Tim-Oliver Müller, Hauptverband der Deutschen Bauindustrie Digitalisierung und Nachhaltigkeit machen auch vor uns nicht halt

Tim-Oliver Müller ist seit Juli 2021 Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie. Davor war er Leiter Business Development für die Vinci Deutschland. Bereits von 2011 bis 2020 war Tim-Oliver Müller in verschiedenen Positionen beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie tätig, zunächst als Referent im Geschäftsbereich Wirtschaft und Recht, dann ab 2012 als Leiter Infrastruktur und Partnerschaftsmodelle. 2016 übernahm er die Position als stellvertretender Geschäftsbereichsleiter, 2018 schließlich die des Geschäftsbereichsleiters für Wirtschaft, Recht und Digitalisierung.

Bild: Bauindustrie
28.10.2022

Staub, Dreck und hohe Kosten sind wahrscheinlich die Schlagworte, die die meisten Menschen mit der Bauindustrie als erstes verbinden. Was die Branche aber eigentlich leistet, wird oft nicht wahrgenommen. Als eine der ältesten Branchen in Deutschland hat sie bereits vielen Krisen getrotzt und zeigt sich als robuster Wirtschaftszweig.

Bemerkenswert dabei ist, dass die technologische Entwicklung in keinem Verhältnis zur hohen Leistungsfähigkeit der Branche steht. So weisen etwa Straßenfertiger von damals und heute mit 100 Jahren Unterschied nur unwesentliche Unterschiede auf. Sicherlich sind die Innovationszyklen am Bau nicht mit denen anderer Branchen vergleichbar. Disruptive Veränderungen gab es allenfalls in Teilbereiche der Bauindustrie. Nichtsdestotrotz wird sich der Bau in den kommenden Jahren disruptiven Veränderungen ausgesetzt sehen. Dabei wird die Digitalisierung ein wesentlicher Treiber dieses Prozesses sein.

Aktuell steht die gesamte Branche vor großen Herausforderungen: Materialkosten schnellen in die Höhe, der Krieg in Ukraine schadet den Lieferketten und viele Hunderte Containerschiffe, vollbeladen mit Baumaterialien, werden in Shanghai aufgehalten. Das verzögert den Bau nicht nur, er wird dadurch auch erheblich teurer. Das wiederum belastet die Unternehmen, die vornehmlich mit Festpreisverträgen gegenüber den Kundinnen und Kunden arbeiten. Ich nenne zur Veranschaulichung eine Zahl: Der Stahlpreis ist von 500 Euro pro Tonne zu Beginn des Jahres auf 1.800 Euro gestiegen – und das innerhalb weniger Wochen.

Doch stark gestiegene Materialpreise und Lieferkettenprobleme sind nicht die einzigen Herausforderungen der Branche, sie verstärken jedoch die Notwendigkeit eines Produktivitätschubs. Doch dieser kann angesichts des Fachkräftemangels nicht länger durch „mehr Menschen“ erreicht werden. Vielmehr sollte die Frage der Arbeitsteilung neu gestellt und die Bauindustrie in die Verantwortung genommen werden, ihre Leistungsfähigkeit voll auszuspielen. Dass sich etwas ändern muss, liegt also auf der Hand. Wie kann die Transformation einer so konservativen Branche gelingen?

Der beste Katalysator dafür ist die Digitalisierung. Sie ist der Schlüssel für eine engere und optimierte Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette. Und das gelingt bereits dadurch, dass Planer und Betreiber auf Software zurückgreifen können, die es ermöglicht, dass schwere Akten-Ordner nicht zunächst gefaxt und dann in das nächste Büro getragen werden müssen.

Eine digitaler Genehmigungsprozess spart nicht nur Ressourcen, er spart auch Zeit und dadurch weitere Kosten. Technologien existieren bereits, es muss nur investiert werden. Das ist alles keine Zukunftsmusik – das ist bereits Stand der Technik, die aber leider in Deutschland nicht durchgehend genutzt wird. Im privaten Baubereich werden „durchdigitalisierte“ End-to-End-Prozesse bereits weitgehend eingesetzt, um beispielsweise über Lean-Management-Prozesse die Termin- und Kostensicherheit zu erhöhen. Der öffentliche Bau hat sich die Verpflichtung auferlegt, bis 2025 auf Bundesebene nachzuziehen, wobei wir als Bauindustrie unterstützen werden.

Digitalisierung führt aber noch zu einem weiteren Punkt, der höchste Relevanz hat. Durch einen digitalen Planungsprozess können Bauwerke hinsichtlich ihrer Ressourceneffizienz, Abfallvermeidung und einem klimafreundlichen Gebäudebetrieb ganzheitlich optimiert werden. Denn nachhaltiges Planen und Bauen gelingt nicht in Einzelplanungsprozessen, sondern vor allem dann, wenn alle Projektbeteiligten auf einer Plattform mit hoher Datentransparenz gemeinsam die beste Baulösung von Anfang bis Ende entwickeln. In diesem Prozess muss der Blick auf nachhaltige Baustoffkombinationen gerichtet werden, auf ein geeignetes Bauverfahren und auf die Frage, welche Energiewerte eingehalten werden müssen.

Zudem spielt ein weiterer Punkt eine entscheidende Rolle für die dringend benötigte Veränderung der Bauindustrie: die Industrialisierung. Denn künftig müssen wir mit weniger Menschen mehr bauen. Der industriellen Vorfertigung sowie seriellen und modularen Bauweisen kommen deshalb, wie in anderen Industriezweigen unseres Landes, eine hohe Bedeutung zu. Vor allem im Wohnungsbau werden bereits heute die Vorteile sichtbar: mit gleichbleibend hoher Qualität, schnell und kostengerecht Wohnraum zu errichten, das kann ein Game-Changer in angespannten Wohnungsmärkten sein.

Insgesamt zeigt sich dabei, dass wir kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem haben. Die öffentliche Verwaltung bemüht sich, auch die Politik. Aber, um es richtig anzugehen, müssten diese Prozesse radikal verändert werden. Was ist also das Wichtigste für die Zukunft der Industrie? Neben Mut sind auch Management Guidance durch die Politik von elementarer Bedeutung. Nur sie kann die Veränderung in der öffentlichen Hand befördern und Raum für schnelle Entscheidungen auf der Baustelle schaffen. Unsere Ziele sind erreichbar – aber wir müssen es auch dürfen.

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