Welches Stahlvolumen wird eigentlich in Deutschland produziert, und wie sind die Lieferzeiten?
In Deutschland werden jährlich in Summe etwa 40 Millionen t Stahl produziert, während der Verbrauch für Flachstahl in Europa bei ungefähr 86 Millionen t liegt. Als Stahlserviceanbieter bewegen wir uns in einem Bereich von etwa einer halben Million Tonne Stahl pro Jahr. Damit zählen wir zu den Top 5 Stahl-Service-Centern in Deutschland. Wir bei Stahlo produzieren ja keinen eigenen Stahl, sondern wir beschaffen große Mengen, schneiden es genau nach Kundenanforderungen zu und liefern innerhalb von rund zwei Wochen aus. Wir sind dabei spezialisiert auf Flachstahl in einem Bereich von 0,4 bis 5 mm Dicke, den unsere Kunden typischerweise in Umformungs- oder Fügeprozessen weiterverarbeiten. Direkt beim Stahlproduzenten ist unsere Produktpalette von Groß-Coils bis hin zu Spaltbändern, Tafeln und Zuschnitten in dieser Art nicht erhältlich. Außerdem beträgt die Lieferzeit im Stahlwerk schon mal bis zu 12 Wochen.
Stahlo strebt danach, ein Green Steel Provider zu werden. Was versteht man eigentlich genau unter „grünem Stahl“?
Der Begriff „grüner Stahl“ ist im Markt gebräuchlich, obwohl es keine offizielle und einheitliche Definition dafür gibt. Stahl unterscheidet sich über die Herstellungswege, wie die Elektrostahlroute, bei der Schrott im Elektrolichtbogenofen eingeschmolzen wird. Ganz klassisch dagegen ist die Hochofenroute, bei der Rohstahl aus Erz und Kokskohle hergestellt wird. Green Steel steht heute für eine emissionsreduzierte Produktion dieser Routen und zusätzlich auch für eine verbesserte Emissionsqualität entlang der gesamten Lieferkette. Grüner Stahl entsteht beispielsweise durch das Einschmelzen von recyceltem Schrott mit grünem Strom. Gespräche mit unseren Kunden zeigen die Erwartung, dass grüner Stahl etwa 30 bis 60 Prozent weniger Emissionen verursachen soll, als bei der bisherigen Herstellung. Es bleibt auf dem Markt und bei den Kunden jedoch noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.
Die Transformation der Stahlindustrie hin zu CO2-neutralen oder -reduzierten Anlagen ist ein langwieriger und kostspieliger Prozess. Wie ist hier Ihre Einschätzung?
Das Interesse an Green Steel ist momentan enorm hoch, da jedes Unternehmen gezwungen ist, sich mit dem Thema Emissionen auseinanderzusetzen. Die meisten Unternehmen müssen nun ihren Kurs festlegen und bestimmen, wie sie ihre Betriebsabläufe in den nächsten Jahren optimieren können, um die Ziele im Rahmen des Klimaschutzgesetzes bis 2045 zu erreichen. Derzeit favorisieren viele Stahlhersteller die direkte Reduktion als technische Lösung, bei der Eisenschwamm aus Eisenerz und idealerweise grünem Wasserstoff hergestellt wird. Dieser Eisenschwamm wird dann in einem Elektrolichtbogenofen zusammen mit variablen Mengen recyceltem Schrott zu Stahl umgewandelt. Die meisten führenden Stahlhersteller haben bereits solche Anlagen konzipiert, projektiert und teilweise subventioniert erhalten. Weitere Anlagen werden sie größtenteils selbst finanzieren müssen. Entscheidend dafür ist, dass sich ein „Grüner Markt“ bildet, um die Grundlage für weitere unternehmerische Investitionen für die Zukunft zu schaffen. Der Wandel hin zu umweltfreundlicherem Stahl wird noch eine spannende Reise in den kommenden Jahren – alle haben sich aber schon auf den Weg gemacht.
Vermitteln oder sichern Sie Ihren Kunden schon gewisse Chargen an grünen Stahl?
Wir haben mit zahlreichen Stahlwerken bereits Vereinbarungen über den Bezug von CO2-optimiertem Stahl abgeschlossen, um die Verfügbarkeit sicherzustellen. Für unsere Kunden entwickeln wir technische und wirtschaftliche Roadmaps zur Emissionsreduzierung basierend auf ihrem aktuellen Stahleinsatz, ihren Zielen und den von uns gesicherten Chargen. Wir können auch bereits CO2-optimierten Stahl beschaffen, sei es Elektrostahl oder hochoptimierten Stahl aus dem Hochofen. Wir empfehlen Kunden mit Interesse für grünen Stahl, frühzeitig zu planen und sich nicht ausschließlich auf zukünftige Verfügbarkeiten zu verlassen. Denn einige Analysten sagen schon jetzt Engpässe für Green Steel von bis zu 7 Millionen t im Jahr 2030 voraus.
Kunden mit hohem Stahlbedarf sollten also möglichst schnell mit Vorvereinbarungen aktiv werden…
Das ist korrekt und das sage ich jetzt nicht aus Eigennutz. Automobilhersteller oder große Zulieferer beteiligen sich bereits selbst an Stahlwerken oder Sonderprojekten, um sich ihre signifikanten Mengen an Green Steel zu sichern. Sie haben erkannt, dass die CO2 Einsparungen durch Green Steel die zweitbeste Optimierung des eigenen Fußabdruckes ist, gleich nach der Umstellung auf einen grünen Stromtarif. Für diese großen Unternehmen ist das ein Weg für die frühzeitige Sicherung. Für kleine und mittelständische Unternehmen mit einem Bedarf von vielleicht nur 5 oder 10.000 t Flachstahl im Jahr ist das aber nicht praktikabel. Hier kommen wir als unabhängiges Stahlservicecenter ins Spiel und können diese Menge an grünem Stahl aus verschiedenen Stahlwerken vorreservieren. Wir bieten eine volle Transparenz in der Planung und den Kosten über die verschiedenen Green-Steel-Produkte an.
Haben Sie hierfür den Stahlkompass entwickelt, um Transparenz über die gesamte Lieferkette zu bieten?
Genau, der Stahlkompass soll Kunden transparent zeigen, was sie kaufen und wie viel Emissionen damit verbunden sind. Sie können über unsere Anwendung ihre Klimaziele einstellen und wir berechnen genau, wie viel von welchem Material kombiniert werden muss und was es kostet. Zudem bieten wir eine klare Belegführung, damit Kunden sicherstellen können, dass sie auch erhalten, wofür sie bezahlen. Unser Ziel ist es, die Emissionen wie einen Materialwert zu behandeln und eine Transparenz über die gesamte Lieferkette zu schaffen.
Das bringt uns zu Ihrem Digitalen Materialpass DMP. Gehen Sie damit in Vorarbeit, um standardisierte Daten in die Lieferkette zu bringen?
Exakt! Wir ermöglichen damit standardisierte Zertifikate für Stahlcoils und wollen so die Chargen-Eigenschaften wie Emissionswerte und Materialeigenschaften weitergeben. Gerade bei Green Steel ist diese Transparenz extrem wichtig. Wir sind bereits in der Automobilbranche aktiv und arbeiten mit Partnern zusammen, um Produkt- und Materialpässe auszutauschen. Es ist ja auch das Ziel von Ökosystemen wie Manufacturing-X und Catena-X, Transparenz über die gesamte Lieferkette zu ermöglichen – in einem standardisierten und austauschbaren Datenformat. Wir gehen mit unserem DMP in Vorleistung, weil es in der Stahlbranche noch nichts vergleichbares gibt, und können so schon jetzt Kunden eine transparente und via Blockchain manipulationssichere Lösung anbieten. Die konforme Datenübergabe an die genannten Ökosysteme ist für uns klar die naheliegendste Entwicklungsperspektive. Deswegen legen wir großen Wert darauf, dass unsere Lösung anpassbar an die agilen Anforderungsveränderungen der Zukunft bleibt. Schließlich sind wichtige Spielregeln und Definitionen noch nicht mit allen vereinbart.
Wie sieht eigentlich von der Größenordnung her der Preisaufschlag bei Green Steel aus?
Als Richtwert geben Stahlhersteller in der Regel einen Aufpreis von etwa 20 Cent pro Kilogramm an, was etwa 200 Euro pro t entspricht. Dabei handelt es sich um Stahl, der um etwa 30 bis 60 Prozent emissionsärmer hergestellt wird. Das entspricht etwa einer CO2-Einsparung von 0,7 bis 1,4 Tonnen pro Tonne Stahl. Im Vergleich dazu kostet aktuell ein Emissionszertifikat im ETS-Handel ungefähr 90 Euro pro t CO2. Deshalb sind die Handelsvolumina für grünen Stahl noch recht gering. Viele Unternehmen testen noch, aber ich erwarte, dass spätestens 2025 die Nachfrage steigt. In den nächsten Jahren werden verstärkt CO2-optimierte Produkte mit Massenbilanzierung auf dem Markt angeboten. Die Akzeptanz dafür wächst stetig, da rein physisch „vergrünte“ Produkte in zu geringen Mengen und zu spät zur Verfügung stehen werden. Ich glaube jedoch, dass ohne eine breite Annahme von massebilanzierten Produkten die Transformation unnötig verteuert und verlangsamt wird. Beim grünen Strom ist eine Massebilanzierung auch längst akzeptiert. Ab 2026, mit der Verfügbarkeit von Stahl aus ersten Direktreduktionsanlagen, werden neue Lösungen verfügbar sein. Für Stahlo ist klar, dass nur der Kunde über die Art der Optimierung entscheidet. Wir sorgen für Transparenz und sichere Verfügbarkeit.
Wir haben viel über den CO2-Fußabdruck von Stahl gesprochen. Wie sieht es bei Stahlo selbst aus?
Seit Anfang 2022 beziehen wir ausschließlich grünen Strom für unsere Betriebsabläufe, was sich natürlich positiv auf unsere Bilanz auswirkt. Dadurch verwenden wir fast keine fossilen Brennstoffe mehr, mit Ausnahme von Erdgas an besonders kalten Wintertagen für die Hallenheizung. Die Berechnung unseres CO2-Fußabdrucks erfolgt durch die Aufteilung der Gesamtemissionen durch die produzierte Stahlmenge. Aktuell liegt dieser Wert bei etwa 3,6 kg CO2 pro Tonne verarbeitetem Stahl. Unser Ziel ist es, unter drei Kilogramm pro Tonne zu erreichen. Durch die Elektrifizierung unserer Betriebsmittel haben wir bereits beträchtliche Fortschritte erzielt und unseren CO2-Ausstoß seit 2020 um die Hälfte reduziert.
Zusammenfassend: Warum sollten sich Kunden an einen unabhängigen Stahl-Provider wie Stahlo wenden?
Kunden profitieren von der globalen Verfügbarkeit aller Stahlprodukte, die wir als Importeur international und durch unsere Lieferbeziehungen zu führenden Stahlwerken in Europa bieten können. Sie haben die Möglichkeit, auch kleinere Mengen spezieller Produkte von bestimmten Stahlwerken über uns zu beziehen und erhalten eine zuverlässige Versorgungssicherheit. Unsere Preise bleiben dabei wettbewerbsfähig. Darüber hinaus ermöglichen wir auch kleinen Kunden den Zugang zu umweltfreundlichen Stahloptionen, ohne dass sie sich benachteiligt fühlen müssen. Bis 2030 streben wir an, etwa 30 Prozent unseres Umsatzes mit Green Steel zu erwirtschaften, was etwa 150.000 bis 200.000 t entspricht. Kunden erhalten bei uns auch volle Planungssicherheit, weil wir als Teil der Friedhelm Loh Group auf ehrliche Partnerschaft und Langfristigkeit setzen.