Seit seiner Kindheit begeistert sich Olaf Schiwek für die Natur, das Konstruieren von Gebäuden auf dem Papier und für den Flugzeugbau. Der schonende und effiziente Ressourceneinsatz liegt dem Lehrer für Geografie und Biologie am Herzen. Warum er nicht Architektur studiert habe? „Dann hätte ich kubisch bauen müssen – und das wollte ich nie! Runde Gebäude haben mich schon immer fasziniert“. Klar, dass auch sein privates Wohnhaus ein Rundbau werden sollte. In der Stadt, wo er mit seiner Partnerin zunächst auf Grundstücksuche ging, stieß er damit auf wenig Begeisterung. Zu abgefahren sei die UFO-ähnliche Konstruktion hieß es vor allem auf Seiten des Bauamtes, das für die Baugenehmigung zuständig ist.
Das Paar ließ sich jedoch nicht beirren. Eher zufällig fiel ihnen bei einem Spaziergang in Winterborn, eine halbe Autostunde südlich von Bad Kreuznach, ein Grundstück auf, das zum Verkauf stand. Die Ortsgemeinde im Donnersbergkreis hat rund 170 Einwohner, die beide für ihre Idee gewinnen wollten. Dazu nahmen sie Kontakt zum Bürgermeister auf, der den Tagesordnungspunkt „drehbares Haus“ auf die Agenda einer Gemeinderatssitzung nahm. „Wir wollten nicht als Spinner abgetan werden, sondern uns mit unserer Idee als Bürger von Winterborn integrieren und akzeptiert werden“, erklärt er seine Beweggründe. Die Entscheidung, ihnen das Grundstück zu verkaufen und das eigenwillige Projekt zu unterstützen, fiel einstimmig. Enorm groß war dann auch die Hilfsbereitschaft der Ortsansässigen – ein Landwirt bot beispielsweise seine Scheune für das vorübergehende Unterstellen von großen Holzbauelementen an.
Von Frühling bis Herbst energetisch autark
Das Haus dreht sich in 24 Stunden einmal um die eigene Achse. Mit dem Antrieb von SEW-Eurodrive ist jedoch auch eine Umdrehung in der Stunde möglich. Doch wozu überhaupt ein drehbares Haus bauen? „Wegen des Wohnwertgewinns“, erläutert Olaf Schiwek. „Wenn ich beim Frühstück sitze, kann ich entscheiden, ob ich den Blick in die Ferne zu den Windrädern schweifen lasse oder ob ich lieber in Richtung des begrünten Hangs schaue“, führt er aus.
Die Drehung ermöglicht außerdem, die auf dem Dach angebrachten Kollektoren der Sonne nachzuführen und somit Strom zu erzeugen. Der Speicher reicht für einen Tag. Wenn er voll ist, fließt die überschüssige Energie in einen 1000-Watt-Heizstab zur Heißwasserversorgung für die Dusche, Spülmaschine und sonstige Warmwasserverbraucher. „Dadurch sind wir hier von März bis Oktober energetisch autark“, erklärt Schiwek stolz, „dazwischen heizen wir bei Bedarf mit einem Holzofen. Jedoch ist die Klimatisierung so durchdacht, dass er für circa 130 Quadratmeter Wohnfläche maximal vier Festmeter Holz braucht. „Prognostiziert wurden uns deutlich mehr; entsprechend viel haben wir eingekauft“, sagt er und grinst.
Geringe Bodenversiegelung
Bei seinen Überlegungen, wie denn nun sein Haus zu drehen sei, wandte er sich zunächst an eine Metallbaufirma. Von ihr erhielt er den Tipp, dass ein drehbarer Kran von der Konstruktion her sehr ähnlich sei wie das, was er als Unterbau für sein Haus brauche. Denn Kräne beherrschen Kräfte in einer Kugel-Dreh-Verbindung. Schiwek nahm Kontakt zur Wilbert TowerCranes GmbH auf.
Ihr damaliger Senior-Chef war von seiner Idee sofort begeistert und sicherte eine bezahlbare Lösung zu. Wilbert stellte das zentrale Bauwerk zur Krafteinleitung in das Großwälzlager her, die sogenannte Stahlkrone. Dabei kam es auf höchste Präzision bei den Schweißarbeiten an – kein Problem für eine Kranbaufirma. Die eingesetzte Kugeldrehverbindung der Firma Liebherr findet man üblicherweise am Flügel einer Windkraftanlage. Der gesamte Unterbau für das drehbare Haus findet Platz auf einem Fundament von etwa fünf Quadratmetern. Für das Paar ein weiterer nachhaltiger Aspekt, um möglichst wenig Boden zu versiegeln.
Kleiner Antrieb – großer Dreh
Es kommt nicht oft vor, dass von einem SEW-Motor derart niedrige Umdrehungszahlen gefordert werden. Die geringe Geschwindigkeit – eine Umdrehung in 24 Stunden – stellte die SEW-Techniker vor eine kleine Herausforderung. Es wurde ein dreiphasiger Stirnrad-Doppelgetriebe-Asynchronservomotor ausgewählt, der mit einer hohen Gesamtübersetzung aus insgesamt sechs Getriebestufen das Haus in Bewegung bringt. In Verbindung mit dem passenden Frequenzumrichter Movidrive ergibt sich ein für die Anwendung optimales Antriebssystem. Über den gesamten Drehzahlbereich wird somit eine größtmögliche Laufruhe erreicht. Er ist in einem Schaltschrank in der Nähe des Getriebemotors – im Keller des Gebäudes – verbaut.
Eine regionale Elektrofirma war für den Einbau und die Inbetriebnahme der Antriebstechnik zuständig. Später stellte sich heraus, dass aufgrund von Motorgeräuschen einige Umrichterparameter geändert werden müssen. Olaf Schiwek wandte sich an den Service von SEW-Eurodrive im technischen Büro Rhein-Main. SEW-Eurodrive lässt niemanden im Regen stehen: Vertriebsingenieur Carlo Grauel reagierte prompt und beauftragte einen Serviceingenieur in Bruchsal. Per Fernwartung optimierte dieser die Reglereinstellungen zur vollen Zufriedenheit der Kunden.
Nachhaltige Baumaterialien
Zum Eingang des Hauses gelangt man über eine sanft ansteigende Rampe, auf der Holzhackschnitzel ausgelegt sind. Sie haben den Vorteil, dass Regenwasser im Boden versickern kann und die Schuhe weitestgehend sauber bleiben. Beim Betreten des Hauses steigt einem der angenehme Duft von Holz in die Nase. Innen ist es behaglich – das gesamte Gebäude ist aus Holz gebaut. Die Basis dafür sind abgerundete Holzbalken, für die die Bauherrschaft erst bei der Firma Rubner in Österreich fündig wurde. Die Innenverkleidung besteht aus OSB-Holzleichtbauwänden mit zwei Prozent Leimanteil. Für OSB-Platten („oriented strand board“, übersetzt etwa „Platte aus Spänen in spezieller Ausrichtung“) werden Hölzer zerspant, beleimt und durch Pressung in Grobspanplatten verwandelt. Anschließend wurden die Wände auf traditionelle Weise mit Lehm verputzt, gekalkt und danach mit Eisenoxid als Pigment versehen. So entstand eine stark alkalische Wand, auf der weder Bakterien noch Pilze eine Chance haben. Beim Einbau des Mobiliars war Olaf Schiwek einfallsreich: Statt Kleiderschränke auf Maß anfertigen zu lassen, sägte er einfach ein Stück von Standardschränken ab, damit sie in die Schräge der Zimmer passen.
Effiziente Warmwasserversorgung
Auf der ersten Ebene befindet sich eine offene Küche, die mit einem Vorratsraum verbunden ist. Hier ist der 1000 Liter fassende Wasserspeicher eingebaut. An den gemütlichen Essplatz mit Ausblick schließt sich nahtlos das Wohnzimmer an. Es wird durch einen innovativen, wasserführenden Kaminofen beheizt. Der Hobbykonstrukteur achtete sehr auf die Nachhaltigkeit der Energieumwandlung und setzte einen Ofen mit Holzvergaserbrenntechnik ein.
Hierbei strömen die Abgase aus dem Holzfeuer zurück in den Ofen, werden dort mit zusätzlichem Sauerstoff verwirbelt und erneut verbrannt. Bei Temperaturen von 1200 bis 1500 °C oxidieren alle vorhandenen Kohlenwasserstoffe zu CO2. Das Besondere an dieser Technik ist, dass man im reinen Kaminzug – ohne Abgasgebläse und somit ohne störende Geräusche – einen stabil brennenden Sturzbrand erzielt. Der Ofen hat eine hohe Heizleistung und speist über einen Wärmetauscher circa 80 Prozent der Energie in die Warmwasserversorgung. Diese Heizung erzielt bis zu 91Prozent Wirkungsgrad und weist mit etwa 120 °C eine niedrige Abgastemperatur am Schornstein auf.
Weitsichtige Planung
Ein Schlaf- und ein Gästezimmer sowie ein geräumiges Bad komplettieren die Einrichtung dieses Stockwerks. Über eine Wendeltreppe gelangt man in die obere Etage, auf der sich weitere Zimmer befinden. Eines davon ist das Arbeitszimmer von Herrn Schiwek. Ferner lädt eine Freizeitecke zum Verweilen ein. Hier kann man durch die Dachfenster in der Nacht die Sterne betrachten. Das Haus bietet ausreichend Platz für zwei Erwachsene und mehrere Kinder. Nachhaltig wohnen kann man also auch als Familie.
Das Paar hat weitsichtig geplant. „Sollten wir im Alter nicht mehr so mobil sein, würde dieses obere Stockwerk ‚stillgelegt‘ werden. Aber das untere ist so konzipiert, dass alle Räume bequem mit einem Rollstuhl befahrbar sind. Alle Türen haben eine Breite von 90 Zentimetern und die Räume sind rollstuhlgerecht nutzbar – auch das Bad“, führt der Hausbesitzer aus. Auch die Rampe zum Hauseingang könne Rollstuhl gerecht umgebaut werden. Denn jeder Umzug sei hinsichtlich der Nachhaltigkeit schwierig: sozial, ökonomisch und ökologisch.
Der Maschinenraum
Vor dem Holzofen befindet sich eine gläserne Funkenschutzplatte, durch die man in das Untergeschoss des Hauses blicken kann, in den „Maschinenraum“. Dort hinein gelangt man über eine Luke. Hierzu entfernt Olaf Schiwek zwei Bodendielen und einen Balken. Durch das Öffnen wird ein Sicherheitselement aktiviert, dass wiederum einen Eingang im Frequenzumrichter bedient und damit den STO (Safe Torque Off) aktiviert, damit keine unkontrollierte Bewegung des Hauses erfolgt und sich keine Person verletzt.
Hier unten, im Kellergeschoss, fühlt man sich an einen Dachboden erinnert. So ähnlich wird er auch genutzt – an den Außenseiten stehen noch einige Umzugskartons und Koffer. Richtet man den Blick in die Mitte des Raums, wird die Technik sichtbar, mit deren Hilfe sich das Haus dreht. Dort verrichtet der Stirnrad-Doppelgetriebe-Servomotor von SEW-Eurodrive seine Aufgabe. Mit wenigen Umdrehungen pro Minute bewegt er das Antriebsritzel – und somit die Kugeldrehverbindung und das Haus. Hier unten laufen alle Anschlüsse zusammen. Man erreicht sämtliche Elektrokabel, Wasser- und Heizungsleitungen. Das Abwasser läuft in der Mitte in einem Rohr im Rohr ab. Auch der Wärmetauscher für die Lüftungsanlage ist von hier aus zugänglich.
Kontrollierte Wohnraumlüftung
Olaf Schiwek hat sich sehr viele Gedanken um das Thema Nachhaltigkeit gemacht und überlies nichts dem Zufall. Dabei achtete der Hobby-Konstrukteur auf kleinste Details und machte sich Synergieeffekte zu Nutze. So auch bei der Klimatisierung. Auf dem Grundstück fällt ein kleiner Turm aus Metall auf. Das ist die kontrollierte Wohnraumlüftung (KWL), also ein Wärmetauscher. Das Haus muss nicht gelüftet werden, was sich positiv auf die Energiebilanz auswirkt, weil man durch das Lüften bis zu 80 Prozent der Heizenergie verliert. Frischluft wird von außen über die KWL angesaugt, Abluft über einen Kreuzwärmetauscher nach außen abgegeben. Zum Erwärmen der Frischluft nutzen die Hauseigentümer zusätzlich die Bodenerdwärme über die Zuluft durch den Boden vom Ansaugturm im Garten.
Kühlung durch Wasserverdampfung
Das Dach des Hauses ist mit Blühpflanzen begrünt. Die Begrünung sorgt für Kühlung durch Wasserverdampfung und somit für ein angenehmes Wohnklima. Die Dachbepflanzung wird über eine Pumpe mit Regenwasser bewässert, das in einer Zisterne gesammelt wird. Sie fasst sieben Kubikmeter. Die Schläuche, die von der Dachrinne das Regenwasser ableiten, drehen sich mit dem Haus. Apropos Dach – hier ist ein kleines Windrad angebracht, das der Stromerzeugung – vor allem im Winter – dient. Eine weitere Energiequelle ist eine Photovoltaikanlage, die auf einer langgezogenen Wellblechgarage montiert wurde.
Viel Eigenleistung
Das Haus hat die Bauherrschaft etwa 300.000 Euro gekostet, zuzüglich Grundstückskauf. Nicht mitgerechnet ist die Projektierungsleistung, die sie in weiten Teilen selbst erbrachten. „Das Haus ist unser kleiner Beitrag für eine bessere Zukunft“. Und natürlich haben sie einen hohen Anteil in Eigenleistung erbracht. Die Balken seien beispielsweise durch Steckverbinder auch für einen Nicht-Handwerker ohne Nachmessen und Ausrichten leicht zu montieren. Das Wichtigste beim Bau des Hauses war zu Beginn die Ausrichtung beim Guss des Betonfundaments.
Hohe Lebensdauer
Für die Wartung und Instandhaltung der technischen Bauteile sollten laut der Hersteller Liebherr (Kugeldrehverbindung) und SEW-Eurodrive (Getriebemotor) praktisch keine Kosten anfallen. Die Beanspruchung dieser Komponenten sei im Vergleich zu industriellen Anwendungen vernachlässigbar und erwarteten somit eine nahezu unbegrenzte Lebensdauer. Sollte das Großwälzlager jemals doch einen Schaden aufweisen, könnte man das gesamte Gebäude – es wiegt maximal 180 t – mithilfe von Hydraulikkissen anheben.
Mit der Idee in Serie gehen? Unbedingt!
Das Interesse am drehbaren Haus war und ist in Winterborn groß, insbesondere für die autarke Energieversorgung begeistern sich Interessenten. Auch auswärtige Besucher wurden schon empfangen. Zwei Bauherren haben bereits Interesse an seinem Konzept geäußert. Und inzwischen war sogar das SWR-Fernsehen für einen dreitägigen Dreh bei dem Paar zu Besuch. Mittelfristig stellt er sich vor, sein Wissen als Beratungsleistung weiterzugeben. Je größer das Netzwerk wird, umso mehr kann sich die Idee des nachhaltigen Bauens verbreiten. „Das Drehen eines Gebäudes hat so viele Vorteile; ich würde nie wieder ein Haus bauen, das sich nicht drehen lässt – egal in welcher Form“, sagt Schiwek. Er hat bereits weitere Ideen für die Schaffung von nachhaltigem Wohnungsbau.