Vernetzt, automatisiert, im Idealfall von der Maschine bis zum Kunden ein durchgängiger Informationsfluss – dafür steht die Idee von Industrie 4.0. Welche Wertschöpfung ein Fertigungsunternehmen daraus individuell zieht, ändert nichts an der Tatsache: Nur aus der Echtzeit-Interaktion von Produktion und Management kann Industrie 4.0 entwickelt werden. Das bedeutet letztlich: Enterprise Resource Planning (ERP) als Leitsystem integriert ein Unternehmen als Ganzes.
Die entscheidende Frage dabei ist: Kann das mit der bestehenden ERP-Umgebung klappen, oder braucht es dazu ein modernisiertes System? Welche Fragen insbesondere Fertigungsunternehmen sich dafür stellen sollten, erläutert Wolfgang Verheyen, Senior Director Consulting Central & Eastern Europe bei Epicor Software, anhand einer Checkliste aus der Projektpraxis für ERP-Implementierungen:
Bietet das ERP variable Betriebsoptionen?
Industrie 4.0 ist ein Entwicklungsprozess, kein einmaliges Projekt. Daher muss die ERP-Software von vornherein flexible Implementierungsoptionen bieten, um auch für künftige Anforderungen der Prozess- und Datenvernetzungen über dezentrale Standorte hinweg gewappnet zu sein. Ob im eigenen Rechenzentrum, in der Cloud, als Managed Service oder einer Kombination davon: ERP-Software sollte alle Betriebsarten ermöglichen, den einfachen Wechsel einer Implementierungsart erlauben und dennoch immer eine einheitliche Umgebung bieten. Dies gewährleistet einen strukturierten Weg hin zu Industrie 4.0 bei gleichzeitigem Investitionsschutz.
Steht ein zum ERP kompatibles MES auch für verteilte Standorte zur Verfügung?
Moderne ERP-Lösungen sind auf die Integration mit MES (Manufacturing Execution Systems) vorbereitet. Wichtig ist hier zum einen, dass das MES sowohl als Standalone-Lösung als auch vernetzt mit dem ERP für einen Echtzeit-Datenaustausch betrieben werden kann. Zudem sollte das MES für einzelne Anlagen und für das zentrale Management verteilter Produktionsstandorte ausgerichtet sein. Dies gibt Unternehmen den erforderlichen Freiraum, ohne Kompromisse im Endergebnis schrittweise nach eigenen strategischen Plänen ihre Fertigung mit übergeordneten Unternehmensprozessen zu integrieren.
Ist die ERP-Software entwicklungsfähig mit zentralem Datenmanagement?
Im Hinblick auf Industrie 4.0-Initiativen sollte ERP-Software drei Kriterien erfüllen: Modulare Plattform auf Basis serviceorientierter Architektur, zentrales Masterdaten-Management und Echtzeit-Datenverarbeitung. Ersteres sorgt dafür, dass Drittanwendungen und funktionale Erweiterungen einfach und ohne Eingriffe am Programmcode integriert werden können, ohne künftige technische Entwicklungen oder Release-Updates zu beeinträchtigen. Die zentrale Echtzeit-Datenhaltung aus ERP- und MES-Systemen für die „eine aktuelle Wahrheit“ im Gesamtunternehmen stellt sicher, dass trotz ständiger Veränderungen jeder Unternehmensbereich jederzeit anhand verlässlicher Informationen agieren kann.
Sind Mobilität und Social Collaboration von vornherein im ERP implementiert?
Industrie 4.0 erfordert eine deutlich flexiblere Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg, als es heute noch üblich ist, denn es werden mehr und auch unterschiedlichere Gerät vernetzt. Der Mehrwert der in diesem Zusammenhang produzierten Daten für das gesamte Unternehmen liegt eindeutig in der Echtzeit-Synchronisation und -verfügbarkeit.
Der umfassende mobile Zugriff auf ERP-Informationen über Tablets und Smartphones ist daher in Zukunft unverzichtbar. Responsive Design und Dashboards machen den Einsatz mobiler Endgeräte für alle Bildschirmgrößen komfortabel, entsprechende Mobile Frameworks gewährleisten den Echtzeitdatenabgleich.
Im ERP integrierte Funktionen für Social Collaboration tragen dazu bei, dass auch Nicht-ERP-Anwender und externe Partner und Kunden einfach in Kommunikationsprozesse eingebunden werden können. Eingebettet im ERP sind die Informationen aus dem informellen Austausch über das zentrale Datenmanagement gespeichert, stehen mit ERP-Daten in Kontext und liegen nicht in Drittsystemen brach.
Profitiert das Gesamtunternehmen von Industrie 4.0 durch leistungsfähiges Prozess- und Kennzahlen-Management?
Leistungsfähige Planungs- und Steuerungsfunktionen im ERP sorgen dafür, dass die Vorteile intelligenter Fertigung auch in allen relevanten Unternehmensbereichen wirksam werden. Hochentwickelte Analysetools im Performance Management ermöglichen dabei die Umsetzung von rollenbasiertem Kennzahlen-Management, um die Planung, Ausführung und Evaluierung beispielsweise neuer Geschäftsmodelle durch Industrie 4.0 verifizieren zu können. Ausgefeiltes Business Process Management vereinfacht es, Abläufe und Verfahren im Zuge von Industrie 4.0 weiterzuentwickeln. Damit lassen sich im ERP effiziente Strukturen über alle Ebenen und Drittsysteme hinweg etablieren, automatisieren und bei Bedarf auch schnell anpassen, wenn es die Markt- oder Kundensituation erfordert.
Industrie 4.0-Produktion erhöht die Komplexität und Abhängigkeiten von Prozessen sowie den Taktschlag im Unternehmen. Die Leistungsfähigkeit des ERP-Systems bestimmt, ob ein Unternehmen damit auch umgehen kann und aus Initiativen für intelligente Fertigung Wachstumschancen realisiert. Ein kritischer Blick auf die bestehende IT-Landschaft im Unternehmen ist daher ratsam. Denn mit Industrie 4.0 lösen sich die Grenzen zwischen Produktion und Management auf, ERP- und MES-Systeme werden zu einer integrierten Einheit, die in naher Zukunft von einer immer anspruchsvolleren Zielsetzung und Technologie herausgefordert wird.