Dr. Stephan Matz, driveblocks Autonomes Fahren – ewige Zukunftsvision oder bald Realität?

Dr. Stephan Matz ist Mitgründer und Mitgeschäftsführer bei driveblocks, spezialisiert auf Systemdesign und Applikationssoftwarekomponenten für autonome Nutzfahrzeuge. Zu seinen Stationen zählen unter anderem: Promotion am Lehrstuhl für Fahrzeugtechnik an der TUM über multikriterielle Optimierung von Elektrofahrzeugarchitek­turen, Mitgründer der MaLiBu Vehicle Concept Engineering GmbH, Projektleiter bei Continental Engineering Services von Serien- und Prototypenentwicklungsprojekten, Aufbau und Leitung Entwicklungsstandort Batteriesysteme sowie Mitgründung von driveblocks.

Bild: Driveblocks
26.10.2022

Auf der Weltausstellung 1939 präsentierte General Motors eine Zukunftsvision über autonomen Straßenverkehr in 20 Jahren. Bis heute ist diese Vision trotz intensiver Bemühungen nicht Realität. Noch vor einigen Jahren hielt die Fachwelt autonome Fahrzeuge innerhalb der kommenden Dekade für nicht umsetzbar. Dieses Bild hat sich die letzten Jahre gewandelt. Was sind aus heutiger Perspektive die größten Hürden?

„Komplette Autonomie werden wir in ungefähr zwei Jahren erreicht haben“ [Elon Musk (CEO Tesla), 2015]. Auch 7 Jahre später sind wir von diesem Versprechen noch weit entfernt. Ein wesentlicher Aspekt ist, dass das autonome Fahren nicht eine einzelne isolierte Problemstellung ist, die mit einem besonders guten Algorithmus oder einem besonders leistungsfähigen Rechner allein gelöst wird. Nötig ist das Zusammenspiel vieler verschiedener Einzelkomponenten, Funktionen und Rahmenbedingungen, die im Systemverbund zuverlässig und robust funktionieren müssen. Kern-Technologien sind Kamera-, Radar-, und Lidar Sensorik, leistungsfähige Rechnen-Hardware, sowie Wahrnehmungs- und Planungsalgorithmen.

Hinter diesem technischen System steht ein Netz aus Komponenten und Subsystemzulieferern sowie Systemintegratoren. Dieses Netz bildet sich nur sehr langsam aus, weil es noch keinen echten Markt gibt. Systemintegratoren finden kaum geeignete Zulieferer und Zulieferer zögern passende Komponenten zu entwickeln, weil genaue Spezifikationen, Schnittstellendefinitionen und konkrete Serienanwendungen fehlen. Ein echtes Henne-Ei Problem.

Die Einstiegshürde, um an Technologien für autonomes Fahren zu arbeiten ist heute extrem hoch. In Vergangenheit wurde sehr viel Geld verbrannt und verhältnismäßig wenig Fortschritt erzielt. Hauptgrund ist, dass jeder bei Null anfangen und alle Kompetenzen selbst aufbauen und auf höchstem Niveau beherrschen muss. Dies schließt viele hochinnovative Startups, mittelständische Firmen und Universitäten aus. Die Diversität und Innovationsgeschwindigkeit werden stark gehemmt.

Eine Forschungseinrichtung, die beispielsweise an neuen Algorithmen forschen möchte muss zunächst mit hohem Zeit- und Kosteneinsatz eine Fahrzeugplattform aufbauen. Gleiches gilt für Komponentenzulieferer, wie Sensorik, Rechencluster oder Drive by Wire Aktorik. Um dieses Dilemma aufzulösen und alle Systemkomponenten gemeinsam mit Partnern entwickeln zu können, wird ein Ökosystem für autonome Transportsysteme mit einer offenen Architektur und offenen Schnittstellen benötigt.

Die Industrie ist bereits auf dem Weg, weg von proprietären Systemen hin zu offenen Ökosystemen, in denen verschiedene Marktteilnehmer (zum Beispiel OEMs, Tier1, Tier2 und reine Softwareanbieter), zusammenarbeiten. Ein etabliertes Beispiel ist Autosar, neuere Initiativen sind SOAFEE und die Software-defined Vehicle Initiative der Eclipse Foundation. Diese Initiativen legen den Grundstein dafür, dass Softwaremodule auf einfache Art ausgetauscht und auf der gleichen Hardware und dem gleichen Betriebssystem implementiert werden können. Im Rahmen dieser Initiativen werden zunehmend Open-Source Projekte wie etwa Docker-Container und Kubernetes als Basissoftware sowie ROS2 als Middleware verwendet.

Dabei ist es wichtig, dieses Ökosystem mit Applikationssoftwarekomponenten für autonome Transportsysteme zu bereichern. Ein solcher Software-Stack ist in Funktionscluster gegliedert und darunter feingliedrig in Einzelfunktionen geschnitten. Zu den technischen Besonderheiten zählen etwa ein Umfeldmodell, das nicht auf hochgenaue Karten angewiesen ist, ein generalistisches Verfahren zur Trajektorienplanung in komplexen Mischverkehrsszenarien sowie ein hochiterativer simulationsbasierter Entwicklungs- und Validierungsprozess der Deep Learning Algorithmen.

Daraus ergibt sich ein hochmodularer Baukasten, der horizontal über verschiedene Anwendungen skaliert werden kann. Dadurch können Erfahrungen sowie Komponentenzertifizierungen übernommen und Entwicklungskosten verteilt werden. Wir erhoffen uns durch unser Know-how das schnittstellenoffene Ökosystem weiter zu stärken, dadurch die Innovationsgeschwindigkeit massiv zu beschleunigen und nicht zuletzt diese Schlüsseltechnologie auch in Europa voranzutreiben.

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