Schaltgeräte im Härtetest auf Helgoland „Wir wollen das Extreme“

P&A zu Gast bei Steute: Carsten Both, Entwicklungsleiter Industrieprodukte (links), und Rainer Lumme, Product Manager Extreme (rechts), berichten P&A-Chefredakteur Florian Mayr von den Gerätetests auf Helgoland.

Bild: Beatrice Decker, P&A
01.04.2019

Kälte, Hitze, UV-Strahlung, Salzwasser: Auf Helgoland herrschen extrem raue Bedingungen für Schaltgeräte. Ein Jahr lang testete Steute dort seine Produkte. Wie es dazu kam, welche Erkenntnisse die Tests mit sich brachten und weshalb solche Versuche immer wichtiger werden, erklären Rainer Lumme, Product Manager Extreme, und Carsten Both, Entwicklungsleiter Industrieprodukte, beide Steute, im Gespräch mit P&A.

Sie betreiben einen hohen Aufwand, um die Belastbarkeit Ihrer Geräte zu prüfen. Vor Kurzem haben Sie sogar einen Gerätetest auf Helgoland abgeschlossen. Worum ging es da?

Rainer Lumme:

Ziel dieses Tests war es, die Schaltgeräte über die normgerechten Versuche hinaus sehr extremen Anforderungen auszusetzen, um Schwachstellen an den Geräten besser erkennen zu können. Dazu haben wir intensiv mit dem Fraunhofer Institut für Fertigungstechnik und angewandte Materialforschung IFAM zusammengearbeitet.

Carsten Both:

Mit den Versuchen wollten wir unsere Schalter erstmals auch unter realen Bedingungen prüfen. Normalerweise testen wir sie nur unter Laborbedingungen. Diese entsprechen der Wirklichkeit aber nur bedingt. Auf Helgoland haben wir unsere Schalter deshalb ein ganzes Jahr, von September 2017 bis September 2018, dem Meer und den Elementen ausgesetzt – also genau dort, wo unsere Geräte normalerweise auch eingesetzt werden. Wir wollten sehen, wie sich das auf die Materialien und die Funktionstüchtigkeit auswirkt.

Welche Schaltgeräte haben Sie getestet? Und wichtiger noch: Haben alle nach Abschluss des Tests noch funktioniert?

Both:

Wir haben überlegt, was eigentlich sinnvoll wäre im Extrembereich. Entschieden haben wir uns beim ersten Versuch für einige Fuß-, Seilzug- und für unsere kleinen und großen Ex-Normschalter. Alle Geräte aus dem Spritzwasserbereich funktionieren noch immer fehlerfrei. Das Innenleben wie Schalteinsätze, Schaltstößel und Pedalachsen ist ebenfalls korrosionsfrei geblieben. Selbst einige der Schalter, die dem Wechselwasser ausgesetzt waren, funktionieren nach wie vor. Insofern sind wir mit dem Ergebnis sehr zufrieden.

Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IFAM zustande gekommen?

Both:

Das war letztlich ein glücklicher Zufall. Ich war während meines Urlaubes auf Helgoland und bin am Hafen spazieren gegangen. Aus der Ferne habe ich dann die Feldtests des Fraunhofer IFAM gesehen und wäre am liebsten gleich über den Zaun geklettert. (lacht) Jedenfalls habe ich dann nach dem Urlaub nachgeforscht, was sie dort an Versuchen machen. Dabei handelt es sich vor allem um Material- und Beschichtungstests. Das fanden wir sehr spannend und wir sind schnell mit den Verantwortlichen ins Gespräch gekommen. Im Anschluss haben wir dann einen einjährigen Testlauf in Auftrag gegeben und wurden bei der Umsetzung begleitet. Das war auch für das Fraunhofer-Institut interessant, da wir dort erstmals fertige Geräte und nicht nur Materialien geprüft haben.

Lumme:

Es war echt genial, dass Carsten diese Sache entdeckt hatte. Das mussten wir einfach aufgreifen. Denn wir wollen das Extreme. Das ist auch unser Motto für diesen Geschäftsbereich – Hauptsache, unsere Schalter können es bestehen. Wir haben inzwischen ein sehr umfangreiches Programm, das genau für diese extremen Anforderungen gemacht ist. Hierbei geht es nicht nur um den Ex-Bereich, sondern auch um andere Anforderungen wie Korrosionsbeständigkeit, hoher IP-Schutz, Beständigkeit bei hohen und tiefen Temperaturen.

Wie sah der Testaufbau aus?

Both:

Wir haben unsere Schalter an Kunststoffplatten befestigt und diese in unterschiedlicher Höhe von der IFAM an Metallracks montieren lassen. Insgesamt gibt es zwei Ebenen. Auf der untersten Etage befinden sich die Geräte im Tidenhub. Sie sind also im Wechselwasserbereich installiert, um mit den Wasserbewegungen der Nordsee die Grenzen der Geräte auszuloten. Die obere Ebene – hier waren die meisten unserer Schalter befestigt – ist der Spritzwasserbereich. Bis hierhin schwappen hin und wieder die Wellen. Zudem sind die Geräte dauerhaft Regen und Sonne ausgesetzt. Die Schalter haben wir dann den ganzen Winter sich selbst überlassen und sie danach kurz begutachtet und die Ergebnisse dokumentiert. Anschließend wurden sie wieder in die Racks eingehängt und nochmals den ganzen Sommer hindurch dort belassen.

Aber ist der Aufwand überhaupt notwendig? Sie testen Ihre Produkte ja auch ausführlich in Ihrem eigenen Labor.

Both:

Normalerweise führen wir einen Salznebelsprühtest nach DIN EN ISO 9227 für eintausend Stunden durch. Das machen viele Unternehmen in der Industrie. Dabei handelt es sich aber mehr um einen Beschichtungstest. Die Geräte sind während einer solchen Prüfung ständig nass, ständig unter Salznebel und das ist im Grunde völlig unrealistisch. Uns hat der Bezug zu den realen Bedingungen unter freiem Himmel gefehlt. Dort gibt es sowohl Abtrocknungstage, an denen es heiß und trocken ist, als auch sehr regnerische Tage. Hinzu kommen UV-Strahlung und Wellenschlag. Außerdem setzen sich schnell Tiere, beispielsweise Seepocken, an den Geräten an. Das kann man im Labor gar nicht nachstellen.

Lumme:

Das Schöne ist, es ist wirklich etwas Realistisches. Das ist für uns auch gegenüber den Kunden wichtig. Denn jetzt können wir nachweisen, dass wir unsere Geräte wirklich unter Bedingungen geprüft haben, die auch bei den tatsächlichen Applikationen auftreten.

Verlangen Ihre Kunden inzwischen solche Nachweise aus der Praxis?

Lumme:

Wir benötigen das immer häufiger. Ein Kunde aus Frankreich beispielsweise arbeitet im Bereich Kernkraftwerke. Aufgrund des Tsunami-Unglücks in Japan müssen jetzt alle Kernkraftwerke, die an der Küste gebaut worden sind, gegen hohe Wellen abgesichert werden. Entsprechend muss sämtliches elektrisches Equipment wasserdicht sein und Salzwasser sowie Schmutz standhalten. Ein weiterer Kunde ist Hersteller von Ventilen für den Offshore-Bereich. Auch er wollte einen Nachweis, ob unsere Schalter für Seewasserapplikationen wirklich geeignet sind. Dank der Tests auf Helgoland können wir unseren Kunden diese Eignung jetzt bestätigen.

Both:

Darüber hinaus ist es uns sehr wichtig, auf Augenhöhe mit den Kunden zu sein, damit wir ihnen auch sagen können: Wir wissen, was du meinst. Wir haben das schon getestet und wir haben die entsprechenden Lehren daraus gezogen. Wir können auf diese Weise ganz anders in die Kundengespräche gehen.

Welche Lehren waren das?

Both:

Zum einen sind wir mit unseren aufgeklebten Etiketten im Härtefall nicht mehr unbedingt zufrieden. Seepocken können sich unter sie schieben und dadurch ablösen. Dagegen wissen wir jetzt, dass unsere Laserbeschriftung auch starke Sonneneinstrahlung aushält. Die Farbe wird zum Teil sogar noch etwas kräftiger. Das war uns vorher nicht ganz klar.

Kam dieses Thema auch in Kundengesprächen auf?

Both:

Ja, viele Kunden waren der Meinung, die Laserbeschriftung wäre für sie nicht zu gebrauchen, sie würde ausbleichen. Jetzt können wir das Gegenteil nachweisen. Ein weiteres Beispiel: Wir haben gleichzeitig noch ein Silikonkabel mitgetestet und können für das von uns verwendete Material eine Empfehlung abgeben. Zum Vergleich haben wir auch Kabel verwendet, die nur aus normalem NBR-Kautschuk bestehen und deren Ergebnisse nicht zufriedenstellend waren.

Lumme:

Außerdem hat sich bei einer Baureihe aus Aluminiumdruckguss das Material als nicht optimal herausgestellt. Das Gehäuse des Schalters hat den Test schlecht bestanden. Deshalb haben wir ihn im Nachgang untersuchen lassen und festgestellt, dass es nicht das Material war, das wir eigentlich von unserem Lieferanten haben wollten. Er hat uns minderwertiges Material verkauft. Das war ein wichtiger Hinweis für unsere interne Qualitätssicherung, sich mit diesem Thema noch intensiver zu beschäftigen.

Planen Sie in Zukunft noch weitere Tests?

Lumme:

Absolut. Auf Helgoland läuft aktuell schon die nächste Prüfrunde. Dort testen wir jetzt unter anderem auch den neuen Seilzug-Notschalter ZS 92 S und den Bandschieflaufschalter ZS 92 SR. Wir wollen diese Möglichkeit in Zukunft verstärkt nutzen.

Auf den maritimen Anwendungen liegt für Sie also in Zukunft besonderes Augenmerk?

Lumme:

Die Bereiche Shipping, Oil and Gas und Offshore sind für uns sehr interessant, zumal es dort vielfältige Einsatzbereiche für unsere Produkte gibt. Mit unseren Schaltern lassen sich zum Beispiel Tore, Klappen oder Lüftungssysteme absichern. Wir haben auch spezielle Hubendschalter für die Überwachung von Kranhaken. Das ist nur ein Ausschnitt aus den möglichen Applikationen, die man auf einer Bohrinsel oder auf Schiffen finden kann. Daneben gibt es natürlich noch weitere Anwendungsfelder für unsere Extreme-Schalter. Dazu zählen die Dünge- und Lebensmittelindustrie, Tiefkühlhäuser, der Tagebergbau oder auch Schlachtereimaschinen. Bei Letzteren ist wiederum eine hohe Korrosionsbeständigkeit und Schutzart gefordert.

Mehr zu Steutes schier unkaputtbaren Schaltgeräten lesen Sie in unserer Titelstory der P&A Extra 1.2019.

Bildergalerie

  • Egal wie gut ein Etikett klebt: Seepocken können sich in rund einem halben Jahr unter sie schieben.

    Egal wie gut ein Etikett klebt: Seepocken können sich in rund einem halben Jahr unter sie schieben.

    Bild: Florian Mayr, P&A

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