Stromverbrauch mit Softwareprogramm steuern Energieeffizienter mit Big Data und Edge Computing

Für das Projekt wurde der Energieverbrauch der Maschinen holistisch erfasst, ausgewertet und die Erkenntnisse in einer Anwendungssoftware nutzbar gemacht.

Bild: iStock, mrgao
24.07.2023

Die Sanktionen gegen Russland aufgrund des Angriffskrieges gegen die Ukraine haben zu einem drastischen Gasmangel in Europa geführt. Dieser Mangel, aber vor allem auch die durch das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung anvisierte Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 machen es heute wichtiger denn je, den Stromverbrauch genauer zu beleuchten. Bei den aktuell sehr hohen Strompreisen als Folge des Gasmangels und der Umstellung auf erneuerbare Energien sollte der Verbrauch möglichst gering gehalten werden. Dies betrifft Privatpersonen ebenso wie die Industrie.

In modernen Wohnhäusern mit Photovoltaikanlage und Stromspeicher ist es heute Standard, sich per App über die gerade produzierte Solarenergie, den Füllstand des hausinternen Speichers und den aktuellen Energieverbrauch zu informieren. Ist es sinnvoll, die Spül- oder Waschmaschine gerade jetzt anzuschalten? Wie ist der Stand des hauseigenen Energiespeichers? Das sind Fragen die heute Dank des Live-Check von Wechselrichter, Zähler und Stromspeicher im Haus jederzeit beantwortbar sind. Da diese Geräte an das Internet angebunden sind, kann der Hausbesitzer per App auf die entsprechenden Informationen zugreifen.

Auch in der Fertigungsindustrie wird es immer wichtiger, den Energieverbrauch der Maschinen im Blick zu behalten. Mithilfe von Big Data und Edge Computing ist es sogar möglich vorauszusagen, wann wie viel Strom verbraucht werden wird. In einem weiteren Schritt ist der Stromverbrauch mit einem Softwareprogramm steuerbar. So lassen sich Energieverbrauchsspitzen verringern oder gar verhindern. Die Infoteam-Software-Gruppe hat diese Möglichkeiten im Rahmen eines Proof of Concept zusammen mit dem Unternehmen SYS TEC electronic auf die Probe gestellt.

Für das Projekt der Masterarbeit wurden diese Kompetenzen eingesetzt, um den Energieverbrauch der Maschinen holistisch zu erfassen, auszuwerten und die Erkenntnisse in einer Anwendungssoftware nutzbar zu machen.

Technik des Projekts

Um den Stromverbrauch im Maschinenpark von SYS TEC electronic zu messen, wurde jede der zu überwachenden Maschinen mit einem Energiemeter bestückt. Die hier erzeugten Daten werden per Kommunikationsprotokoll MQTT (Message Queuing Telemetry Transport) übertragen. Bei dem Energiemeter handelt es sich um den Netzanalysator UMG 96RM von Janitza – ein sehr kompaktes und leistungsstarkes Universalmessgerät, das vorwiegend für den Einsatz in Energieverteilungsanlagen konzipiert wurde. Mit diesem Gerät wird der Energieverbrauch der Maschinen permanent live überwacht und verfolgt.

Die Daten der Geräte lassen sich entweder vor Ort an mehrere Recheneinheiten senden und dort direkt verarbeiten (sogenanntes Edge Controlling) oder alternativ ins Internet in eine Cloud schicken. Der Vorteil der Cloud-Lösung besteht unter anderem darin, dass keine separate Hardware erworben werden muss und der Cloud-Anbieter in der Regel neben viel Speicherplatz auch viel Rechenleistung zur Verfügung stellt. Außerdem ist es möglich, von überall auf die Daten zuzugreifen. Der Vorteil einer Recheneinheit vor Ort ist, dass die Daten nicht durch das Internet geschickt werden müssen und dadurch sicherer und schneller die Recheneinheiten erreichen, wo sie sofort gespeichert und verarbeitet werden können. Mit dem Edge Controller sysWORXX CTR-700 verwendet SYS TEC electronic eine hauseigene Linux-basierte Kompaktsteuerung. Diese bietet zahlreiche Ein- und Ausgänge sowie Kommunikationsschnittstellen, um die Daten des Energiemeters zu sammeln und weiterzuverarbeiten.

Der Edge Controller ist dafür zuständig, die Daten der Energiemeter umzuwandeln und per MQTT an einen MQTT-Broker und Server zu schicken. Von dort lassen sich die Daten zur Visualisierung für ein Live-Monitoring abfragen oder auf einen lokalen Rechner übermitteln. Auf dem Rechner, der auch das Softwareprogramm zum Energiemanagement ausführt, findet schließlich die relevante Datenanalyse statt. Die Datenanalyse und das Softwareprogramm sind so konzipiert, dass sie auch auf dem Edge Controller selbst laufen können.

Datenanalyse

Das Speichern von Daten mehrmals pro Stunde, über mehrere Monate hinweg lässt einen gigantischen Datalake entstehen. Per Data-Mining werden gezielt Abhängigkeiten und Trends ermittelt, um daraus eine Vorhersage für das zukünftige Verhalten der Maschinen zu generieren.

Um Abhängigkeiten zu erkennen, stehen vier verschiedene Analysemethoden bereit: die Klassifizierung (Classification), die Gruppierung (Clustering), Assoziationsregeln (Association Rules) und die Vorhersage (Predictive Analytics). Bei der Klassifizierung werden die Daten anhand ihrer Merkmale unterschiedlichen Klassen zugeordnet; dies dient zur Abgrenzung, Einteilung und Ordnung eines Datensatzes. Beim Clustering werden die Daten auf Ähnlichkeiten untersucht und anhand dieser Ähnlichkeiten gruppiert; solch ein gruppierter Datensatz lässt sich leichter bearbeiten und verändern. Um Assoziationsregeln zu bestimmen, wird nach Beziehungen zwischen den Daten gesucht, aus denen wiederum andere Daten folgen. Predictive Analytics wendet statistische Techniken und Lernalgorithmen auf historische Daten an, um Ereignisse vorherzusagen. Letztere Analysemethode kam bei der Datenanalyse in diesem Projekt zum Einsatz.

Die Analyse erfolgte anhand der über mehrere Monate gesammelten Daten eines Lötofens, der morgens gestartet wurde und den ganzen Tag über in Betrieb war. Die vom Energiemeter gelieferten Daten zeigen, dass über 50 kW Strom nötig sind, um den Ofen aufzuheizen. Danach fällt der Verbrauch bis auf 12 kW ab. In dieser Phase muss der Ofen nur noch seine Betriebstemperatur aufrechterhalten.

In der Klimakammer werden täglich mehrere Burn-In-Prozesse durchgeführt. Die Energieverbrauchskurve eines Burn-In-Prozesses erreicht maximal 16 kW und kann in mehrere Phasen unterteilt werden: Phase 1 dient dem Entfeuchten der Bauteile. In Phase 2 wird die Klimakammer stark abgekühlt, und die ersten Funktionstests an den Bauteilen beginnen. Während die Kammer in Phase 3 stark erhitzt wird, finden weitere Funktionstests an den Bauteilen statt. Abschließend wird die Kammer auf Raumtemperatur abgekühlt, um die Bauteile wieder entnehmen zu können.

Die Anzahl der Bauteile und die Dauer der Funktionstests unterscheiden sich in den einzelnen Burn-in-Prozessen, womit auch die Verbrauchskurven hinsichtlich Dauer der Phasen und Höhe des Energieverbrauchs pro Phase stark variieren. Somit ist es für die Klimakammer nicht möglich, einen Durchschnittsverbrauch zu ermitteln.

Planungstool

Für das Planungstool wurden alle Verbrauchskurven des Lötofens überlagert und gemittelt. Zusätzlich wurden zwei weitere Kurven für den Lötofen bestimmt: die 90-Prozent-Quantil-Kurve und die 99-Prozent-Quantil-Kurve, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent und 99 Prozent den maximalen Energieverbrauch abbilden. Das Planungstool verwendet die 99-Prozent-Quantil-Kurve, um zu gewährleisten, dass die Energieverbrauchsobergrenze nicht überschritten wird.

Bei der Klimakammer kam aufgrund der starken Unterschiede ein anderer Ansatz zum Tragen: Der höchste gemessene Energieverbrauchswert aller validen Burn-In-Prozesse bestimmt die Höhe des Energieblocks, mit dem im Planungstool gearbeitet wird. Die dazu gehörende Dauer des Burn-In-Prozesses definiert die Länge dieses Energieblocks.

Das Planungstool wurde so gestaltet, dass der Nutzer im GUI einen Task hinzufügen kann, der festlegt, zu welcher Zeit eine Maschine starten soll. Die Software prüft im Hintergrund, ob die Maschine zur gewünschten Zeit starten kann, ohne die Verbrauchsobergrenze von 100 kW zu überschreiten. Ist dies möglich, wird der Task zum Zeitplan hinzugefügt. Anderenfalls erfolgt ein Warnhinweis und die nächstmögliche Startzeit, zu der die Verbrauchsobergrenze nicht überschritten wird, wird angegeben. Mit „Show Power“ lässt sich der voraussichtliche Energieverbrauch zum gewählten Zeitpunkt abrufen, „Show Tasks“ zeigt die Tabelle mit den geplanten Tasks und „Show Graph“ deren Energieverbrauchskurve. Durch dieses Planungstool lassen sich die Tasks enger takten, ohne die Verbrauchsobergrenze zu überschreiten.

Weitere Optionen

Über eine HTML-Seite ist es möglich jedem Mitarbeitenden im Firmennetz Zugriff auf das GUI des Planungstools zu geben.

Konnektivität und Vernetzung von Maschineninformationen effizient die Abfolge von Tasks starten. So können benötigte Bauteile und Personal „just in time“ zur Verfügung stehen und die Produktion reibungsloser ablaufen. Das Energiemanagementsystem ließ sich in ein übergeordnetes Fertigungsmanagementsystem oder Manufacturing Execution System (MES) integrieren. Außerdem lässt sich das Planungstool dahingehend erweitern, dass es selbst automatisiert die Maschinen zu den geplanten Startzeiten startet.

Prognosefähigkeit zur Vorhersage der Maschinenleistung während ihres Einsatzes auf Basis der generierten Daten ist ein weiteres realistisches Szenario. Im Rahmen von Predictive Maintenance kann anhand des Stromverbrauches feststellbar sein, dass eine Wartung der Maschine nötig ist. Diese ließ sich frühzeitig einplanen und wartungseffizient abwickeln.

Für all diese Möglichkeiten bietet das Planungstool eine Basis, auf der aufgebaut werden kann, um die Energieeffizienz in der Fertigung zu steigern und gleichzeitig Fertigungskosten zu senken. Darüber hinaus ist es ein weiterer Baustein das Thema Nachhaltigkeit zu fördern.

Durch ihre Erfahrung in den verschiedensten Bereichen wie Smart Factory, Medizintechnik oder Automatisierung kann Infoteam Software umfassende Lösungen für Energieeffizienz und -management entwickeln und damit zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks der Unternehmen beitragen. Beim Erarbeiten dieser Lösungen berücksichtigt Infoteam die etablierten Normen hinsichtlich Safety, Security und Qualitätsmanagement oder unterstützt seine Kunden dabei, diese Normen bei ihren eigenen Projekten einzuhalten.

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