Weltweites Pharmageschäft bei Siemens „Wir sind ein starker Partner“

Maria Grahm, Leiterin des Pharma-Segments bei Siemens, ist überzeugt: „Wenn die reale und die digitale Welt Hand in Hand gehen, erhöht das die Schnelligkeit und Sicherheit der Produktion.“

Bild: Siemens
25.04.2024

Neue Krankheiten erfordern neue Heilmittel und wachsender Wettbewerb erfordert schnellere, schlankere Prozesse in allen Geschäftsbereichen. Maria Grahm erklärt, welches Potenzial Automatisierung und Digitalisierung für die Pharmaindustrie bietet. Die Schwedin leitet das Pharma-Segment bei Siemens und weiß, was die Branche beschäftigt.

Die vergangenen Pandemiejahre haben die Pharmabranche noch stärker in den Fokus gerückt: Wie lang sich die Zeit anfühlen kann, bis ein Impfstoff oder Medikament auf den Markt kommt, haben wir alle erfahren. Welche Rolle spielt der Faktor Zeit für die Branche?

Einen immensen! Denn es ist ja so: Umso schneller Medikamente oder Impfstoffe marktreif sind, oder in großen Mengen produziert werden können, desto schneller können Menschen vor Krankheiten geschützt werden oder kann kranken Menschen geholfen werden. Das ist ein enormer Ansporn. Gleichzeitig ist es natürlich so, dass eine frühe Marktreife die Kosten so gering wie möglich hält. Und im Zweifelsfall heißt Schnelligkeit auch, schneller als die Wettbewerber zu sein. Der Zeitfaktor ist also von großer Bedeutung.

Welchen drängenden Herausforderungen muss sich die Branche in Ihren Augen stellen?

Die Herausforderungen für die Pharmabranche sind vielfältig. Was die Patienten angeht, so wächst der Markt für die Pharmabranche – jedoch vor allem in neuen Regionen und Ländern, die finanziell weniger stark sind. Das wirkt sich auf das Angebot aus: Leistungen müssen bezahlbar sein. Eine große Frage ist auch, wie Patientendaten in Zukunft genutzt werden. Welchen Einfluss haben sie auf das Therapieangebot – werden Patienten bald vielleicht nur für erfolgreich abgeschlossene Therapien bereit sein zu bezahlen? Auch der Produktbereich ist im Wandel: Es gibt zahlreiche Innovationen bei den Arzneimitteln und Therapien. Neuerungen wie die personalisierte Medizin, also die Fertigung von einzelnen Chargen für einen Menschen, stellt die Produktion vor große Herausforderungen. Die heutigen Fabriken sind dafür nicht ausgelegt, eine andere Infrastruktur und Supply Chain ist gefragt. Damit einher geht auch eine Unsicherheit: Wie schnell können neue Technologien in bestehende Prozesse eingebunden werden? Was bedeutet das für die Validierung der Abläufe? Und natürlich spielt auch der Kostendruck eine immense Rolle. Hier müssen sich die Unternehmen fragen, wo ihr Kerngeschäft liegt und gegebenenfalls über Outsourcing nachdenken.

Wie kann man diesen Zukunftsthemen positiv begegnen?

Wir haben bei Siemens aus diesen Herausforderungen fünf Haupttreiber für die Industrie abgeleitet. Diese sind Flexibilität, Geschwindigkeit, Qualität, Nachhaltigkeit und Effizienz. Wer hier gut da steht, der wird auch diesen Herausforderungen gewachsen sein und eine sehr gute Marktposition erreichen. Der Weg dahin ist klar: Es bedarf mehr Digitalisierung! Sie ist das wertvollste Allzwecktool. Aus unserem Privatleben sind wir es mittlerweile gewohnt, dass digitale Dienste unseren Alltag erleichtern. Das kann die Navigationsapp auf dem Smartphone sein, die uns sicher ans Ziel bringt und aktuelle Verkehrsstörungen vermeidet. Oder die Messangerapps, über die wir im ständigen Kontakt mit unserem Freundeskreis oder der Familie sind. Oder oder oder – Beispiele gibt es dafür viele. In der Pharmaindustrie ist der Alltag noch deutlich weniger digital – andere Industrien sind hier sicherlich weiter. Aber das Potenzial für die Digitalisierung ist enorm!

Was heißt das konkret?

Bei Siemens sind wir überzeugt: Wenn die reale und die digitale Welt Hand in Hand gehen, erhöht das die Schnelligkeit und Sicherheit der Produktion. Dafür haben wir mit dem Digital Enterprise ein ganzheitliches Lösungsportfolio aus Software- und Automatisierungslösungen entwickelt, um die gesamte Wertschöpfungskette zu digitalisieren. Es geht dabei darum, die große Menge an Daten zu verstehen und zu nutzen, die das Industrielle Internet der Dinge (IIoT) liefert. Das Digital Enterprise macht genau das! Es verbindet reale und digitale Welten, sodass die unendliche Menge an Daten mit unseren endlichen Ressourcen effizient genutzt und die Industrie nachhaltiger werden. Konkret haben wir acht Portfoliobausteine entlang der gesamten pharmazeutischen Wertschöpfungskette entwickelt.

Dazu gehören digitale Zwillinge und Simulation. Welche Möglichkeiten bieten diese Techniken?

Je nachdem, was für unsere Kunden wichtig ist, können digitale Zwillinge von Produkten, Produktlinien, Prozessen oder Gebäuden entstehen. Ein digitaler Zwilling verbindet die reale mit der digitalen Welt. Durch die Erfassung von Echtzeitdaten versteht das virtuelle Abbild den aktuellen Zustand, simuliert den zukünftigen Zustand und stellt damit die Grundlage für die Optimierung her. Es ermöglicht die frühzeitige Erkennung von Problemen, kann als Basis für In-Silico-Tests verwendet werden und ist eine Möglichkeit, Kontrollen zu verbessern. Mit unserem Kunden GlaxoSmithKline (GSK) haben wir beispielsweise einen digitalen Prozesszwilling der Impfstoffherstellung aufgebaut. Die Zwillinge ermöglichen nicht nur die Kontrolle komplexer Prozesse, sondern auch Vorhersagen, wie sich Veränderungen auf die Prozesse auswirken würden. Damit können Prozessentwickler Simulationen in wenigen Stunden durchführen, statt Versuchsanlagen zu bauen. Am Ende wurde der Herstellungsprozess bei GSK so deutlich robuster, die Produktqualität besser und die Geschwindigkeit konnte erhöht werden.

Können Sie weitere Beispiele nennen, wie Automatisierung und Digitalisierung die Produktion optimieren?

Wenn es darum geht, Anlagen zu planen oder zu bauen, unterstützen wir mit integriertem Engineering. Dabei geht es darum, den gesamten Prozesslebenszyklus im Blick zu haben: Wo gibt es Verbesserungspotenzial? Wo kann beschleunigt werden? Wo kann vereinfacht werden? Siemens sucht nach Komplettlösungen im Sinne des Kunden. Bei Bayer Bitterfeld haben wir beispielsweise ein neues Typ/Instanz-Konzept integriert, das sowohl MES- als auch DCS-Funktionen integriert. Viele Pharmahersteller können wir auch bei der Umstellung auf eine kontinuierliche Produktion unterstützen. Bei dieser Produktionstechnik werden Wirkstoffe in kompakten, geschlossenen Einheiten mit einem höheren Automatisierungsgrad und weniger manuellen Eingriffen produziert. Die Produktionsschritte, die in einem klassischen Chargenprozess hintereinander ablaufen, werden in einen durchgängigen Prozess integriert und die Qualität wird in Real-Time gemessen. Pfizer produziert zum Beispiel auf diese Weise in Freiburg erfolgreich – und hat dort gerade sein Werk um eine High-Containment-Anlage erweitert. Eine Anlage, in der bis zu sieben Milliarden Tabletten jährlich produziert werden können. Gemeinsam mit einer Reihe von Partnerunternehmen hat Siemens dazu beigetragen, dass diese Produktionsanlage eine der modernsten und nachhaltigsten weltweit ist.

Viele Hersteller wünschen sich eine papierlose Produktion. Was bedeutet das und wie kann Siemens sie dabei unterstützen?

Eins gleich vorweg, weil diese falsche Vorstellung manchmal noch präsent ist: Der Mehrwert der papierlosen Produktion ist deutlich größer als der einer rein digitalen Version von Papierdokumenten. Der große Vorteil ist: Die Abläufe werden transparent! Die Prozessdaten, -bedingungen und -ergebnisse werden in einer papierlosen Produktion detailliert erfasst, gespeichert und angezeigt. Die Prozesse werden fehlerresistenter, also robuster und weniger abweichungsanfällig, und der Aufwand für die Dateneingabe und die Dokumentation geringer. Ermöglichen kann das Siemens beispielsweise mit der MES-Lösung Opcenter Execution Pharma, die den GMP-Anforderungen (Good Manufacturing Practice) vollständig entspricht und für die Einhaltung aller aktuellen Standards für die pharmazeutische Produktion vorvalidiert ist. Als BioNTech mitten in der Corona-Pandemie in Marburg ein neues Werk für die Produktion seines stark gefragten Impfstoffes umgerüstet hat, kam es darauf an, so schnell wie möglich produzieren zu können. Teil der Lösung war hier deshalb auch, papierlos zu fertigen.

Was macht Siemens, um die Digitalisierung in der Pharmabranche weiter voranzutreiben?

Aus Studien wissen wir, dass mehr als die Hälfte der begonnenen Digitalisierungsprojekte scheitert, dass Brownfield-Anlagen selten angetastet werden und häufig das Digitalisierungs-Know-how fehlt. Das wollen wir ändern! Siemens will die digitale Transformation beschleunigen. Das ermöglicht Siemens Xcelerator, eine neue, offene digitale Business-Plattform, die ein kuratiertes Portfolio an IoT-fähiger Hardware und Software, ein leistungsstarkes Ökosystem von Partnern und einen Marktplatz dafür bietet. Mit Xcelerator gibt Siemens drei Versprechen ab. Erstens: Aus super kompliziert wird super einfach. Zweitens: Das Siemens Xcelerator Angebot wird schrittweise vollständig modular und interoperabel sein, Kunden können also genau das auswählen, was sie benötigen – sie sind flexibel. Und drittens: Siemens setzt auf Offenheit und sorgt dafür, dass Siemens Software gut mit anderer Technik zusammenspielt. Auf diese Weise wird Siemens weiterhin ein starker Partner bei Digitalisierungsfragen sein.

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