Interview über den Automatisierungsbaukasten Movi-C von SEW-Eurodrive „Automatisierungsflexibilität pur“

„Bei Movi-C handelt es sich nicht um ein reines Produkt, sondern um eine komplett neu entwickelte Automatisierungsplattform“, erläutert Heiko Füller, Marktmanager bei SEW-Eurodrive.

Bild: SEW-Eurodrive
30.11.2017

Engineering-Software, Steuerungstechnik, Umrichtertechnik und Antriebstechnik: Auf diesen Säulen basiert die neue Automatisierungslösung von SEW-Eurodrive. Heiko Füller, Marktmanager bei SEW-Eurodrive, erklärt im Gespräch mit A&D, warum der modulare Baukasten bei Kunden für mehr Flexibilität und eine schnellere Marktreife der Produkte sorgt.

A&D:

„Etwas Großes beginnt“ sagt SEW über Movi-C. Was heißt das?

Heiko Füller:

Mit „Etwas Großes beginnt“ referenzieren wir auf die hohe Durchgängigkeit und die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten unseres neuen Automatisierungsbaukasten Movi-C. Angefangen von kleinen Applikationslösungen bis hin zu kompletten Maschinen und Anlagen kann die gesamte Antriebstechnik von der Steuerung bis zum Motor aus einer Hand mit Movi-C bedient werden.

Welche Applikationen adressieren Sie primär mit der Lösung?

Movi-C wurde aufgrund des hohen Verbreitungsgrads von SEW-Lösungen bei unseren Kunden nicht gezielt für einzelne Applikationen oder Branchen entwickelt, sondern für ein breit angelegtes Einsatzspektrum spezifiziert. Von einfachen Förderantrieben im Bergbau über Regalbediengeräte in der Intralogistik bis hin zu Verpackungsmaschinen im Bereich Food & Beverage. Vielfältige Einsatzmöglichkeiten standen hier bei uns im Fokus.

Ist bei Movi-C alles neu oder wurden vorhandene Komponenten optimiert?

Bei Movi-C handelt es sich nicht um ein reines Produkt, sondern um eine komplett neu entwickelte Automatisierungsplattform. Vom Motor über die Steuerung bis zur Software wurde und wird alles komplett neu entwickelt. Aufgrund dieses Umfangs wird Movi-C daher auch nicht auf einmal, sondern durch Markteinführungspakete stufenweise auf den Markt gebracht. Begonnen haben wir dieses Jahr schwerpunktmäßig mit dem Mehrachssystem Movidrive modular. Das bedeutet übrigens nicht, dass wir unser bestehendes Portfolio in den nächsten Jahren abkündigen werden. Die Langzeitverfügbarkeit unserer Produkte wird von vielen unserer Kunden geschätzt.

Software und einfache Bedienbarkeit ist ein immer größeres Differenzierungsmerkmal bei Automatisierungslösungen. War das auch der Auslöser für die Entwicklung von Movi-C?

Einfachste Bedienbarkeit und intuitives Arbeiten war schon immer der Leitgedanke für SEW-Eurodrive. Bereits im bestehenden Portfolio bieten wir beispielsweise neben Inbetriebnahme-Assistenten auch Technologiemodule an, die bei anspruchsvollen Motion-Anwendungen anstatt der ebenfalls möglichen, direkten Programmierung nach IEC-61131-3 auch eine einfache, grafisch geführte Parametrierung ermöglichen. Somit lassen sich sowohl die Komplexität als auch die Inbetriebnahmezeit deutlich verringern. Mit Movi-C gehen wir hier jetzt noch einen Schritt weiter. Zusätzlich zu einer Erweiterung der Technologiemodule setzen wir mit unserer Engineering-Software Movisuite durch eine neuartige Bedienphilosophie Maßstäbe für Inbetriebnahme und Programmierung bei SEW-Eurodrive. Zudem führen wir hier zusammen, was bislang zum Teil noch separat realisiert wurde: Softwareplanung, Inbetriebnahme, Programmierung und Diagnose – einschließlich der Konfiguration funktional sicherer Komponenten. Ein weiterer, wichtiger Aspekt bei der Entwicklung von Movi-C war die Durchgängigkeit, sowohl horizontal als auch vertikal. Das bedeutet, Sie können alle Komponenten des Automatisierungsbaukastens Movi-C auf gleiche Weise in Betrieb nehmen, bedienen und diagnostizieren. Und das auf der gesamten Portfoliobreite vertikal und horizontal.

Movi-C wird auch als modularer Automatisierungsbaukasten bezeichnet. Lassen sich alle Komponenten unabhängig voneinander verwenden?

Der große Vorteil des Automatisierungsbaukastens ist, dass sowohl die Komponenten für sich einzeln eingesetzt, im Zusammenspiel aber auch komplette Systemlösungen realisiert werden können. Innerhalb des Automatisierungsbaukastens sind selbstverständlich alle Komponenten optimal aufeinander abgestimmt. Damit erreichen wir eine maximale Flexibilität für unsere Kunden, weil sie sich immer die bestmögliche Kombination zusammenstellen können.

Setzen Sie auf ein offenes System für hohe Flexibilität, um auch Produkte anderer Hersteller einbinden zu können?

Offenheit und Kompatibilität sind für unsere Kunden ein wichtiges Kriterium. Um dies zu erreichen setzen wir bei Movi-C beispielsweise auf die offene Steuerungsplattform Codesys 3.5. Ebenso kommt als Systembus das EtherCAT-Protokoll zum Einsatz. Selbstverständlich werden bei Movi-C aber auch alle anderen gängigen Feldbusprotokolle unterstützt. Hinsichtlich Fremdmotoren können durch eine automatische Ausmessfunktion auch diese bei Bedarf problemlos integriert werden. Dabei ist es egal, ob es sich um einen Synchron- oder um einen Asynchronmotor handelt.

Wie groß ist dabei der „Bruch“ zu bisherigen Movi PLC Steuerungen: Lassen sich die Produkte in Movi-C einbinden?

Um die breiten Einsatzmöglichkeiten von Movi-C sowohl in einfachen Applikationen als auch in kompletten Maschinenautomatisierungen gewährleisten zu können, bieten wir bei Movi-C eine skalierbare Steuerungsplattform an – angefangen vom smarten Motion Controller für zwei koordinierte Achsen bis zum performanten IPC für bis zu 64 Achsen. Aufgrund des Umstiegs von einem CAN-basierten Systemprotokoll auf das leistungsfähigere EtherCAT und des Plattformwechsels von der Codesys 2 auf Codesys 3 haben wir bei SEW-Eurodrive allerdings auf die Integration von Steuerungen aus der Vorgängergeneration in Movi-C abgesehen.

Wie leistungsfähig ist der Movi-C Controller? Ist eine übergelagerte SPS in vielen Fällen nicht mehr notwendig für die Maschinensteuerung?

Diese Frage lässt sich aufgrund der Breite unserer skalierbaren Steuerungstechnik nicht eindeutig beantworten. Bei kleinen Maschinen kann bereits eine bei uns als Motion Controller bezeichnete Steuerung ausreichend sein, um die Funktionalität der Maschinensteuerung zu ersetzten. Ebenso kann ein performanter IPC, der bei uns klassisch als Maschinen- oder Anlagensteuerung zum Einsatz kommt, unterhalb einer Fremdsteuerung als Motion Controller für die reine Achskoordination eingesetzt werden. Das hängt aus technischer Sicht stark von den tatsächlichen Anforderungen und der vom Kunden präferierten Steuerungstopologie ab.

Ihre Kunden schätzen zunehmend den Support beim Engineering. Wie bedienen Sie diesen Bedarf mit Movi-C?

Support und Servicedienstleistungen beim Engineering sind ein wichtiges Thema. Durchgängigkeit betrifft bei SEW-Eurodrive nicht nur die Komponenten, sondern auch unsere Service-Dienstleistungen entlang des kompletten Anlagenlebenszyklus. Diese fassen wir unter dem Überbegriff „Life Cycle Services“ zusammen. Angefangen von der „Orientierungsphase“, in der wir unseren Kunden mit unserem fundierten Applikations-Know-how zeigen, was technisch möglich ist. In der Phase „Planung & Engineering“ unterstützen wir von der Auslegung von maßgeschneiderten Antriebs- und Automatisierungslösungen bis hin zu Schulungen Vorort beim Kunden. Die „Beschaffung & Lieferung“ wird durch Lieferservice, elektronischen Datenaustausch und elektronischen Rechnungsversand optimiert. Während der „Installation & Inbetriebnahme“ stehen wir unseren Kunden mit Installationsberatung, Applikationsprogrammierung oder der kompletten Übernahme der Inbetriebnahme jederzeit zur Seite. In der „Nutzungsphase“ sorgen Dienstleistungen wie Produktionsbegleitung, Remote-Service, Reparatur, Condition Monitoring oder Energiemanagement für den reibungslosen Produktionsablauf. Der Kreis schließt dann konsequent in der letzten Phase „Retrofit“, in der wir Anlagen wieder auf den neuesten Stand der Technik bringen. Generell lautet unsere Maxime, unsere Kunden weltweit und zeitnah zu unterstützen – egal ob durch unsere 24/7-Hotline oder persönlich vor Ort.

Wie sieht es mit Safety aus? Kann Movi-C auch sichere Antriebstechnik realisieren?

Funktionale Sicherheit ist eine wesentliche Kernanforderung in aktuellen Applikationen und gewinnt schon allein durch die Aktualisierung der Maschinenrichtlinie zunehmend weiter an Bedeutung. Dem tragen wir Rechnung, indem beispielsweise im Mehrachssystem Movidrive modular Safe Torque Off im Performance Level e standardmäßig auf allen Achsen integriert ist. Zusätzliche Safety-Funktionalitäten können durch Optionskarten bedarfsgerecht hinzugefügt werden.

Ist auch ein Energiemanagement über Movi-C möglich?

Hier muss unterschieden werden, von welcher Art Energiemanagement wir sprechen. Auf Komponentenebene bietet Movi-C Funktionalitäten wie Energieanzeige, einem Stand-by-Betrieb, Zwischenkreiskopplung, Rückspeisemodule und Energiespeicher an. Auf Anlagenebene kann Movi-C auf unseren neuartigen Energiemanagement-Baukasten ILEM zurückgreifen, der unter anderem ein Energiemanagement der gesamten Anlage ermöglicht.

Ermöglicht Movi-C ein Condition Monitoring und gibt es Algorithmen für Predictive Maintenance?

Movi-C unterstützt Condition-Monitoring-Konzepte, keine Frage. Das ist aber heute bereits erwarteter Standard und nichts wirklich Neues. Seit wir Umrichter anbieten, bieten wir auch den Zugriff auf die notwendigen Parameterdaten an. Dabei kann es sich sowohl um Sensordaten wie beispielsweise die Getriebetemperatur oder das Schwingungsverhalten der Lager handeln, als auch um Umrichterdaten wie den Motorstrom. Zum besseren Verständnis kann daraus zusätzlich eine grafische Aufbereitung erstellt werden. Hier bieten wir bereits entsprechende Lösungen an. Der nächste logische Schritt ist jetzt aus den Condition Montoring-Daten entsprechende Muster für ein aussagekräftiges Predictive Maintenance abzuleiten. Im ersten Schritt stellen wir die Daten übergeordneten Systemen wie Cloud-Lösungen zur weiteren Analyse zur Verfügung. Da wir aber unsere Antriebskomponenten am besten kennen und deren Verhalten aufgrund unserer jahrelangen Erfahrung bewerten können, arbeiten wir aktuell auch an eigenen Lösungen.

Durchgängige Integration von Maschinen bis in die ERP- und Cloud-Ebene ist Pflicht. Realisiert die Movi-C-Lösung das über Standards wie OPC UA?

SEW-Eurodrive ist Mitglied der OPC-Foundation. Aktuell beobachten wir daher sehr aufmerksam die Entwicklungen des Kommunikationsprotokolls OPC UA. Eine künftige Integration von OPC UA in Movi-C ist definitiv geplant. Parallel bieten wir aber auch eine eigene Lösung an. Dabei handelt es sich nicht nur um eine volldigitale Motor-Umrichter-Schnittstelle mit Einkabeltechnologie, sondern um ein vollwertiges Automatisierungsprotokoll, das Antriebs- und Applikationsdaten auf allen Ebenen der Automatisierungspyramide zur Verfügung stellt.

Wie differenziert sich der Automatisierungsbaukasten Movi-C von den Lösungen des Wettbewerbs?

Neben einer ganzen Reihe technischer Neuerungen und Verbesserungen ist eine besondere Stärke von Movi-C das Konzept des kompletten Automatisierungsbaukastens – durchgängig von der Steuerung über die Software bis zum Getriebemotor, entweder für den Schaltschrankeinbau oder für den dezentralen Feldeinsatz. Dadurch können unsere Kunden alle Applikationen vom einfachen Förderband bis hin zur komplexen Gesamtautomatisierung einer Maschine oder Anlage aus einer Hand geliefert bekommen. Kombiniert mit den generellen SEW-Stärken wie unserem umfangreichen Serviceangebot rund um die Uhr und immer in der Nähe der Kunden liefert SEW-Eurodrive ein Gesamtpaket, was in dieser Breite nur wenige Marktbegleiter anbieten können.

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