Smart Building Wohnquartiere nachhaltig und wirtschaftlich versorgen

Heißwasserkessel: Für eine bestmögliche Versorgung wird die Leistungsfähigkeit des BHKW erhöht.

Bild: Urbana
12.09.2014

Die Quartiersentwicklung ist eine der aktuellen Herausforderungen der Wohnungswirtschaft. Die Modernisierung der Energieversorgung als eine der tragenden Säulen verlangt nach neuen und individuellen Lösungswegen.

Wohnquartiere – auch urbane Großwohnsiedlungen – sind in ihren Strukturen und örtlichen Rahmenbedingungen meist vielfältiger, als von außen wahrgenommen wird. Anforde­rungen an die baulichen beziehungsweise infrastrukturellen Modernisierungen innerhalb der Quartiere sind deswegen generell sehr unterschiedlich. Wie hoch ist der Investitionsbedarf, mit welchen örtlichen Marktgegebenheiten ist das Quartier konfrontiert, wie ist das Quartier in die städtische Infrastruktur eingebettet, und welche kommunalen Entwicklungspläne liegen vor? Der Bereich der Energieversorgung bietet hier die Chance, über individuelle Konzepte und Lösungen nachhaltig die Wohnqualität zu steigern und den Wohnraum trotzdem bezahlbar zu halten.

Die Kernfragen der Quartiersversorgung

Drei Kernfragen, die in der Branche bereits ausführlich diskutiert werden, sind der demografische Wandel, der Klimawandel und die Bezahlbarkeit von Wohnraum. Regulatorische Eingriffe in den Immobilienmarkt durch den Gesetzgeber sind zwar stark umstritten, bestimmen aber den Rahmen. In der Summe bedeutet das: Die Bewirtschaftung von Immobilien wird teurer, während die Einnahmen gedeckelt werden. Der nachhaltige energetische Umbau urbaner Räume – vom großen Quartier bis zur kleineren Liegenschaft – erfordert umfassende, technologisch herausfordernde und kostspielige Maßnahmen.

Der Aufbau einer neuen Versorgungsinfrastruktur ist ein weites Feld: Von der Modernisierung der Energietechnik über die Integration regenerativer Energiequellen in das Gesamtkonzept bis zur digitalen Vernetzung einzelner Wohneinheiten mit der Versorgungstechnik. Hinzu kommen alle während des Betriebs im Hintergrund laufenden Prozesse – von der Erfassung und Abrechnung der Verbräuche bis hin zum Managen der Stromflüsse im eigenen Bilanzkreis. Die ganzheitliche energetische Modernisierung von Quartieren ist ein umfassendes Vorhaben, anders als einzelne Sanierungsmaßnahmen wie die Dämmung einer Gebäudehülle oder der Einbau neuer Brennwerttechnik. Die wenigsten wohnungswirtschaftlichen Unternehmen können und wollen Konzeptentwicklung, Modernisierung und anschließende Betriebsführung mit ihren eigenen finanziellen und personellen Kapazitäten stemmen.

Umfassende Modernisierungsmaßnahmen werden deshalb von Wohnungsunternehmen oft in Kooperation mit Energiedienstleistern umgesetzt. Vor dem Hintergrund der sich stark verändernden technischen Möglichkeiten und ihrer Auswirkungen auf die wirtschaftliche Realität müssen dies aber Dienstleister sein, die über die Grenzen der eigenen Branche hinausgehen, um so die Versorgungssituation ganzheitlich und interdisziplinär angehen und lösen zu können – zum Beispiel in Form modularer Portfolioansätze. Diese können den individuellen baulichen, technischen und sozialen Rahmenbedingungen und Notwendigkeiten gerecht werden und darüber hinaus die Möglichkeit bieten, neue technische und wirtschaftliche Potenziale zu erschließen.

Leuchtturm im Berliner Quartier

Im Mai 2014 fiel im Falkenhagener Feld in Berlin-Spandau der Startschuss für ein Leuchtturmprojekt der Quartiersversorgung durch eine Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage (KWK). Das Wohnungsunternehmen Gewobag Berlin und der Energiedienstleister Urbana integrierten in eine bestehende Quartiersversorgung durch eine neue KWK-Anlage ein Mieterstrom-Angebot exklusiv für die Anwohner. Die Mieter in über 1400 Wohneinheiten können seitdem neben Wärme auch Strom als Vor-Ort-Angebot direkt aus dem eigenen Quartier beziehen. Langfristig soll das Angebot auf bis zu 2100 Wohneinheiten ausgeweitet werden.

Dadurch wird Strom – im öffentlichen Diskurs bislang als nationales, wenn nicht gar europäisches Produkt wahrgenommen – wie Wärme zu einem Vor-Ort-Produkt. Das bringt den Anwohnern, aber auch der Allgemeinheit Vorteile, denn die Wärme und der Vor-Ort-Strom sind günstiger und umweltfreundlicher und entlasten die Übertragungsnetze. So konnten die zentralen Entwicklungsziele des Berliner Wohnungsunternehmens realisiert werden: Mit der umweltfreundlichen Vor-Ort-Energie werden die gesteckten Klimaschutzziele erreicht. Darüber hinaus lassen sich den Mietern kostengünstige Energie­preise anbieten, also attraktive Warmmieten.

Wärmegeführter Versorgungsansatz

Erfolgreiche Modernisierungen von Quartieren bauen auf den jeweils individuellen örtlichen Gegebenheiten auf. Hierzu gehörte im Falkenhagener Feld – von einem wärmegeführten Versorgungsansatz ausgehend – eine ausführliche Analyse der bereits vorhandenen energetischen Versorgungsinfrastruktur und der baulichen Anforderungen an die Energieversorgung. Anders als vielerorts erfolgreich praktiziert, konnten in Berlin die Altkesselstrukturen nicht in das neue Versorgungskonzept integriert werden. Für die Spitzenlastzeiten wurde auch dieser Teil der Infrastruktur modernisiert. Neben den Brennwertkesseln installierte der Energiedienstleister ein modernes Blockheizkraftwerk, einen zuverlässigen Industriegasmotor mit einer Leistung von 670 kWth und 600 kWel, der die Grundlastwärmeversorgung trägt. Über einen Wärmetauscher wird die Abwärme von Kühlwasser, Schmieröl, Gemischkühlung und von Motorgasen einem externen Wasserkreislauf zugeführt und kann so zur Warmwasserbereitung genutzt werden.

Um maximale Versorgungssicherheit zu garantieren, ist der 12-zylindrige Kolbenmotor mit einer elektronischen Hochleistungszündanlage ausgerüstet. Das garantiert einen fast wartungs- und verschleißfreien Dauerbetrieb mit einem Gesamtwirkungsgrad von bis zu 90 Prozent. Im Jahr liefert der Motor rund 11.000 MWh Wärme und 3200 MWh Strom.

Der so vor Ort produzierte Strom deckt im Jahresdurchschnitt rund 60 Prozent des Quartiersbedarfs, die restlichen 40 Prozent kommen als KWK-Strom über den Bilanzkreis des Energiedienstleisters in die Liegenschaft. Das ist aber deutlich weniger zugeführter Strom als bei vergleichbaren Mieterstrom-Projekten mit Photovoltaik.

Primärenergiefaktor kleiner 0,54

Die offensichtlichen energetischen Einsparpotenziale ergeben sich aus der hocheffizienten KWK-Technik. So erreicht das Berliner Quartier einen Primärenergiefaktor von unter 0,54. Zum Vergleich: Der Primärenergiefaktor beim Einsatz fossiler Energieträger liegt bei 1,1 bis 1,2 nach EnEV. Darüber hinaus hat die dezentrale Vor-Ort-Erzeugung von Strom noch weitere Vorteile: Je länger die Strecke, über die der Strom transportiert werden muss, desto höher der Übertragungsverlust der Energie. Auch mit modernster Leittechnik können hohe Verluste teilweise nicht vermieden werden.

Wird wie auf dem Falkenhagener Feld der Strom jedoch dezentral und nah beim Verbraucher produziert, werden diese Verluste vermieden. Beim Mieterstrom wird der Strom aus der KWK-Anlage erst gar nicht in das Übertragungsnetz eingespeist, sondern dem Verbraucher direkt vor Ort zur Verfügung gestellt. Das minimiert die Übertragungsverluste. Zudem entfallen für den vor Ort verbrauchten Strom die Entgelte für die Netznutzung. Diese werden von den Übertragungsnetzbetreibern erhoben und machen bei der Preisbildung rund 5 Cent pro Kilowattstunde aus.

Billiger als der Grundversorger

Ein Konzept, das diese Energieverluste und Kosten umgeht, hilft also bei der Umsetzung der Energiewende, sowohl physikalisch als auch monetär. Erstmals profitiert eine Kundengruppe von umweltfreundlicher Energieerzeugung und dem EEG, die vorher ausschließlich „Mitfinanziererin“ der EEG-Umlage war – nicht nur Eigenheimbesitzer, sondern auch Mieter sparen so durch die Energiewende. Das war auch das erklärte Ziel des Wohnungsunternehmens und des Energie­dienstleisters: den Strom immer preiswerter anzubieten als der örtliche Grundversorger in seinem niedrigsten Tarif. Ein Drei-Personen-Haushalt im Falkenhagener Feld, der Strom aus der KWK-Anlage bezieht, kann im Jahr bis zu 100 Euro Stromkosten im Vergleich zum örtlichen Grundtarif sparen.

Um heute und zukünftig ganzheitliche Quartierskonzepte erfolgreich realisieren zu können, gilt es, neue branchenübergreifende Verbindungen zu bilden: zwischen Energiedienstleistern und IT-Anbietern zum Beispiel. Es ist weit mehr erforderlich als bloß der Aufbau und Betrieb einer KWK-Anlage. Zentrale Kompetenzen sind der Kundenanlagenbetrieb, Messdienstleistungen, der Messstellenbetrieb und die Kompetenz der Bewirtschaftung eines Bilanzkreises. Im Fall des Falkenhagener Feldes kooperiert der Energiedienstleister Urbana mit der Deutschen Telekom, um die Leistungen Energieerzeugung, Effizienzsteigerung, Energieeinkauf, Verbrauchserfassung und Abrechnung intelligent und sicher zu vernetzen.

Smart-Meter-Infrastruktur

Wo mehrere hundert Wohneinheiten miteinander vernetzt sind, ist für eine detaillierte Erfassung und Verwaltung der Verbräuche eine Smart-Meter-Infrastruktur von Vorteil. In Berlin wurden in allen Liegenschaften des Quartiers Smart Meter installiert, die vom Energiedienstleister für das Erstellen der Abrechnungen ausgelesen werden. Für die sichere Übertragung der Zählerdaten und ihre Verarbeitung in zentralen Rechenzentren nach einem Cloud-Computing-Modell ist die Deutsche Telekom zuständig.

Eine Smart-Metering-Plattform ist das erste Modul in der Verarbeitungskette – sie initiiert das Auslesen der Daten und verwaltet die Adressen der einzelnen Smart Meter und der Smart-Meter-Gateways. Mit den Gateways übernimmt das IKT-Unternehmen die Verbrauchsdaten. Ein Meter-Data-Management (MDM) – das zweite Modul in der Verarbeitungskette – übernimmt die Verbrauchsdaten aus der Smart-Metering-Plattform. Das MDM stellt die gewonnenen Daten für verschiedene nachgelagerte Prozesse bereit.

Punktgenaue Abrechnung

Das dritte Modul ist eine modifizierte SAP-Branchenlösung, in der gängige Prozesse bereits vorkonfiguriert sind. Für dieses Projekt der Urbana wurden manche der Prozesse individuell angepasst. Alle Module sind in einer Cloud verfügbar und werden pro Zählpunkt und Monat abgerechnet. So können auch kleine und mittelständische Unternehmen mit Programmen wie SAP arbeiten.

Der Energiedienstleister oder -versorger kann auf die vorhandenen und erprobten IKT-Strukturen aufbauen und so seinen eigenen Kunden sowie den Kunden der Kooperationspartner ein sicheres, schnelles und zuverlässiges Management der Daten gewährleisten. Für alle Beteiligten werden die Abrechnungsvorgänge dadurch transparenter, flexibler und früher verfügbar.

Zum Beispiel wird so das Leerstandsmanagement beim Mieterwechsel für die Wohnungswirtschaft deutlich kosten­effizienter. Und auch für die Mieter gibt es Vorteile: Sie können in Zukunft ihren aktuellen Verbrauch jederzeit online über PC oder Smartphone abrufen und damit den Verbrauch besser kontrollieren und bei Bedarf regulieren.

Digitalisierung der Energieversorgung

Wohnungsunternehmen haben so in Zukunft die Möglichkeit, auch bei der Energieversorgung urbane Räume zu gestalten und damit durch die nachhaltige Modernisierung ihrer Liegenschaften einen Beitrag zur Energiewende zu leisten. Einige kommunale und genossenschaftliche Unternehmen übernehmen hier inzwischen eine Vorreiterrolle mit dem Ziel, die eigenen Quartiere über dezentrale Energieerzeugung durch attraktive Warmmieten und aktiven Klimaschutz aufzuwerten. Dass über die Teilhabe an Einsparungen durch die EEG-Systematik zudem die Akzeptanz der Energiewende bei den bisher finanziell stärker belasteten Bevölkerungsgruppen gestärkt wird, ist ein positiver Nebeneffekt.

Das Mieterstrom-Modell, also die auf dezentraler Energieversorgung fußende Vor-Ort-Versorgung von Immobilien mit Wärme und Strom, birgt großes Potenzial dafür, technische Inno­vation im Sinne der Energieeffizienz weiter voranzutreiben, vor allem im Hinblick auf die Digitalisierung der Energieversorgung.

Die Perspektive: Quartiere sollen in nachhaltig konzipierten Versorgungslösungen die technischen Möglichkeiten bekommen, um die noch an ihrem Anfang stehende Machine-­to-Machine-Kommunikation in der Betriebsführung stärker auszubauen. In der künftigen Entwicklung dezentraler Versorgungslösungen nehmen Großsiedlungen eine zentrale Stellung ein, da hier die Zwänge zu wirtschaftlichem Handeln in Kombination mit der Notwendigkeit energetischer und baulicher Modernisierung besonders hoch sind.

Bildergalerie

  • Kernstück: Der Verbrennungsmotor ist das Herz des BHKW. Er treibt den Generator an, der Strom und gleichzeitig Wärmeenergie produziert.

    Kernstück: Der Verbrennungsmotor ist das Herz des BHKW. Er treibt den Generator an, der Strom und gleichzeitig Wärmeenergie produziert.

    Bild: Urbana

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