Topologische Phase in Spinketten nachgewiesen Zukünftiges Rechnen mit Quantencomputern erleichtern

Dr. Pimonpan Sompet (Erstautorin des Artikels) beim Justieren der Frequenzverdopplungscavity. Das hier generierte UV-Licht benutzen die Forschenden, um die verwendeten Lithiumatome zu kühlen.

Bild: MPQ
03.06.2022

In einer speziellen Anordnung aus atomaren Spins haben Max-Planck-Physiker im Experiment die Eigenschaften der sogenannten Haldane-Phase vermessen. Dazu nutzten sie einen quantenmechanischen Kniff. Die Ergebnisse könnten in Zukunft bei Quantencomputern ihre praktische Anwendung finden.

Jegliche Materie tritt in unterschiedlichen Phasen auf, die ineinander übergehen können. Ein Beispiel dafür ist Wasser, das in flüssiger Form, als Eis oder Dampf existiert – je nach den äußeren Bedingungen.

Die verschiedenen physikalischen Phasen haben zwar dieselbe chemische Zusammensetzung, aber ein unterschiedliches Maß an innerer Ordnung. Ändern sich etwa die Temperatur oder der Druck, wechselt das Wasser an einem bestimmten Punkt in eine andere Phase.

Allerdings: Bei manchen Materialien existieren Phasen, zwischen denen ein Übergang nicht möglich ist, da sie durch eine bestimmte Form von Symmetrie geschützt sind – einer Eigenschaft des Systems, das dadurch beispielsweise bei einer Spiegelung oder Drehung unverändert bleibt. Nur durch Aufhebung der Symmetrie ist ein Phasenübergang möglich. Die Physiker sprechen dabei von topologischen Phasen – Materiezuständen, deren Erforschung in den letzten Jahren zu einem tieferen Verständnis der Struktur von Quantensystemen geführt hat.

Die Vermessung der Haldane-Phase

Bislang waren solche Eigenschaften fast nur für theoretische Modelle und Berechnungen oder durch indirekte Messungen an Festkörpern zugänglich. Doch nun ist es einem Team von Forschenden am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching gelungen, eine besondere, beispielhafte Art von topologischer Phase im Labor zu erzeugen und experimentell zu analysieren.

Die Wissenschaftler in der MPQ-Abteilung Quanten-Vielteilchensysteme unter der Leitung von Prof. Dr. Immanuel Bloch und Dr. Timon Hilker schufen eine sogenannte Haldane-Phase. Sie ist nach dem britischen Physiker Duncan Haldane benannt, der die topologischen Phasen von Quantensystemen erstmals beschrieben hat und dafür 2016 gemeinsam mit zwei weiteren Forschern den Physiknobelpreis erhalten hat.

Haldane richtete seinen Blick unter anderem auf die mögliche Existenz einer topologischen Phase in einer Kette aus antiferromagnetischen Spin-1-Teilchen. Ein Spin ist eine quantenmechanische Eigenschaft von Teilchen wie Elektronen oder Atomen, die sich in einem simplen Bild als Drehimpuls des Partikels bei einer Rotation um die eigene Achse interpretieren lässt. In einem antiferromagnetischen Material bevorzugen die Spins in ihrer direkten Umgebung Spins mit einer anderen Drehrichtung.

Das kann zu einer periodischen Ordnung der Spins führen, von der aber in Spin-1-Systemen bei klassischen Messungen nichts zu sehen ist. Die theoretische Vorhersage war, dass es trotzdem eine Ordnung gibt, die jedoch „verborgen“ ist. Um sie zu erkennen, müssten alle Spins einzeln und gleichzeitig vermessen werden – was in Festkörpern nicht möglich ist. Doch die Forscher am MPQ nutzten künstliche Materialen, bei denen die Spins viel weiter voneinander entfernt sind. Darin stellten sie eine Spin-1-Kette mit den von Haldane beschriebenen Merkmalen her.

Der Trick mit den Spin-Paaren

„Bisher war das nur schwer zu realisieren“, sagt Sarah Hirthe. Deshalb griff die Doktorandin am MPQ gemeinsam mit ihrem Kollegen Dominik Bourgund und weiteren Mitgliedern des Garchinger Teams zu einem Trick: „Wir erzeugten eine Spin-1-Kette auf indirekte Weise, indem wir sie aus Spins mit dem Wert ½ aufbauten, von denen wir je zwei addierten“, erklärt Bourgund. Auf diese Weise entstanden Zellen mit ganzzahligem Spin, die kettenförmig aufgereiht waren.

Um diese besondere Struktur zu realisieren, nutzte das Team ein sogenanntes Quantengasmikroskop. Mit einer solchen Vorrichtung lassen sich beispielsweise die magnetischen Eigenschaften einzelner Atome untersuchen, die zuvor auf bestimmte Weise angeordnet wurden. Die Wissenschaftler sprechen daher auch von einem Quantensimulator, mit dem Materie aus ihren elementaren Bausteinen künstlich aufgebaut wird.

„Dazu nutzen wir stehende Wellen aus Laserlicht, die eine Art Gitter für Atome formen“, erklärt Hirthe. Dieses Gitter wird dann mithilfe von weiteren Lasern und unzähligen winzigen, beweglichen Spiegeln in die gewünschte Form gebracht.

„Für die Experimente zur topologischen Haldane-Phase brachten wir Atome in ein solches zweidimensionales optisches Gitter ein“, berichtet die Physikerin. „Im Vakuum und bei einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt ordneten sich die Atome dann exakt in der vom Licht vorgegebenen Weise an.“

Die Forschenden wählten eine Gitterstruktur, die die Atome zusammen mit ihren Spins in die Gestalt einer Leiter brachten – mit zwei „Holmen“ und dazwischenliegenden „Sprossen“. „Die Sprossen dieser sogenannten Fermi-Hubbard-Leiter verbanden jeweils zwei atomare Spins zu Einheitszellen mit dem Spin 1“, erklärt Bourgund. „Bei dieser Anordnung orientierten wir uns an einem Konzept, das in der theoretischen Physik als AKLT-Modell bekannt ist.“

Eine atomare Leiter mit „baumelnden“ Randspins

„Der Clou an dem Versuch war, dass wir die Ränder des Systems speziell zugeschnitten haben“, sagt Hirthe: Die beiden Beine der Quanten-Leiter waren um ein Atom gegeneinander verschoben. So ließen sich die halbzahligen Spins der Atome diagonal versetzt zu Einheitszellen kombinieren. Die Folge dieser Gestalt: An beiden Enden des Systems „baumelten“ einzelne Spins ohne direkten Partner – im Fachjargon Edge States oder Randzustände genannt.

„Solche Spins und ihre magnetischen Momente können ohne zusätzlichen Energieaufwand verschiedene Orientierungen annehmen“, erklärt Bourgund. Dadurch verleihen sie dem System charakteristische, auf der besonderen Symmetrie beruhende Eigenschaften – die typischen Kennzeichen der Haldane-Phase. Zum Vergleich schufen die Max-Planck-Forschenden auch eine „triviale“ topologische Phase ohne Randzustände.

Um die Merkmale der beiden Phasen zu analysieren, maßen die Wissenschaftler unter dem Quantengasmikroskop die Magnetisierung sowohl der einzelnen Spins als auch des gesamten Systems aus allen Atomen entlang eines gedanklichen Fadens. Nur so war es möglich, die vorhergesagte „verborgene“ innere Ordnung zu finden.

„Unsere Ergebnisse bestätigen die erwarteten topologischen Eigenschaften sowohl des Gesamtsystems als auch der Randzustände“, stellt Timon Hilker fest, der das Projekt leitet. „Das zeigt: Wir haben die komplexe Struktur durch ein einfaches System für Messungen zugänglich gemacht.“

Solide Basis fürs Quantenrechnen?

Durch ihre Resultate haben die Max-Planck-Forschenden nicht nur die Basis gelegt, um theoretische Vorhersagen zu topologischen Phasen experimentell zu überprüfen. Ihre neuen Erkenntnisse könnten künftig auch eine praktische Anwendung finden – in Quantencomputern. Deren Funktion beruht auf „Qubits“, grundlegenden Recheneinheiten in Gestalt von Quantenzuständen.

Das Manko bei der technischen Realisierung liegt bislang in deren geringer Stabilität: Verlieren die Qubits ihren Wert, so gehen auch die Daten verloren. Ließen sie sich durch topologische Phasen darstellen, die wegen ihrer engen Bindung an eine grundlegende Symmetrie recht robust gegenüber äußeren Störeinflüssen sind, könnte dies das Rechnen mit einem Quantencomputer deutlich vereinfachen.

Bildergalerie

  • Darstellung der wichtigsten Konzepte im Paper: links eine Illustration des verwendeten Gitterpotentials, rechts ein exemplarischer Schnappschuss einer einzelnen Leiter mit 14 einzelnen in grün erkennbaren Atomen

    Darstellung der wichtigsten Konzepte im Paper: links eine Illustration des verwendeten Gitterpotentials, rechts ein exemplarischer Schnappschuss einer einzelnen Leiter mit 14 einzelnen in grün erkennbaren Atomen

    Bild: MPQ

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