Kommentar Automation neu definieren

Dr. Eckhard Roos studierte Elektrotechnik an der TU Darmstadt. Nach Stationen bei Hoechst und ABB leitet er seit 2006 das globale Industrie- und Key Account Management für Prozessindustrien bei Festo. Er ist im Vorstand der GMA und Leiter des AK Energieeffizienz im FV Automation des ZVEI.

Bild: Festo
18.09.2019

Digitalisierung hat sich längst als Treiber des Wandels in der Automatisierung von Produktionsanlagen und Prozessen etabliert. Kein Bereich bleibt davon unberührt. Aber neue Möglichkeiten erfordern auch den Willen, ausgetretene Pfade zu verlassen, um Nutzenpotenziale zu heben. Neues Denken ist in vielen Bereichen erforderlich. Sind wir reif dafür?

Dr. Eckhard Roos war mit diesem Beitrag im P&A-Kompendium 2019/2020 als einer von 100 Machern der Prozessindustrie vertreten.

Digitalisierung wird sowohl die Automatisierungstechnik von Produktionsanlagen als auch die damit verbundenen Prozesse über den Lebenszyklus der Anlagen signifikant ändern. Wie gehen wir als Unternehmen damit um? Modularer Anlagenbau wird Komplexität im Bau und in der Instandhaltung der Anlagen reduzieren und Flexibilität bei Umrüstungen geben. Aber akzeptieren zum Beispiel Anwender, den Durchgriff bis auf das letzte Bit im Sensor aufzugeben?

Digitale Aktoren im Feld erfordern neues Denken im Vertrieb, in der Projektierung und beim Anwender. Es geht nicht mehr darum, einzelne technische Features von Komponenten zu vergleichen, um Investitionsentscheidungen zu treffen. Der Gesamtnutzen digitaler Komponenten muss transparent werden.

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Digitalisierte Ventilinsel

Ein Beispiel hierfür ist die neue digitale Ventilinsel von Festo, das Motion Terminal VTEM. Die Parallelität mit dem bekanntesten Gerät aus der Konsumgüterindustrie, dem Smartphone, ist verblüffend. Durch die Ergänzung zusätzlicher Sensorik und die konsequente Integration von Mechanik, Elektronik und Software können völlig neue monetäre Vorteile in allen Phasen des Anlagenlebenszyklus erreicht werden.

Vergleichbar zum Smartphone können auf einer standardisierten Hardware-Plattform durch die Installation von Software-Apps bis zu 50 unterschiedliche pneumatische Anwendungen realisiert werden. Die Vorteile der Hardware-Standardisierung werden hier kombiniert mit der Flexibilisierung der Automatisierungsfunktion durch Software-Apps.

Die dezentrale Verarbeitung von Prozessinformationen in digitalisierten Ventilinseln ermöglicht auch die automatische Anpassung der Steuerung des Prozesses an sich ändernde Gegebenheiten, praktisch autonom und dezentral im Feld. Und wir sind derzeit dabei, mit Anwendern neue Apps für deren individuelle Anforderungen zu diskutieren und zu realisieren: beispielsweise die Positionserkennung, bei der auf traditionelle Endschalter oder Sensorboxen verzichtet werden kann, oder die Vermeidung von Vibrationen beim Öffnen von Klappen im Wasser/Abwasser-Bereich.

Der „Fight for Talents“ wird härter

Und noch faszinierender: Wir sind noch lange nicht am Ende in der Diskussion neuer Apps, sondern erst am Anfang. Es ist sehr motivierend zu sehen, wie Anwender die Vorteile der Technologieintegration auf eigene Problemstellungen projizieren. Aber es erfordert auch Umdenken im Vertrieb.

Es geht nicht mehr darum, einzelne Features und Produkte zu verkaufen, sondern Nutzen transparent zu machen und die Projektbeteiligten bei der Implementierung zu begleiten – deutlich stärker als bei traditioneller Technologie. Ein Beispiel, wie durch Digitalisierung eine altbewährte und robuste Technologie auf ein völlig neues Niveau der Automatisierung gehoben werden kann und anwenderspezifische Automatisierungsaufgaben durch Software-Apps gelöst werden können.

Unternehmen müssen aber auch auf den sich abzeichnenden demographischen Wandel reagieren. Der „Fight for Talents“ wird zukünftig noch härter und internationaler ausgetragen werden. Der Grad der Implementierung von Digitalisierung in der Vernetzung mit Kunden, in Produkten und in der eigenen Produktion wird sich zukünftig zu einem starken Wettbewerbsfaktor bei der Rekrutierung qualifizierter Mitarbeiter entwickeln.

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