Smart Traffic & Mobility Wenn Batterien brennen

Temperaturen an der Zelloberfläche: Thermische Rampe beim Hot-Box-Test, mit dem material- und designspezifisches Verhalten untersucht wird.

Bild: SGS
07.04.2014

Thermal Runaways sind für die E-Mobility-Branche ein ernstes Problem – nicht nur aus technischer Sicht, sondern auch, weil sie die Risikowahrnehmung beim Kunden negativ beeinflussen. Neue Testverfahren und Risikobewertungsmethoden bieten hier Lösungen.

Die Sicherheit von Elektrofahrzeugen bleibt grundsätzlich nicht hinter der von Verbrennungsfahrzeugen zurück. Elektrische Straßenfahrzeuge sind daher zulassungsfähig. Trotzdem begegnet ihnen vielerorts Skepsis, weil etwa die Gefährdungspotenziale andere Schwerpunkte haben und die Praxiserfahrung in der Elektromobilität noch eingeschränkt ist. Werden kritische Feldvorfälle mit Lithium-Ionen-Batterien betrachtet, so finden sich immer wieder folgende Ursachen für das Auftreten eines Thermal Runaways und nachfolgender Brände:

  • Fehlerhafte Auslegung von Schutzeinrichtungen

  • Fehler beim Zelldesign

  • Chemische Inkompatibilität von Zellkomponenten

  • Mechanische Beschädigung

  • Innere Kurzschlüsse durch Fertigungsfehler oder Lithium-Plating (das Abscheiden von Lithium an der Anode)

  • Schutzeinrichtungen unzureichender Zuverlässigkeit

  • Thermische Ausbreitung von Zelle zu Zelle im Pack

Offensichtlich decken gängige Risikoanalysen nicht immer alle Risiken auf. Hierzu muss der gesamte Produktzyklus betrachtet werden – angefangen von der Zellkomponente über die Zelle zur Batterie und weiter bis zum Fahrzeug.

Risikoanalyse und Batteriestruktur

Eine umfassende Risikoanalyse an Traktionsbatterien kann erfahrungsgemäß nur ein interdisziplinäres Expertenteam leisten, welches nach gemeinsamen Bewertungsmaßstäben und Regeln zusammenarbeitet. Dieses betrachtet zum einen den Effekt der Einwirkungen auf die Batterie von außen wie beispielsweise Hitze, Überladen, Quetschen oder Crash. Zum anderen wird gleichzeitig aber auch die Auswirkung von Fehlern in der Batterie inklusive fehlerhafter Auslegung von Komponenten auf die Sicherheit untersucht. Eine systematische Dokumentation macht den Vorgang nachvollziehbar und erleichtert die Berücksichtigung von Änderungen.

Das Risiko ist als höher zu bewerten, wenn Einwirkung oder Fehler häufig auftreten, diese nicht vermieden werden können und die resultierenden Ereignisse einen großen Schaden anrichten können. Um das Schadensmaß zu bestimmen, müssen die Experten daher entweder auf Messergebnisse zurückgreifen oder die Einwirkung simulieren beziehungsweise den Fehler provozieren. Das geht am besten im Labor unter definierten und reproduzierbaren Bedingungen.

Einwirkungen von außen auf die Batterie, die zu gefährlichen Situationen führen, können thermischer, mechanischer oder elektrischer Natur sein. Dabei reagieren verschiedene Zelltypen sehr unterschiedlich. In vielen Fällen führen jedoch sowohl mechanische Beschädigungen einer Zelle mit hohem Ladezustand (SoC, State of Charge) als auch hohe Energiezufuhr mit möglichen Elektrodeninstabilitäten beim Überladen und auch Joulesche Wärme bei externem Kurzschluss zu erheblicher Erwärmung der Zelle. Diese kann exotherme chemische Reaktionen auslösen. Die dabei freigesetzte Energie ist beim Thermal Runaway zum Beispiel achtmal höher als die elektrische.

Verhalten von Material und Design

Wird eine Zelle ausgehend von ihrer Betriebstemperatur in einem Ofen (Hot-Box-Test) erwärmt, so kann ihr material- und designspezifisches Verhalten bei erhöhten Temperaturen untersucht werden. Beim sogenannten Heat-Wait-Search-Verfahren wird die Zelle stufenweise erwärmt. Im Plateau ist zu beobachten, wie sich die Zelle aufgrund ihrer Wärmekapazität allmählich der Ofentemperatur angleicht. Die anschließende Wartezeit hängt davon ab, wann die Zelle gleichmäßig durchgeheizt ist. Alternativ ist das Erwärmen mit einer kontinuierlichen Rampe möglich. Dabei werden Temperaturverläufe, Spannung und Impedanz aufgezeichnet und die Zelle kontinuier­lich beobachtet.

Als exotherme Reaktion setzt die Auflösung des Solid Electrolyte Interface (SEI) – der passiven Grenzschicht zwischen Anode und Elektrolyt – an der Anode ein. Die Zelle ist danach bleibend verändert. Dabei ändert sich auch der Innenwiderstand. Nachfolgend kann die (Graphit)-Anode mit dem Elektrolyten reagieren, es entsteht noch mehr Wärme. Shutdown-Separatoren können dazu führen, dass das Einsetzen eines inneren Elektronenstromes herausgezögert wird. Dabei steigt der Druck in der Zelle weiter an. Bevor das Gehäuse unkontrolliert zerbirst oder gar explodiert, muss die Zelle öffnen, und zwar zuverlässig, was aufgrund von Fertigungsschwankungen der Berstscheibe oder durch Verstopfen der Berstmembran aufgrund von geschmolzenen Substanzen des Zell­inneren nicht immer der Fall ist.

Wird die Temperatur des Ofens weiter erhöht, kann der Separator schmelzen. Es setzt eine Reaktion des Elektrolyten mit der Kathode ein. Metalloxid-Kathoden erzeugen dabei Sauerstoff, der die Verbrennung des Elektrolyten weiter fördert. Trotzdem kann der weitere Reaktionsablauf stark von der Luftzufuhr aus der Umgebung abhängen. Der Ofentest ist nicht streng adiabatisch. So kann die Zelle Wärme an die Umgebung abgeben, wenn sie wärmer ist als diese. Damit ist eine Gesamt-Energiebestimmung nicht so exakt möglich wie in einem Kalorimeter. Jedoch lässt sich die Luftzufuhr analog dem späteren Einsatz einstellen; unrealistische Druckanstiege können somit vermieden werden. Einsatztemperaturen von Reaktionen lassen sich im Ofen gut bestimmen, ebenso die Auslösetemperaturen von Schutzeinrichtungen. Das Verfahren ist auch an großformatigen Zellen durchführbar. Am Auslass des Ofens können austretende Gase entweder durch Analyse-Röhrchen erfasst oder flüchtige Substanzen geeignet adsorbiert werden.

Auftreten interner Kurzschlüsse

Interne Kurzschlüsse treten teilweise durch Fertigungsfehler wie Fremdpartikel-Einschluss oder Schichtversatz auf. In guten Zellfertigungen ist die Auftrittswahrscheinlichkeit kleiner als 0,5 ppm. Eine andere Ursache ist das Abscheiden von Lithium an der Anode, das sogenannte Lithium-Plating. Es tritt auch bei korrektem Zelldesign nach einer Ladung mit zu hohem Strom beziehungsweise bei niedrigen Temperaturen auf. Kupferabscheidungen nach einer Tiefentladung können ebenfalls interne Kurzschlüsse erzeugen. In allen Fällen kann es sein, dass sich der Kurzschluss erst nach einer erheblichen Anzahl weitere Zyklen ausbildet und zuvor unerkannt bleibt.

Während das Batteriemanagement-System Temperatur, Ladeströme und Spannungen überwacht, kann es sowohl übermäßige Ladeströme oder auch das Tiefentladen verhindern. Es ist jedoch heute noch außerstande, Vorstufen interner Kurzschlüsse zu detektieren. Wenn der zellinterne Kurzschluss erst einmal eingesetzt hat, dann können ihn weder konventionelle aktive und noch passive Schutzmaßnahmen aufhalten, weil sie nur den äußeren Strom abschalten können. Insbesondere bei höheren SoC-Werten verfügen großformatige Zellen über sehr viel elektrische Energie, die über den lokalisierten internen Kurzschluss mit hoher Stromdichte entladen wird. Eine starke lokaler Überhitzung ist die Folge.

Auf die beschriebenen Extremsituationen reagieren nicht alle Zellen gleich. Separatoreigenschaften spielen hier eine wichtige Rolle oder auch die Funktion polymerisierender Additive und der Wärmetransfer vom inneren Kurzschluss nach außen. Ein konventioneller Nageltest erzeugt innere Kurzschlüsse. Allerdings können hier bei vollständiger Penetration über die gesamte Stack-Dicke viele Kurzschlüsse erzeugt werden. Die Zelle entlädt sich über den resultierenden Widerstand schnell, sie erwärmt sich dabei, es kommt jedoch oftmals nicht zu kritischen Temperaturen (siehe Abbildung oben).

Mit einem Spezialnagel dagegen wird nur ein lokalisierter Kurzschluss erzeugt. Die Entladung erfolgt mit höherer Stromdichte und die lokale Erwärmung ist deutlich höher. Wird dabei der Schmelzpunkt des Separators erreicht, so kommt es lokal zum Thermal Runaway, der sich schnell ausbreitet.

Thermische Ausbreitung im Modul

Für den Fall, dass eine Zelle im Zellverbund (Modul) in den Thermal Runaway geht, bestimmt neben den Zelleigenschaften auch das Moduldesign maßgeblich die Schwere des Ereignisses. Denn freigesetzte Energie und Schadstoffmenge hängen davon ab, wie viele Zellen in den Thermal Runaway folgen. Dabei spielt der Wärmeübergang zwischen den Zellen eine wichtige Rolle. So wurde 2013 beim Dreamliner nach dem Vorfall in Boston unter anderem auch die thermische Isolierung zwischen den Zellen nachgerüstet, bevor die Flotte wieder aufsteigen durfte.

Während das UN-38.3-Manual derartige Propagations-Prüfungen nicht fordert, finden sich Prüfvorschriften in der SAE J2464 (2009) im Abschnitt 4.4.5.1. Abweichend von dem dort beschriebenen Verfahren kann bei vielen Zellen auch eine Nagel­penetration bei hohem Ladezustand zur Auslösung eingesetzt werden. Die Messungen sollen in Einbaulage erfolgen, damit Heizphänomene durch austretende Gase realistisch beurteilt werden. Die Position der auslösenden Zelle im Modul soll variiert werden, da dies zu unterschiedlichen Abläufen der Hitzeausbreitung führt. Neben Temperaturfühlern haben sich Thermokameravideos bewährt, um die Zeitpunkte und Temperaturen zu bestimmen, bei denen es gegebenenfalls zum Venting (Druckentlastung) kommt. So können Reserven bestimmt, Verbesserungen gezielt eingebracht und ihre Wirksamkeit nachgewiesen werden.

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