Kernfusion ist der Prozess, der die Sonne und die Sterne antreibt: Leichte Atomkerne werden zu schwereren verschmolzen, wobei eine große Menge an Energie freigesetzt wird. Der internationale Experimentalreaktor ITER soll demonstrieren, dass dieses Prinzip auch auf der Erde nutzbar ist.
Angestrebt wird dort eine Fusionsleistung von 500 MW - zehnmal soviel, wie zur Aufheizung des Fusionsplasmas investiert werden muss. In der derzeit in Südfrankreich gebauten Anlage, muss das Plasma dafür auf eine Temperatur von 150 Millionen °C gebracht werden.
Forschung zu leistungsfähiger Neutralteilchenheizung
Etwa die Hälfte der benötigten Heizleistung soll aus einer so genannten Neutralteilchen-Heizung (NBI für Neutral Beam Injection) kommen. Sie schießt schnelle Wasserstoff-Teilchen in das Plasma hinein, die dann durch Stöße ihre Energie in Form von Wärme abgeben.
Dazu werden zunächst Wasserstoff-Ionen erzeugt, in einem elektrischen Feld extrem beschleunigt und dann neutralisiert, um in den magnetischen Käfig des ITER-Tokamaks zu gelangen, wo das Plasma eingeschlossen ist. Für ITER basiert eine solche Ionenquelle auf negativen Wasserstoffionen.
Eine derart leistungsfähige Neutralteilchenheizung - zwei Teilchenstrahlen sollen je 16,5 MW liefern - wurde noch nie gebaut. Am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching erprobt ein Team am Teststand ELISE (Extraction from a Large Ion Source Experiment) die Szenarien für den ITER-Heizbetrieb.
Das Projekt wird vom europäischen Fusionskonsortium EUROfusion finanziell gefördert. Es geht darum, einen Wasserstoff-Ionenstrahl mit zuverlässig hoher Stromdichte zu erzeugen und quasi einen Dauerbetrieb zu demonstrieren. Die Ionenquelle von ELISE ist halb so groß wie diejenige der ITER-Heizung – dient also als verkleinerter Prototyp.
Pulslänge mehr als verzehnfacht
Jetzt erreichten Forschende dort einen neuen Weltrekord: Am 28. März 2024 gelang es ihnen für zehn Minuten (600 Sekunden), eine negative Wasserstoffionen-Stromdichte von fast 300 A pro m2 aus ELISE zu extrahieren. Damit konnten sie die bislang mögliche Pulslänge für solche Stromdichten mehr als verzehnfachen.
Für kürzere Pulse von zehn Sekunden Dauer wurden 330 A pro m2 erzeugt - das ist ebenfalls Weltrekord. Damit erreicht ELISE bereits das Ziel von ITER, obwohl am Teststand nur maximal 75 Prozent der bei ITER verfügbaren Hochfrequenzleistung zur Erzeugung des Ionenquellenplasmas nutzbar ist.
„Beide Werte stellen einen echten Durchbruch für die Entwicklung des ITER-NBI-Systems dar“, sagt IPP-Wissenschaftler Dr. Dirk Wünderlich. „Wir erreichen jetzt diejenigen Zielwerte, die für die erste ITER-Betriebsphase mit dem Brennstoff Deuterium-Tritium gefordert sind.“
Negativen Ionenstrahlen aus Ionenquellen
Zentraler Bestandteil der ITER-NBI-Systeme sind Ionenquellen, in denen negative Wasserstoff- oder Deuterium-Ionen erzeugt und anschließend extrahiert und beschleunigt werden (Deuterium wird auch schwerer Wasserstoff genannt, weil in seinem Atomkern neben einem Proton zusätzlich ein Neutron gebunden ist).
Diese Ionenquellen sind riesig und haben ungefähr die Größe einer Tür: Bei ITER soll der Querschnitt eines solchen Ionenstrahls eine rechteckige Fläche von zwei mal ein Meter haben. Bei ELISE ist er halb so groß (ein Quadrat mit einem Meter Kantenlänge).
Die Extraktion von ITER-relevanten negativen Ionenstrahlen aus solchen Ionenquellen ist eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe, da der Ionenstrahl über die gesamte Fläche homogen und bei Pulsen von mehreren hundert Sekunden Dauer temporär stabil bleiben muss.
Die Menge der während des Prozesses zwangsläufig mitextrahierten Elektronen soll möglichst klein bleiben, da diese Schäden am Extraktionsgitter in der NBI-Anlage verursachen würden. Die jetzigen Pulslängen von zehn Minuten wurden erst möglich, weil die Forschenden zuletzt deutliche Fortschritte bei der Kontrolle dieser Elektronen machen konnten. Dadurch wird nun eine Überhitzung der Gitter vermieden.
Weitere Weltrekorde sind bei ELISE eingeplant
„Die Anforderungen wurden bei den Weltrekord-Experimenten in ELISE durchweg erfüllt“, erklärt IPP-Bereichsleiterin Prof. Dr. Ursel Fantz. „Im nächsten Schritt wird es darum gehen, Betriebsszenarien zu entwickeln, mit denen sich die ITER-Werte schnell und zuverlässig erreichen lassen.“
Ein weiteres Ziel der Forschenden: Nach den Erfolgen mit Wasserstoff wollen sie die Werte auch mit Deuterium-Ionen erreichen - eine Anforderung für spätere Betriebsphasen von ITER. Dabei sollen die für Deuterium notwendigen Stromdichten bis zu 60 Minuten aufrechterhalten werden. „ELISE ist technisch dafür ausgelegt, diese Ziele zu erreichen“, sagt Ursel Fantz. Weitere Weltrekorde sind also für die kommenden Jahre beim IPP-Teststand fest eingeplant.