Neue Erkenntnisse einfließen lassen Forschung für sichere nukleare Entsorgung langfristig gestalten

Die Entsorgung von hochradioaktivem Material ist eine langfristige Aufgabe, die auch zukünftige Generationen betreffen wird und noch bis in die Mitte des 22. Jahrhunderts dauern kann.

Bild: iStock, Jumbo2010
31.01.2023

Bis ein Endlager für hochradioaktive Abfälle befüllt werden kann, könnten noch über 100 Jahre vergehen. Expertinnen und Experten der deutschen Wissenschaftsakademien zeigen, wie Forschungslandschaft und Forschung langfristig gestaltet werden können, um den notwendigen Beitrag zum Endlagerprojekt zu leisten. Aus den Ansprüchen an das Verfahren folgt: Die nukleare Entsorgungs- und Tiefenlagerforschung muss interdisziplinär aufgestellt und wieder verstärkt etabliert werden.

Während der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie in Deutschland für das Jahr 2023 vorgesehen ist, bleibt die Entsorgung des hochradioaktiven Materials eine langfristige Aufgabe, die auch zukünftige Generationen betreffen wird und noch bis in die Mitte des 22. Jahrhunderts dauern kann. Acatech-Präsident Jan Wörner sagt: „Das ist ein für menschliche Planungsmaßstäbe extrem langer Zeithorizont. In der Zwischenzeit wird die Wissenschaft neue Erkenntnisse liefern, werden neue Technologien entwickelt, wird sich die Gesellschaft und vielleicht auch die politische Landschaft verändern.“

Dies gelte es bereits heute zu berücksichtigen. „Natürlich kann keiner in die Zukunft schauen“, führt der Acatech-Präsident weiter aus, „was aber möglich ist, ist ein Verfahren zu etablieren, in das beständig neue Erkenntnisse einfließen können. Dieses lernende, partizipative Verfahren ist im Standortauswahlgesetzes bereits festgeschrieben – nun kommt es auf die erfolgreiche Umsetzung an.“

Für den unabhängigen und kritischen Blick braucht es mehr Fachleute

Horst Geckeis, Karlsruher Institut für Technologie KIT, leitet das Projekt, an dem Expertinnen und Experten von Acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Federführung), der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften zusammengewirkt haben. Er sagt: „Zuallererst bedarf es für die Tiefenlagerung einer Langzeitstrategie und Governance. Dazu gehört die Entwicklung einer auf die Zukunft ausgerichteten Forschungskonzeption und einer Forschungslandschaft, die flexibel genug ist, um auf aus heutiger Sicht unvorhersehbare Entwicklungen reagieren zu können.“

Problematisch sei in diesem Kontext, dass die nukleare Entsorgungsforschung an Universitäten und Hochschulen in den letzten Jahrzehnten deutlich an Stellenwert verloren habe. Sie wieder fest zu etablieren, unter anderem durch entsprechende Forschungsförderung, werde eine entscheidende Rolle für den Erfolg der nuklearen Entsorgung in Deutschland spielen. Für Fachkräfte der nächsten Generationen sollten attraktive (Studien-) Angebote und Beschäftigungsaussichten geschaffen werden. Horst Geckeis betont: „Forschende und Fachleute mit vielfältigen Hintergründen und Systemverständnis werden zukünftig nicht nur im Rahmen der Standortauswahl sowie beim Bau und Betrieb eines Tiefenlagers benötigt, sondern auch, um das Gesamtvorhaben unabhängig und kritisch begleiten zu können.“

Auch die Einbindung der Gesellschaft nimmt eine wichtige Rolle beim Thema Endlagerforschung ein. Im Diskussionspapier raten die Expertinnen und Experten daher dazu, von Anfang an Laien als Impulsgeber und Fragensteller in die Forschungsvorhaben einzubinden. Idealerweise führe das zu kollektiven Lernprozessen auf beiden Seiten.

Entscheidungen transparent treffen trotz Ungewissheiten

Die lange Zeitspanne, in der an der nuklearen Entsorgung gearbeitet werden muss, birgt Ungewissheiten. So galt zum Beispiel ein Krieg in Europa, wie wir ihn heute in der Ukraine erleben, noch vor kurzer Zeit als unwahrscheinlich. Um ein Tiefenlager möglichst robust gegenüber politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen zu gestalten, müssen also auch gravierende gesamtgesellschaftliche Veränderungen, die in den nächsten Jahrzehnten eintreten könnten, berücksichtigt werden. Hier sind die Gesellschafts- und Kulturwissenschaften gefragt, entsprechende Perspektiven zu eröffnen und in den Prozess einzubringen.

Weitere Ungewissheiten, die es zu berücksichtigen gilt, ergeben sich für ein tiefengeologisches Endlager aus Sicherheitsuntersuchungen über einen Zeitraum von einer Million Jahre. Ein Beispiel hierfür ist die Entwicklung des Tiefenlagersystems, wo Forschende über diesen langen Zeitraum sowohl die Wechselwirkung des Wirtsgesteins als auch Füllmaterial, Behälter und Abfallform betrachten müssen. Hier bedarf es Methoden, die es erlauben dennoch transparent Entscheidungen zu treffen und diese verständlich und auf Augenhöhe mit Laien zu kommunizieren.

Auch international vergleichen

Auch eine langfristig und breit aufgestellte interdisziplinäre Forschung für die sichere nukleare Entsorgung, wie sie das Expertenteam vorschlägt, benötigt Prozesse dafür, den Forschungsstand unabhängig zu bewerten. Dies kann durch eine regelmäßige Qualitätskontrolle und -sicherung von Forschungsprogrammen und -resultaten in Form von Begutachtungen durch Fachleute erfolgen, um sie fortlaufend zu verbessern.

Der Blick über die deutschen Grenzen hinweg zeigt aktuell ein vielfältiges Bild zu Entsorgungsprojekten. Teilweise sind diese schon sehr weit fortgeschritten und tiefengeologische Lager für hochradioaktive Abfallstoffe stehen kurz vor der Inbetriebnahme. Die internationale Vernetzung von Forschungsprojekten, die teilweise auch bereits stattfindet, erlaubt den kontinuierlichen Abgleich mit den im Ausland gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen. Dies wird nach Einschätzung des Expertenteams für die Weiterentwicklung des deutschen Entsorgungsprojekts essenziell sein, um es erfolgreich und überzeugend zu gestalten.

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