Nach der Abschaffung des sogenannten Grünstromprivilegs im Jahr 2014 gab es mehrere Anläufe einer Wiederbelebung zur Direktvermarktung von Ökostrom. Im Jahr 2015 blitzte das von der Energiebranche initiierte Grünstrom-Marktmodell an wirtschaftlichen Hürden und an EU-Vorgaben ab. Die Politik entschied sich dafür, die bestehende Stromkennzeichnung (SKZ) mit einem Regionalnachweisregisters (RNR) zu erweitern und schrieb dies im Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) 2017 fest. Doch auch hier glückte der geplante Start zum Jahresbeginn 2018 nicht auf Anhieb. Mit Inkrafttreten der Durchführungsverordnung über Herkunfts- und Regionalnachweise für Strom aus erneuerbaren Energien (HkRNDV) Ende November war dann endlich die letzte Hürde genommen. Damit können Stadtwerke ihren Endkunden ein regionales Stromprodukt aus Wind-, PV-, Wasser-, Geothermie- oder Biomasseanlagen in ihrer Nähe anbieten.
Dabei bildet sich die Region aus den Postleitzahlengebieten, die sich in einem 50-km-Umkreis um das PLZ-Gebiet befinden, in dem der Strom verbraucht wird. Jedes durch diesen Radius angeschnittene PLZ-Gebiet wird dieser Grünstromregion zugeteilt. Über das RNR können sich Anlagenbetreiber Regionalnachweise ausstellen lassen und diese mit dem Strom an Energielieferanten übertragen. Diese entwerten die Nachweise und deklarieren so die regionale Eigenschaft des EEG-Stroms in der Stromkennzeichnung. Damit ist auch das sogenannte Doppelvermarktungsgebot für Strom aus EEG-geförderten Anlagen erfüllt.
Akzeptanz erhöhen
Das Umweltbundesamt (UBA) als zuständige Behörde und Verwalterin des Registers ist selbst von den neuen Möglichkeiten begeistert: „Die Energiewende in der Region wird für Stromkunden greifbar. Stromlieferanten können ihren Produkten ein regionales Gesicht geben“, heißt es in einer entsprechenden Mitteilung der in Dessau angesiedelten Beamten.
Und auch bei Verbund Trading & Sales Deutschland, der Handelstochter des größten österreichischen Stromversorgers, ist man vom Regionalstrom-Konzept überzeugt: Hier biete sich gerade für kleine Stadt- und Gemeindewerke die Chance, ein transparentes und glaubwürdiges Kundenbindungs- und Marketinginstrument zu implementieren, sagt der Geschäftsführer von Verbund Trading & Sales Deutschland, Thomas Bächle.
Seine Kollegin in der Geschäftsführung, Ruth Alt-Jansky, rechnet der regionalen Grünstromkennzeichnung das Potenzial zu, die Akzeptanz der Energiewende vor Ort zu erhöhen. Stromverbraucher seien so besser in der Lage, sich mit den Erneuerbaren-Energien-Anlagen in ihrer Region zu identifizieren. „Dies kann dazu beitragen, dass vor Ort, wo die Energiewende stattfindet, neue Flächen für Anlagen ausgewiesen werden“, sagt die Geschäftsführerin der deutschen Verbund-Tochter.
Für das österreichische Unternehmen ist das Thema Grünstrom quasi die Geschäftsphilosophie und auch -basis. Denn rund 95 Prozent der eigenen Stromerzeugung stammen aus erneuerbaren Quellen, vor allem aus Wasserkraft, aber auch aus Windkraftanlagen in Österreich, Deutschland und Rumänien. Schon frühzeitig hat sich der zweitgrößte Produzent von Wasserkraftstrom in Deutschland mit dem Thema Regionalstrom auseinandergesetzt. „Um die Prozesse rund um Regionalnachweise besser zu verstehen, haben wir – als einziges Unternehmen im Markt – zusammen mit dem UBA und einem Partner-Stadtwerk in einem Workshop die HkRNDV einem Stresstest unterzogen“, berichtet Geschäftsführer Bächle. Parallel dazu lief die Entwicklung passender Vertriebstools, die „sowohl unseren Anlagenbetreibern und Partner-Stadtwerken als auch uns selbst eine Visualisierung der Absatzchancen ermöglichen“. Ruth Alt-Jansky gibt sich selbstbewusst: „First Mover im neuen Bereich der regionalen Grünstromkennzeichnung zu sein, ist ein Anspruch, den wir nicht nur uns selbst setzen, sondern auch unseren Kunden beweisen werden.“
Im Fokus stehen dabei vor allem die über 160 Partner-Stadtwerke, die Verbund in Deutschland betreut und vorwiegend mit grünem Wasserkraftstrom beliefert. Zudem habe man die Fähigkeiten als finanzstarker Direktvermarkter (DV) von EEG-Strom unter Beweis gestellt. Das DV-Portfolio umfasst Vertragspartner mit einer installierten Leistung von rund 1700 MW. Genau dies scheint ein Schlüssel zur Erschließung der neuen Geschäftsoption. Bächle erläutert dies so: „Als Direktvermarkter können wir den Regionalstrom von den EEG-Anlagenbetreibern beispielsweise an ein Stadtwerk vermitteln. Da wir in beiden Bereichen gut aufgestellt sind, lässt sich dies ideal verknüpfen.“
Für Betreiber und Stadtwerke
Das entsprechende Dienstleistungspaket „Regionalnachweisregister“ wird sowohl Anlagenbetreibern als auch Stadtwerken angeboten. Verbund übernimmt dabei die komplette Administration gegenüber dem UBA. Für das Segment der Anlagenbetreiber beinhaltet dies sowohl die Kontoeinrichtung als auch die Anlagenregistrierung sowie die Generierung und den Transfer der Regionalnachweise und deren Entwertung zur Verwendung in der SKZ. „Dieser Service ist Bestandteil unserer Direktvermarktung-Verträge“, erläutert Katja Locker, zuständig für Marketing bei Verbund Trading & Sales Deutschland. Zudem werde der Absatz der RN an Stadtwerke übernommen ein Leitfaden für Regionalnachweise zur Verfügung gestellt. Stadtwerke können vom Lösungsangebot eine gesicherte Lieferung von Regionalnachweisen inklusive namentlicher Benennung der Anlagen erwarten. Neben einer „maßgeschneiderten Lieferung auf die kWh“, verspricht Verbund zudem „eine hochqualitative Vergrünung der Reststrommengen“.
Verschiedene Szenarien
Das Unternehmen hat unterschiedliche Regionalstrom-Szenarien für lokale und regionale Energieversorgungsunternehmen durchgerechnet. Im Optimalfall ist die EEG-Anlage im Ausschreibungsverfahren nach dem EEG von 2017 errichtet worden und befindet sich innerhalb des 50-km-Radius um den zu beliefernden Kunden. Der DV-Dienstleister hat mit dem EE-Anlagenbetreiber einen DV-Vertrag und mit dem Energieversorger einen Stromliefervertrag abgeschlossen. In diesem Fall bezieht der Energieversorger die Regionalnachweise einfach über den DV-Dienstleister. Wurde die Anlage vor dem EEG von 2017 errichtet, ist ein Abschlag für die zu zahlende Marktprämie von einem Euro pro MWh beim Anlagenbetreiber fällig.
Überregional oder bundesweit tätige Energieversorger werden voraussichtlich in ausgewählten Ballungszentren ein regionales Grünstromprodukt anbieten und hierfür ihre EE-Anlagen im Umkreis von 50 Kilometern um eine EE-Anlage akquirieren.
Zukunftschancen
In Zukunft wird ein weiterer Anwendungsfall immer häufiger anzutreffen sein und neue Chancen bieten: Der Stromvertrieb aus Anlagen, die nach 20 Jahren aus der EEG-Förderung herausfallen. Hier spielt dann die Entfernung einer EEG-Anlage zum Endkunden keine Rolle mehr. Die Vertragsbeziehungen sind zwar grundsätzlich analog zum Verfahren bei Regionalnachweisen, allerdings kann der DV-Dienstleister nur noch Strom mit einem sogenannten Herkunftsnachweis und nicht mit einem Regionalstromnachweis an den Energieversorger liefern.
Die deutsche Verbund-Tochter blickt angesichts dieser vielfältigen Optionen sehr zuversichtlich in die Zukunft: „Uns liegen mehrere konkrete Kundenanfragen vor. Erste Kooperationsvereinbarungen und Verträge werden noch in diesem Jahr abgeschlossen werden“, teilt Geschäftsführerin Ruth Alt-Jansky zum aktuellen Stand der Gespräche im Kundensegment der Stadtwerken mit. Auch von den Anlagenbetreibern vernimmt sie positive Signale: „Diese möchten von Regionalnachweisen profitieren und erkennen den potenziellen Mehrwert, den wir bieten können.“ Schließlich verfüge man als Direktvermarkter mit über 160 Grünstrom-Stadtwerken über eines der größten Absatzpotenziale.