3D-Analyse des Zellinneren Mit Infrarotlichtpulsen Mini-Erdbeben in der lebenden Zelle auslösen

Das Forschertrio (von links) Professor Boris Mizaikoff, Dr. Hagen Deckert und Professor Volker Deckert will „Nano-Beben“ in Zellenkulturen auslösen.

Bild: Boris Mizaikoff
05.12.2023

Im Rahmen des „CZS Wildcard“-Programms der Carl-Zeiss-Stiftung erhält ein Forschertrio der Universitäten Ulm und Jena sowie des Instituts für Innovation, Transfer und Beratung (ITB) in Bingen eine Fördersumme von 750.000 Euro. Im Projekt „Geowissenschaftlich inspirierte, molekülspezifische 3D-Tiefenanalyse mit Nanometer-Auflösung“ sollen geologische Verfahren zur Erforschung von Erdbeben auf menschliche Zellen übertragen werden.

Die Wissenschaftler wollen durch Infrarotlichtpulse Mini-Beben auslösen und mithilfe mathematischer Verfahren eine 3D-Analyse des Zellinneren erstellen. Für die Uni Ulm bringt Professor Boris Mizaikoff, Leiter des Instituts für Analytische und Bioanalytische Chemie, seine Expertise in der Infrarot-Laserspektroskopie ein.

Erdbeben setzen gewaltige Kräfte frei, die enorme Zerstörungen auslösen können. Schon lange sind deshalb Seismologen bemüht, die Beben vorherzusagen, genau zu lokalisieren und zu erforschen, was sich im Inneren der Erde abspielt.

Wäre es vielleicht möglich, die Verfahren zur Erforschung des Erdinneren zerstörungsfrei auf winzige Strukturen anzuwenden? Ließen sich mit dem Besteck der Erdbebenforscher Blicke in lebende Zellen werfen? Wie könnten in den Zellen Beben erzeugt werden, wie könnten diese Erschütterungen nutzbar gemacht werden? Und letztlich, welchen Nutzen hätte das Ganze?

Bei einem Glas Wein kam die Idee

Diese auf den ersten Blick kuriose Idee haben die Brüder Volker und Hagen Deckert gemeinsam mit Boris Mizaikoff ausgebrütet. „Bei einem guten Glas Wein kamen wir auf diese Idee“, sagt Volker Deckert, der ältere der beiden Brüder.

Er ist Professor für Nanospektroskopie am Institut für Physikalische Chemie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Sein Bruder Dr. Hagen Deckert ist Geologe und leitet innerhalb der ITB das Institut für geothermisches Ressourcenmanagement in Mainz.

Professor Boris Mizaikoff leitet das Institut für Analytische und Bioanalytische Chemie an der Universität Ulm und ist ebenso Institutsleiter bei der Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung. Ob die Idee tatsächlich tragfähig ist, das können die drei Wissenschaftler in den kommenden zwei Jahren im Projekt „Geowissenschaftlich inspirierte, molekülspezifische 3D-Tiefenanalyse mit Nanometer-Auflösung“ ergründen.

Die drei Forscher wollen Infrarotlichtpulse in die Zelle feuern und dadurch molekülspezifisch Mini- oder genauer Nano-Beben auslösen, ohne dabei die Zelle zu beschädigen. Von den Nano-Beben breiten sich, wie bei „richtigen“ Erdbeben, Wellen bis an die Oberfläche aus und dort können sie an mehreren Messpunkten aufgezeichnet werden.

Mit Hilfe mathematischer Verfahren müsste es dann möglich sein, eine 3D-Analyse des Zellinneren zu erstellen. „So könnten wir, wenn alles klappt, in einer Zellprobe erforschen, an welcher Stelle innerhalb der Zelle ein Virus andockt“, sagt Deckert. Oder es wäre möglich zu bestimmen, wo genau ein Medikament seine Wirkung entfaltet.

Ultrafeine Messgeräte werden benötigt

Nötig seien in jedem Fall ultrafeine Messgeräte und eine störungsfreie Umgebung, aber im Prinzip müsste es gehen, so Professor Deckert optimistisch. Zunächst gelte es, die entsprechenden Referenzmethoden zu entwickeln und die Idee zu testen.

„Wir freuen uns natürlich sehr, gemeinsam mit den Kollegen in Jena und Mainz diese „wilde Idee“ auszuprobieren“, so Boris Mizaikoff. „Als Spezialisten für Infrarot-Laserspektroskopie tragen wir unsere Expertise zur selektiven Anregung molekularer Schwingungen bei, die letztendlich zu den gewünschten „Nano-Beben“ führen sollen.“

Die Infrarotspektroskopie und -sensorik mit Hilfe sogenannter Quantenkaskadenlaser zählt zu den Kernforschungsgebieten von Mizaikoff und seinem Ulmer Team und soll im Projekt mithelfen, die dritte Dimension in der Infrarot-nanoskopischen Abbildung zu erschließen.

Ziel des Förderprogramms „CZS Wildcard“ ist es, Freiräume für „wilde“ Ideen im Mint-Bereich zu schaffen und Ideen mit hohem Innovationspotenzial zu unterstützen. Förderwürdig sind interdisziplinäre Konsortien aus mindestens drei Wissenschaftlern mit Vorhaben, die radikal neu und damit besonders wagemutig sind. Insgesamt fünf Forscherteams erhielten 2023 eine „Wildcard“.

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