 16-kV-Wechselspannung des lokalen Energieversorgers in eine 400-V-Gleichspannung um. Ohne weitere Umwandlung versorgt sie über vereinfachte DC-Netzteile die gleichstromfähigen Server.

Die HVDC-fähige IT einschliesslich der Server und Speichersysteme lieferte Hewlett-Packard. Der schlankere Umwandlungsprozess reduziert die Energieverluste um etwa zehn bis zwanzig Prozent. Bei im Schnitt rund 80 Millionen MWh, die ein Rechenzentrum pro Jahr verbraucht, ist allein das eine gewaltige Menge. Zudem sinkt die Abwärme und erfordert weniger Kühlleistung - ein positiver Nebeneffekt.

Da drängt sich die Frage auf, warum dann nicht gleich jedes neue Datacenter mit Gleichstrom versorgt wird. André Schärer, Vizepräsident der globalen Geschäftseinheit Niederspannungssysteme bei ABB, bremst die Euphorie: „Die Abschaffung von unnötigen Umwandlungen ist ein Paradigmenwechsel, der noch einige Jahre dauern wird.“ Insbesondere sei für den Wechsel zu Gleichstrom ein gesamtes DC-Ökosystem nötig und dazu gehöre neben der Hardware und den Kühlanlagen auch die Gebäudeinfrastruktur. Die grösste Baustelle sei aktuell aber noch die IT, wobei im Verlauf des Jahres noch einige Fortschritte erwartet werden. So will etwa HP im Herbst damit beginnen, gleichstromfähige Hardware zu liefern.

Ein neuer Stromkrieg ist also vorerst nicht zu befürchten. Das Vorzeigeprojekt soll aber zumindest Anreiz für die Entwicklung energieeffizienter Rechenzentren sein, die angesichts wachsender Datenmengen einen immer größeren Energiehunger entwickeln. Zwar ist der erste Schritt getan, so Tarak Mehta, Leiter Niederspannungsprodukte bei ABB, „aber es werden die Kunden sein, die entscheiden, ob sich das auch etablieren wird.“

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