Jährlich fallen in Deutschland circa vier Millionen Tonnen Faserreststoffe aus der Papier- und Zellstoffindustrie an. Sie zu entsorgen, verursacht jedes Jahr Kosten von rund 160 Millionen Euro. Mit ihrer thermischen Verwertung werden außerdem je Tonne 500 kg fossiles CO2 freigesetzt.
Ziel des Forschungsprojekts „Reststoff2Kraftstoff“ ist es deshalb, solche Reststoffe mithilfe eines neuartigen thermochemischen Konversionsverfahrens (TCR-Verfahren) zunächst in ein Rohöl-Äquivalent umzuwandeln und anschließend in einer Raffinerie zu nachhaltigen Normkraftstoffen aufzubereiten. Dieser synthetische Kraftstoff könnte eine wichtige Rolle im Mobilitätsmix der Zukunft einnehmen, vor allem für schwer zu elektrifizierende Bereiche wie den Güter- und Flugverkehr.
„Um die Klimaziele im Mobilitätssektor zu erreichen, brauchen wir schnell CO2-neutrale Kraftstoffe“, sagt Dr. Robert Daschner, Abteilungsleiter Energietechnik beim Fraunhofer Umsicht Sulzbach-Rosenberg. „Allein schon, um die tausenden Lkw, die noch Jahrzehnte betrieben werden müssen, möglichst rasch klimaneutral zu machen.“
Umwandeln statt Verrotten
Insgesamt ließen sich allein durch Kraftstoffe, die auf Rückständen der Zellstoff- und Papierindustrie basieren, jährlich bis zu eine Million Tonnen CO2-Emissionen einsparen. Zusätzliche 1,5 Millionen Tonnen würden wegfallen, weil die Reststoffe nicht mehr verbrannt werden müssten.
Der Projektleiter beim Fraunhofer Umsicht, Dr. Andreas Apfelbacher, sagt hierzu: „Gerade biogene Reste aus der Industrie oder Landwirtschaft sind ideale Einsatzstoffe, da hier definitiv keine Konkurrenz zur Agrarindustrie hinsichtlich der Flächennutzung besteht. Bisher verrotten diese Abfallstoffe meist ungenutzt und setzen so CO2 frei. Wir wandeln sie in klimaneutrale Kraftstoffe um.“
Vom Abfall zum Treibstoff
Im Projekt werden 50 t Faserreststoffe des Papierherstellers Leipa zunächst vorbehandelt, also getrocknet und pelletiert. Anschließend wandelt das Fraunhofer Umsicht das Einsatzmaterial mittels der TCR-Technologie zu einem Rohöl um.
Dafür werden die Faserreststoffe in einem Schneckenreaktor pyrolysiert (intermediäre Pyrolyse). In der zweiten Stufe, dem katalytischen Reforming, bringt das Institut die entstehende Kohle und die Dämpfe gezielt in Verbindung, was die Gasausbeute und Qualität verbessert. Durch Kondensation werden Prozesswasser und Öl von der Gasphase getrennt, das Gas gereinigt und energetisch genutzt. Im Projekt sollen insgesamt 2.000 l Rohöl entstehen.
Dieses geht anschließend an die bayerische Gunvor-Raffinerie in Ingolstadt. Anhand von Laboruntersuchungen und Simulationen wird dann ermittelt, wie das regenerative TCR-Öl als „Drop-In-Fuel“ ein fossiles Rohöl in einer konventionellen Raffinerie substituieren kann. Die Produktqualität des Öls, insbesondere seine thermische Stabilität, ist hierfür ausschlaggebend. Vorversuche mit TCR-Rohöl sollen bereits ein hohes Potenzial für die Defossilisierung bestehender Raffinerien gezeigt haben.
Erprobung bei BMW und MAN
Nach der Qualifizierung des Öls will das Fraunhofer Umsicht eine Raffination im Technikumsmaßstab durchführen, in der das Rohöl zu erneuerbaren Kraftstoffen nach DIN EN 228 (Benzin) und EN 590 (Diesel) raffiniert wird. Hierfür stellt Clariant den Projektpartnern Bioethanol aus seiner Sunliquid-Demonstrationsanlage in Straubing zur Verfügung.
Die fertigen Kraftstoffe werden anschließend an BMW-Versuchsmotoren auf Rollenprüfständen an der OTH Amberg-Weiden erprobt. Mit den Messergebnissen sollen sich die Parameter der Rohölerstellung und Raffination dabei weiter verbessern lassen.
Außerdem testet die Firma MAN Truck & Bus den erneuerbaren Dieselkraftstoff im Straßeneinsatz unter Realbedingungen. Hierfür kommt ein Serienmodell einer MAN-Sattelzugmaschine zum Einsatz. Mithilfe eines PEMS (Portable Emission Measurement System) werden die Emissionen analysiert.
Gesetzliche Rahmenbedingungen im Blick
Neben der technischen Machbarkeit und Bewertung der Gesamteffizienz der Verwertungskette werden im Projekt auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen für einen Kraftstoff aus Papierrückständen beleuchtet. Die Projektpartner von der Universität Nürnberg analysieren hierfür insbesondere die geltenden Entlastungsmöglichkeiten nach dem Energiesteuergesetz sowie die steuerliche Förderung von Biokraftstoffen und anderen erneuerbaren Energieträgern.
Die technischen, ökonomischen und juristischen Ergebnisse aus dem Projekt sollen dann als Ausgangspunkt für die Konzeption einer großtechnischen Anlage zur Verwertung von Faserreststoffen und Herstellung von regenerativem Rohöl dienen.
Projektpartner von „Reststoff2Kraftstoff“
„Reststoff2Kraftstoff“ startete im Frühjahr 2021 und läuft bis 2024. Es wird vom Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) im Förderbereich „Energetische Biomassenutzung“ gefördert.
Neben dem Fraunhofer-Umsicht-Institutsteil Sulzbach-Rosenberg gehören sieben Industrieunternehmen zu den Kooperationspartnern:
Gunvor Raffinerie Ingolstadt
BMW
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Leipa Georg Leinfelder
Ostbayerische Technische Hochschule Amberg-Weiden
MAN Truck & Bus
Clariant Produkte
Als assoziierter Partner ist außerdem das Institut für Wärme und Mobilität dabei.