Realistische Maßnahmen in der Krise Ist es sinnvoll, dass Autohersteller Beatmungsgeräte produzieren?

Warum Autohersteller nicht einfach künftig Beatmungsgeräte produzieren können, erklärt Professor Patrick Balve.

Bild: iStock, imaginima
21.04.2020

In den Nachrichten hört man in letzter Zeit vermehrt, dass große Autohersteller künftig Beatmungsgeräte fertigen sollen. Aber was ist an diesen Überlegungen dran? Können Autohersteller Beatmungsgeräte bauen? Und wäre das überhaupt sinnvoll?

Die Fragen ob Automobilhersteller Beatmungsgeräte bauen können und ob das überhaupt sinnvoll ist, hat im Interview mit Vanessa Offermann Professor Patrick Balve beantwortet. Er ist Professor für Logistikplanung und Organisation im HHN-Studiengang Produktion und Prozessmanagement (PPM).

Professor Balve, dass statt dem Pkw nun das Beatmungsgerät am Fließband gebaut wird, ist das denkbar?

Die Idee, dass jetzt Automobilhersteller binnen weniger Tage von der Montage eines Pkw auf Beatmungsgeräte umstellen könnten, ist völlig unrealistisch. Von der Geometrie und Größe sowie vom Fertigungsprinzip her, haben solche Geräte nichts mit Pkw zu tun. Möchte man einen Montagebereich auf ein grundlegend neues Erzeugnis umstellen, so gehen locker mehrere Monate ins Land. Und dann muss natürlich auch ein hohes, der Medizintechnik angemessenes Qualitätsniveau sichergestellt werden. Das braucht genauso viel Erfahrung wie bei der Herstellung eines Pkw – und damit Zeit. Sicherlich sinnvoll ist das Angebot der Automobilhersteller, oder auch der Zulieferindustrie, qualifiziertes Personal bereit zu stellen.

Sie lehren im Studiengang Produktion und Prozessmanagement – sind also ein wahrer Fachmann, wenn es ums Thema Produzieren geht. Warum können etablierte Hersteller solcher Geräte nicht einfach mehr herstellen?

Selbst führende Unternehmen mit einer beherrschten und eingeschwungenen Fertigung von Beatmungsgeräten können ihre Fertigungskapazität nicht ohne weiteres verdoppeln oder gar verdreifachen. Kurzfristig ginge das natürlich mit der Stammmannschaft durch Einführen zusätzlicher Schichten unter Ausnutzung der jeweiligen Arbeitszeitregelungen. Nicht jede Fertigungsstruktur ist aber geeignet, gleichzeitig auch höhere Stückzahlen zu verkraften. Damit wären wir wieder bei dem Problem, dass man Vorlaufzeit braucht, um die Montage und angrenzende Bereiche neu auszurichten. Und schließlich darf man nicht vergessen, dass wir ganze Zulieferketten auf die dann sprunghaft angestiegenen Bedarfe an Rohmaterialien, Teile und Vorkomponenten anpassen müssten. Als Ausweg könnte man zwar die Fertigung von Teilen im 3-D-Druck-Verfahren sehen – und auch dazu gibt es ja in der Region entsprechende Hilfsangebote – aber das betrifft nur ausgewählte Teile eines durchaus komplexen Beatmungsgeräts.

Stichwort Schutzausrüstung. Käme hier eine Produktion in Frage?

Was Firmen der Region anbieten, ist ja zunächst einmal die Bereitstellung von Atemschutz und Schutzkleidung; beides wird aufgrund der häufig runtergefahrenen Produktion in den entsprechenden Betriebsbereichen vorübergehend nicht benötigt. Hier wird man aber nur die Mengen zu Verfügung stellen, die man in Übermaß auf Lager hat ohne dabei seine Möglichkeiten einzuschränken, in ein paar Wochen die Produktion wieder hochfahren zu können. Was die echte Herstellung von Filtermasken und Schutzkleidungen anbetrifft, da bin ich sicherlich kein Experte für, aber ganz ohne Nähmaschine, Betriebsmittel und entsprechende Textilien und Fasermaterialien wird es wohl nicht gehen, womit wir leider wieder bei der Beschaffungsproblematik wären.

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