Smart Traffic & Mobility Experten-Forum: 
Was bringt der vernetzte Antrieb?

Prof. Dr. Michael Bargende, Inhaber des Lehrstuhls für Fahrzeugantriebe an der Universität Stuttgart

25.09.2014

Motor und Getriebe können bald schon in die Zukunft sehen. Doch hilft die Vernetzung des 
Antriebs wirklich dabei, klimaschädliche Emissionen zu verringern? Vier Experten von AVL, Continental, Daimler und der Universität Stuttgart nehmen exklusiv für Mobility 2.0 Stellung.

Informationen aus der Cloud

Die große zukünftige Herausforderung wird sein, die thermische, mechanische und elektrische Energie im Fahrzeug unter hochkomplexen Anforderungen möglichst effizient und präzise zu nutzen. Während die Motorsteuerung heute ausschließlich auf Signalen von im Fahrzeug befindlichen Sensoren basiert, wird morgen auch verstärkt auf Information von externen Quellen wie anderen Fahrzeugen oder einer Cloud zurückgegriffen. Dank der Vernetzung des Antriebsstrangs mit der Cloud, „vernetztes Energiemanagement“ genannt, wird dem Endkunden durch die Verbrauchsreduktion ein signifikanter Mehrwert geboten.

Der Verbrennungsmotor wird, solange er läuft, bei einem besseren Wirkungsgrad betrieben und bei einer Hybridstrategie möglichst oft ausgeschaltet. Unter Zuhilfenahme von Echtzeit-Verkehrsdaten oder den Ampelphasen kann das Fahrzeug zum Beispiel selbstständig entscheiden, zu welchem Zeitpunkt der Motor ausgeschalten werden kann, ohne damit den Verkehrsfluss oder die Fahrdauer negativ zu beeinträchtigen.

Das Auto als vorausschauender Fahrer

Die Vernetzung des Fahrzeugs ist eines der großen Innovationsthemen in der Automobilindustrie. Bei Mercedes-Benz nutzen wir die entstehenden Potenziale, um die Mobilität von morgen noch sauberer und sicherer zu gestalten. Die Vernetzung von Sensoren und Fahrzeugsystemen macht das Auto zum mitdenkenden, vorausschauenden Partner – neben den Bereichen Sicherheit, Komfort und Infotainment eben auch in punkto Verbrauchseffizienz.

So zeigt beispielsweise unsere intelligente Betriebs- und Fahrstrategie für Hybridfahrzeuge, was durch intelligente Kommunikation des Fahrzeugs mit seinem Umfeld alles möglich ist. Sie berücksichtigt den Streckenverlauf und die Radarinformation für die Antriebssteuerung. Und zwar mit der Zielsetzung, einen optimalen Einsatz der verfügbaren Energie entlang der gewählten Route zu gewährleisten sowie das maximale Rekuperationspotenzial auszuschöpfen. Zudem nutzen wir Radarinformationen, um den optimalen Gang für die individuelle Fahrsituation zu wählen.

Die Komplexität steigt

Ein vernetzter Antrieb ermöglicht die Optimierung des Energiemanagements, um Verbrauch und Schadstoffemissionen im Realfahrbetrieb über das bisher bekannte Maß hinaus abzusenken. Die ganzheitliche Auslegung von Komponenten und Betriebsstrategien in der vernetzten Umgebung erlaubt eine optimale Dimensionierung der Komponenten während des Entstehungsprozesses des Fahrzeugs.

Mit der Vernetzung innerhalb des Gesamtfahrzeugs und zu den Informationen aus dem Fahrzeugumfeld kann der Antrieb vorausschauend geregelt werden. Zum Beispiel werden Fahrbahntopografie, Schaltzeiten von Ampeln und das Fahrverhalten der anderen Verkehrsteilnehmer berücksichtigt.

Zur Steigerung der Kundenakzeptanz müssen die unterstützenden Eingriffe am Sicherheitsempfinden der Kunden orientiert werden. Reproduzierbarkeit des Fahrverhaltens und die Einhaltung des Sicherheitsabstandes zu nachfolgendem Verkehr sind hierbei wichtige Einflussparameter.

Die Vernetzung führt zu einer Steigerung der Komplexität in der Entwicklung. Die AVL legt ihren Fokus daher einerseits auf die Gestaltung von Gesamtkonzepten und Betriebsstrate­gien, andererseits aber auch auf die Bereitstellung von Entwicklungsmethoden und Entwicklungswerkzeugen, die es erlauben, vernetzte Antriebsstränge schnell auf den Markt zu bringen.

Optimales Zusammenspiel der Motoren

Eine Vernetzung der Antriebskomponenten im Fahrzeug ist heute nicht mehr wegzudenken, eine Vernetzung von Fahrzeugen befindet sich hingegen im Forschungs- und Entwicklungsstadium und wird künftig eines der großen Optimierungsthemen des Individualverkehrs sein. Grundsätzlich gilt: Je technisch komplexer ein Fahrzeugantrieb ist und je mehr der Fahrer bereit ist, sich „fahren“ zu lassen, desto eher lassen sich direkte und indirekte CO2-Reduzierungen durch Fahrzeug- und Antriebsvernetzung erzielen.

Wenn beispielsweise der Partikelfilter eines Dieselhybrid mit so vielen Partikeln gefüllt ist, dass die thermische Regeneration ansteht, würde es im Stadtverkehr relativ viel Kraftstoff kosten, die Abgastemperatur auf über 600 °C anzuheben. Dank Navigationssystem kann das Motorsteuergerät die thermische Regeneration jedoch auf den Beginn eines Autobahnabschnitts mit Steigung verlagern und so „Heizkraftstoff“ einsparen.

Ein solches Zusammenspiel von Dieselmotor und Elektromotor lässt sich nur bei einer detaillierten Kenntnis der Verkehrssituation planen. Die Fahrstrategie muss während der Fahrt permanent mit dem Eintreffen neuer Informationen aktualisiert werden. Selbstverständlich muss der Fahrer auch bereit sein, der Fahrstrategievorgabe zu folgen – entweder indem er entsprechende Hinweise beherzigt oder sich „automatisiert“ fahren lässt. Dabei sind so ziemlich alle Zwischenstufen denkbar.

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