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Industriekameras für fairen Sport Mit Industrietechnik näher am Ball

Hochgeschwindigkeitskameras aus der Industrie können helfen, faire Entscheidungen im Sport zu treffen. Hohen Bildraten ermöglichen die Aufnahme von schnell bewegten Szenen in hoher Zeitauflösung und ohne die typischen Bewegungsverzerrungen.

Bild: iStock, Zeremski
10.10.2017

War der Ball wirklich im Tor? Ging der Tennisaufschlag ins Aus? Antworten auf solche Fragen liefern immer häufiger 10GigE-Kameras. Die schnellen Industriekameras sind nicht nur günstiger und kleiner als klassische Broadcasting-Lösungen, sondern bieten hohe Bildqualität und Geschwindigkeiten bei einfacher Verkabelung und geringerer Fehleranfälligkeit.

Für englische Fußballfans war der 22. Juni 1986 ein rabenschwarzer Tag: An diesem Tag erzielte Diego Maradona mit der „Hand Gottes“ ein irreguläres Tor gegen die englische Nationalmannschaft und besiegelte damit deren WM-Aus. Situationen wie diese sind der Alptraum für Fußballfans und Schiedsrichter: Der Ball fliegt Richtung Tor, fast geht er ins Netz, doch ein schneller Verteidiger kickt ihn direkt am Tor noch raus. Hat der Ball die Torlinie überquert oder nicht? War die Hand im Spiel?

Mit Augenmaß ist dazu oft keine valide Aussage zu treffen, Fernsehkameras stehen im falschen Winkel, der Torhüter sagt ja, der Verteidiger schwört nein – die Chance, eine richtige Entscheidung zu treffen, ist 50:50. Hochgeschwindigkeitskameras können helfen, fair zu entscheiden. 10GigE-Kameras beispielsweise, die parallel zur Torlinie angebracht werden, beobachten das Tor und den heranfliegenden Ball mit einer Full-HD-Auflösung von 1920 x 1080 und erreichen je nach Lichtverhältnissen Frameraten von bis zu 300 Bildern pro Sekunde. Die hohe Auflösung entspricht Fernsehqualität mit hoher Bildschärfe.

Die hohen Frameraten ermöglichen die Aufnahme von schnell bewegten Szenen in hoher Zeitauflösung und ohne die typischen Bewegungsverzerrungen. Mit der sofortigen Wiederholung und exakten Auswertung der Torszene ist augenblicklich ersichtlich, ob der Ball auch nur kurzzeitig die Torlinie passiert hat, bevor er wieder rausgekickt wurde. Diese Information kann dem Schiedsrichter fast in Echtzeit übermittelt werden und ermöglicht einen fairen Spielverlauf.

Abgespeckter Kabelsalat

Sportveranstalter und Übertragungsstationen, die auf Camera­link oder Coaxpress-Kamerasysteme setzen, müssen gegenüber 10GigE vor allem mit jeder Menge Kabeln, zusätzlich benötigten Schnittstellenkarten und Framegrabbern sowie höheren Kosten rechnen. Die Einbindung dieser Komponenten, die oft von verschiedenen Lieferanten stammen, viele Übergabepunkte und angeschlossene Bauteile machen die Systeme fehleranfällig. Nur ein gut ausgebildeter Ingenieur kann ein solches System zum Laufen bringen und im Falle einer Störung reparieren.

Bei 10GigE-Kameras, wie Emergent Vision Technologies sie beispielsweise bietet, verbindet ein einziges Glaserfaserkabel mit SFP+-Anschluss die Kamera mit einem PC, der über eine 10G-NIC-Karte verfügt. Ohne zusätzliche Framegrabber verbindet das Glasfaserkabel die Kamera am Tor und den Übertragungswagen oder die Auswertestation. Üblicherweise ist dabei eine Entfernung von ein bis zwei Kilometern zurückzulegen; bis zu zehn Kilometer sind mit einer solchen Verbindung möglich.

Für die korrekte Überwachung und Auswertung genügen zwei 10GigE-Kameras – für jedes Tor eine. Die Kosten für ein 10GigE-Kamerasystem sind aufgrund der geringeren Anzahl verbauter Komponenten und dem geringen Bedarf an Kabeln deutlich günstiger als bisherige Lösungen. Außerdem kann die Ethernet-Lösung mit anderen Standard-10G-Netzwerkprodukten verwendet werden, die preiswert im Einkauf sind. Da lediglich ein Übertragungsprotokoll genutzt wird, reduziert sich gleichzeitig die Fehleranfälligkeit. Statt eines Ingenieurs genügt vor Ort ein Techniker, der das Kamerasystem in kurzer Zeit in Betrieb nehmen kann. Auch der Serviceaufwand für den Betrieb des Systems wird reduziert.

Datenverarbeitung mit NIC-Karte

Die großen Datenmengen, die 10GigE-Kameras liefern, würden die Rechenkapazität marktüblicher PCs übersteigen. Die Verarbeitung der Daten erfolgt deshalb über im PC integrierte NIC-Karten. Auf diese Weise sinkt die CPU-Nutzung auf unter ein Prozent. Geringe Latenzen zwischen 5 und 50 µs sorgen für eine flimmer- und verzögerungsfreie Wiedergabe der Torszene in zeitkritischen Broadcasting-Anwendungen.

Insbesondere Kameras mit Qualitätssensoren, wie Sonys CMOS-Global-Shutter-Sensoren der zweiten Generation, erreichen auch bei den hohen Geschwindigkeiten gute Werte in Dynamik und Quanteneffizienz und zeigen ein geringes Rauschverhalten. Für Anwendungen mit Fokus auf maximaler Geschwindigkeit und möglichen leichten Abstrichen in der Bildqualität eignen sich Sensoren von CMOSIS.

Richtiges Timing für präzise Ballverfolgung

Auch in anderen Sportarten können Industriekameras ihre Stärken ausspielen. Im Tennis etwa muss der Linienrichter oft entscheiden, ob ein Ball im Aus oder gerade noch auf der Linie gelandet ist. Das sofortige Verfolgen eines Balls und seine exakte Position zu einem bestimmten Zeitpunkt ist ebenso wichtig für die Steuerung von Live-Übertragungen wie für eine präzise abgestimmte Produktion von Sportsendungen, exaktes Video-Management, die digitale Produktion zur Online-Berichterstattung sowie das Coaching von Sportlern mit Bewegungsanalysen und die Auswertung von Forschungsversuchen an Sportgeräten in der Entwicklungsphase.

Timing und Synchronisation der Kameras sind die Hauptkriterien für präzises Ball-Tracking und damit entscheidend für den Aufbau eines Multi-Kamerasystems. Ein Ball fliegt niemals in einer geraden Linie, er beschreibt Bögen und Winkel. Um den exakten Abschlag, die Flugbahn und die Geschwindigkeit zu berechnen, sind detaillierte Bewegungsdaten in Kombination mit einer genauen Zeitgebung wichtig. In typischen 10GigE-Systemen, die beispielsweise EVT-Kameras und Network Interface Cards kombiniert, sorgen integrierte IRIG-Module für eine stabile und gleichmäßige Zeitreferenz.

Mit diesen Zeitreferenzen triggern die NICs als Master alle angeschlossenen Kameras und versehen die aufgenommenen Bilder mit Zeitstempeln, bevor diese unter geringer CPU-Ausnutzung und mit geringer Latenz an den PC übergeben werden. Der IRIG-Standard wird bereits seit 1960 für die Taktgebung in Atomuhren und GPS-Systemen eingesetzt. Die Dual-Sync-NICs wurden ursprünglich für Finanz- und Börsengeschäfte entwickelt, verfügen über eine hohe Zeitstempel-Präzision und sind mit minimierter Netzwerkverzögerungen akkurat.

Präzise Synchronisation

IRIG-Module und Dual-Sync-Karten sorgen im Zusammenspiel für hohe Synchronisationspräzision. Der IRIG-Geber macht bisher benötige teure Switches obsolet und eliminiert gleichzeitig eine weitere Fehlerquelle. Der meist bereits integrierte IRIG-Geber muss dazu nur an die NIC angeschlossen werden und ist mit allen Kabelarten und -längen nutzbar.

Die Kamerasynchronisation kann über ein Kamera-SDK programmiert und gesteuert werden. Die Hard- und Software korrigieren automatisch Auslöseverzögerungen zwischen allen verwendeten Kameras. Bei der Nutzung von mehreren PCs kann das Standardnetzwerk für die Übertragung und Steuerung der Zeitstempel zwischen den Master- und Slave­Einheiten genutzt werden. Verbunden mit den verschiedenen Kabeloptionen ist das IRIG-Triggern aus Kosten- und Performance-Gesichtspunkten die flexibelste Lösung für synchronisierte Hochgeschwindigkeitsanwendungen wie das Ball-Tracking.

Gegenüber Cameralink- und Coaxpress-Lösungen liegt der Vorteil von 10GigE­Aufbauten, wie EVT-Kameras mit NICs und integrierten IRIG-Gebern, darin dass mehrere Kameras über jeweils ein Kabel direkt an den Processing-PC angeschlossen und die Auslösegeschwindigkeiten und Frameraten darüber einheitlich synchronisiert werden. Je nach benötigtem Aufbau können zwei oder vier Kameras an eine NIC und bis zu vier NICs – also bis zu 16 Kameras – über einen PC gesteuert werden. Die Frameraten sind ausschließlich von der Leistung der Kamera abhängig und lassen sich unter geringer CPU-Auslastung und mit geringen Latenzen erzielen.

Wetterfeste Kameras eröffnen die Vogelperspektive

Bei Sportveranstaltungen ist neben der detaillierten Beobachtung von Toren, Linien oder Flugbahnen auch der Gesamtüberblick über das Spielgeschehen aus der Vogelperspektive wichtig. Die Überwachung ganzer Spielfelder oder weiter Überblickszenen ist mit herkömmlichen Fernsehkameras oft sehr kompliziert zu steuern. Remote-Control-Funktionalitäten sind nicht immer gegeben, so dass meist zusätzliche Hardware-Schnittstellen von Drittanbietern benötigt werden. Das ist teuer und birgt das Risiko zusätzlicher Fehlerquellen. Zudem muss vor Ort ein Kameramann anwesend sein. Dazu kommt, dass 4K-fähige Fernsehkameras oft teuer und sperrig sind. Die kompakten 10GigE-Kameras können dagegen in einem wetterfesten Gehäuse dauerhaft im Außenbereich installiert werden.

Sie bieten darüber hinaus eine einfache und günstige Remote-Control-Lösung. Die 10GigE-Kamera wird dazu mit einem Canon-EF-Objektiv mit Birger-Mount ausgestattet und an exponierter Stelle über dem Spielgeschehen installiert, etwa auf dem Stadiondach. Mit modernen Sensoren wie dem Sony IMX 253 oder IMX 255 erreichen die Kameras UHD-Auflösung (3840 x 2160) und damit eine hohe Fernsehqualität. Einstellungen wie Auslösezeitpunkt, Bildrate, Objektiv-Zoom, Fokus und Blende lassen sich quasi remote vom angeschlossenen PC aus und ohne einen zusätzlichen Kameramann steuern. Mit bis zu 93 Frames pro Sekunde bei 4K-Auflösung lassen sich sowohl Zeitraffer- als auch Slow-Motion-Wiedergaben umsetzen. Der einfache Aufbau mit Kamera inklusive Objektiv, Kabel, NIC und Processing-PC hält die Kosten niedrig und erfordert keine weiteren Komponenten oder zusätzliches Personal.

Schnell und trotzdem scharf

Die Beispiele zeigen, dass sich Broadcasting-Lösungen mit modernen 10GigE­Industriekameras nach dem neusten Stand der Technik umsetzen lassen. Die hohe Bildqualität mit Full-HD- und UHD-Auflösung auch bei schnellen Bewegungsabläufen sowie die präzise Synchronisierung mehrerer Kameras sind die Basis für detaillierte Analysen wie Goal-Line- oder Ball-Tracking. Außerdem steigt der Fernsehgenuss der Zuschauer. Eine große Rolle spielen auch die kompakte Größe und das vereinfache Ummanteln der Kameras.

Torlinien- oder Überblickskameras sind das ganze Jahr fest im Stadion montiert und müssen deshalb Wind und Wetter standhalten. Die einfache Verkabelung erleichtert sowohl die Außeninstallation als auch die Zusammenstellung und Implementierung des Systems. Es sind keine weiteren Schnittstellen oder Frame-Grabber nötig. Damit sinken zum einen das Fehlerrisiko und zum anderen die Kosten im Vergleich zu klassischen Broadcasting-System. All diese Gründe machen 10GigE zu einer guten Lösung für die Realisierung anspruchsvoller Broadcasting-Systeme auch bei Multi-Kamera-Systemen mit Synchronisation.

Bildergalerie

  • 10GigE-Kameras von Emergent Vision können direkt über ein Glasfaserkabel an den PC angeschlossen werden.

    10GigE-Kameras von Emergent Vision können direkt über ein Glasfaserkabel an den PC angeschlossen werden.

    Bild: Framos

  • Mit einer NIC-Karte und integrierten IRIG-Modulen sorgen 10GigE-Kameras von Emergent Vision (hier ohne Objektive) für eine stabile und gleichmäßige Zeitreferenz.

    Mit einer NIC-Karte und integrierten IRIG-Modulen sorgen 10GigE-Kameras von Emergent Vision (hier ohne Objektive) für eine stabile und gleichmäßige Zeitreferenz.

    Bild: Framos

  • Mit IMX-253/255-Sensoren von Sony erreichen die Kameras UHD-Auflösung und damit beste Fernsehqualität.

    Mit IMX-253/255-Sensoren von Sony erreichen die Kameras UHD-Auflösung und damit beste Fernsehqualität.

    Bild: Framos

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