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Touch-Panel-Steuerungssystem Alte Loks modern gesteuert

Syslogic GmbH

Bild: AAIT, Syslogic
06.11.2016

Auch über dreißig Jahre alte Lokomotiven können heute noch wirtschaftlich eingesetzt werden. Umbauten wie die Integration von modernen Touch-Panel-Computern für die Fernsteuerung und Doppeltraktion sowie neue Zugsicherungssysteme machen das möglich.

Im Zeitalter von IoT wirkt der Führerstand einer deutschen Einheitslok ziemlich antiquiert: Hebel, Schalter, Knöpfe – analog durch und durch. Doch die Loks gehören nicht zum alten Eisen. Noch immer werden sie wirtschaftlich im Güterverkehr eingesetzt, auch wenn sie die typische Lebensdauer von rund 30 Jahren längst überschritten haben.

Auch altes Rollmaterial muss moderne Sicherheitsanforderungen erfüllen. Zudem benötigen alte Loks neue Funktionen für den wirtschaftlichen Betrieb. Ein Unternehmen, das sich damit auskennt, ist das Nürnberger Ingenieurbüro AAIT (Angewandte Anlagen- und Industrietechnik), ein Gesamtanbieter für Schaltungs- und Steuerungstechnik im Bahnbereich. Das wichtigste Standbein ist die Komplettmodernisierung von Elektro- und Dieselloks. Dazu können eine Funkfern- oder Doppeltraktionssteuerung, Ferndiagnosesysteme, Zugsicherungssysteme sowie Sicherheits- oder Überwachungssteuerungen nachgerüstet werden.

In einem aktuellen Projekt hat das Unternehmen moderne Touch-Technologie in den Führerstand von deutschen Einheitsloks integriert und damit deren Lebensdauer um 15 Jahre verlängert. Dazu wurde eine komplett neue Fahrzeug- und Antriebssteuerung entwickelt. Dank dieser lassen sich die Loks beim Rangieren nicht nur über einen Bauchladen fernsteuern, sondern sie lassen sich auch koppeln, im Fachjargon spricht man dabei von Doppeltraktion. Durch das Koppeln zweier Lokomotiven lässt sich die Zugkraft verdoppeln. Dadurch können gegenüber einfacher Traktion schwerere Züge befördert oder stärkere Steigungen bewältigt werden.

Robuste Panels für den Rolling-Stock-Einsatz

Als Eingabegerät im Führerstand steht ein moderner Touch-Panel-Computer zur Verfügung, der als Technik- und Diagnose-Display dient. Darüber werden der Zustand des Fahrzeuges sowie Warnungen oder Störungen angezeigt und Steuerungsfunktionen ausgeführt. So werden über das Panel-Display die Stromabnehmer gehoben oder gesenkt, die Feststellbremse wird bedient oder es werden Zugdaten wie Gewicht und Länge eingegeben. Für die sicherheitsrelevanten Funktionen setzt AAIT ergänzend ihre selbst entwickelte Safety Control Unit (SCU) als Überwachungssteuerung ein. Sämtliche Umbaumaßnahmen in den Bereichen Elektronik, Mechanik und Pneumatik wurden durch AAIT geplant und durch eine Partnerwerkstätte durchgeführt.

Als HMI-System im Führerstand kommt ein Touch-Panel-Computer aus der PCT-Serie des Embedded-Anbieters Syslogic zum Einsatz. Die Anforderungen an Robustheit und Zuverlässigkeit sind sehr hoch. Der Touch Panel Computer ist für den erweiterten Temperaturbereich von -40 bis +70 Grad gemäß EN 50155, Klasse TX ausgelegt. Zudem lässt sich das Display bei direkter Sonneneinstrahlung leicht ablesen. Ein weiterer Vorteil ist die hohe Flexibilität hinsichtlich Anpassungen. „Obwohl es bei unserem Projekt um eher kleine Stückzahlen ging, hat Syslogic zugesagt, ihr Standardgerät nach unseren Anforderungen zeit- und kosteneffizient anzupassen“, sagt Jürgen Weber, Geschäftsführer von AAIT.

Möglich macht das die Fertigungstiefe von Syslogic. Die meisten Hersteller von HMI-Systemen greifen auf Boards von asiatischen Herstellern zurück. Das führt dazu, dass der Konfigurationsmöglichkeit enge Grenzen gesetzt sind. Der Embedded-Anbieter setzt auf eine selbst entwickelte Zwei-Board-Lösung, basierend auf dem E3845-Prozessor von Intel. Diese besteht aus einem Core-Board und einem Carrier- oder Main-Board, welches schnell und einfach angepasst wird.

Industrielle Flash-Speicher und passive Kühlung

Im Fall von AAIT sind verschraubbare M12- anstelle von standardmäßigen RJ45-Steckern für das Ethernet und die Speisung integriert worden. Für den zuverlässigen Bahnbetrieb unter ständigen Vibrationen sind robuste Schnittstellen unerlässlich. Daher hat man auf bewegliche Teile verzichtet. Das bedeutet, dass die Panel Computer passiv gekühlt werden, und dass anstelle von Harddisks industrielle Flash-Speicher eingesetzt werden. Damit erfüllen sie auch die in der Bahnbranche wichtige Schock- und Vibrationsnorm EN 61373. Weiterhin lackiert Syslogic die verwendeten CPU-Boards mit einer Schutzlackierung, welche eine Betauung verhindert. Das ist insofern wichtig, weil der Führerstand der Einheitslok nicht klimatisiert ist und daher dort extreme Temperaturen sowie eine hohe Luftfeuchtigkeit zum Alltag gehören. Außerdem verfügen die eingesetzten Panel Computer über einen galvanisch getrennten Speisungseingang und sie halten auch den bahntypischen Speisungsschwankungen stand. Darüber hinaus war es für AAIT wichtig, dass die Geräte auf einer X86-Plattform aufbauen. Weber sagt: „Wir kommen aus der klassischen Anwendungsentwicklung. Entsprechend werden leistungsfähige Plattformen benötigt.“

Die ersten Lokomotiven sind bereits mit dem neuen Steuerungssystem ergänzt worden. Auch die ersten Rückmeldungen des Eisenbahnverkehrsunternehmens, welches diese Loks einsetzt, sind positiv. Deshalb werden bereits weitere Systeme für den Einbau vorbereitet. Auch für Folgeprojekte sieht Weber Potenzial, denn die Elektronikentwicklung schreite so rasch voran, dass die Nachfrage nach Modernisierungen für Rollmaterial noch weiter zunehmen werde. Die deutsche Einheitslok sei sicherlich ein Extrembeispiel, doch auch bei wesentlich jüngeren Loks würden sich Modernisierungen auszahlen.

Bildergalerie

  • Testaufbau: Die Touch-Panel-Computer werden speziell für den jeweiligen Führerstand angepasst.

    Testaufbau: Die Touch-Panel-Computer werden speziell für den jeweiligen Führerstand angepasst.

    Bild: AAIT

  • Jürgen Weber demonstriert die Steuerungssoftware, welche auf dem robusten Bahn-Panel läuft.

    Jürgen Weber demonstriert die Steuerungssoftware, welche auf dem robusten Bahn-Panel läuft.

    Bild: AAIT

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