Schaeffler baut seine Robotik-Aktivitäten deutlich aus und fokussiert primär auf die Cobots. Mit welchem Anspruch gehen Sie in diesen bereits stark besetzten Markt?
Stölzle:
Zuerst ein paar beeindruckende Zahlen, die das Potenzial des Robotikmarktes aufzeigen: Die Automobilindustrie in Südkorea hat den weltweit höchsten Automatisierungsgrad mit 2.700 Industrieroboter pro 10.000 Mitarbeiter. Der weltweite Gesamtquerschnitt aller Industrien kommt auf nur 110 Industrieroboter pro 10.000 Mitarbeiter. Noch extremer ist das Verhältnis bei den Cobots – hier sind es gerade mal vier Stück. Und diese führen dann meist klassische Tätigkeiten von Pick & Place, Bewegen von Teilen oder einfache Montageaufgaben aus; die Kollaboration wird selten genutzt. Die Unternehmen würden die Cobot-Fähigkeiten gerne mehr einsetzten, beispielsweise tagsüber in Zusammenarbeit mit Mitarbeitern. Aber nachts sollten die Roboter dann autonom mit hoher Geschwindigkeit und hohe Präzision agieren – so wie von klassischen Industrierobotern gewohnt. Aber hier stoßen Cobots bisher an ihre Grenzen. Durch ihre Leichtbauweise können sie zwar schnell beschleunigen und abbremsen, aber durch die fehlende Eigensteifigkeit erhöhen sich auch die Nachschwingzeiten und es dauert länger, bis der Cobot seine Position gefunden hat. Der Anspruch von Schaeffler mit seinen Lösungen für Roboter ist es, die Grenzen zwischen Cobots und klassischen Industrierobotern zu überwinden. Mit unseren Lösungen können wir bei Cobots die Geschwindigkeit, Dynamik und Präzision auf ein neues Niveau heben.
Hämmerle:
Unsere Getriebe, Lager und Motoren bringen genau die Voraussetzungen, um Cobots diesen Sprung zu ermöglichen. Neben der deutlich gesteigerten Steifigkeit für die Reduzierung des Nachschwingens ermöglichen unsere Komponenten einen deutlichen Entwicklungssprung hinsichtlich höherer Geschwindigkeiten und Traglasten. Doch das ist nicht alles, denn ein absolutes Highlight ist die im Getriebe vollintegrierte Sensorik. Damit gibt es im Cobot keine Steifigkeitsverluste, kein zusätzliches Gewicht und auch keine extra Kosten und Integrationsaufwand.
Was ist denn mit dieser integrierten Sensorik alles möglich?
Stölzle:
Der im Getriebe integrierte Sensor detektiert sofort jegliche zusätzlich auftretende Kräfte oder Drehmomente. Wir liefern mit unseren Lösungen dem Cobot-Hersteller also die Signale frei Haus, damit er direkt die Berührungsempfindlichkeit und somit die Mensch-Roboter-Kollaboration realisieren kann. Mit dieser Lösung sind wir einzigartig im Markt und bieten einen absoluten Mehrwert. Der Cobot-Hersteller benötigt keinen zusätzlichen Bauraum oder Gewicht für extra Sensoren, denn diese zwei Punkte beeinflussen wieder die Dynamik des Roboters. Wird ein separater Sensor am Getriebe angebracht, so leidet automatisch auch die Torsionssteifigkeit des Roboters. Unsere in Dünnschicht-Technologie aufgebrachte Sensorik liefert über die komplette Lebensdauer konstante Drehmomentsignale – Verschleißerscheinungen wie die Überalterung von Klebeschichten gibt es nicht.
Hämmerle:
Wir bei Schaeffler unterstützen den Cobot-Hersteller aber nicht nur mit unseren einzigartigen Komponenten, sondern wollen in einer Entwicklungspartnerschaft immer auch gemeinsam Themen voranbringen. Beispielsweise wie kann der Endkunde dank unserer Sensorik im Getriebe auch die Schwingungskompensation regelungstechnisch realisieren. Denn bei höheren Bewegungsgeschwindigkeiten der Roboterarme kommen automatisch auch Eigenschwingungen und Einschwingzeiten beim Positionieren stärker zum Tragen. Mit dem sensorisierten Wellgetriebe von Schaeffler lässt sich das für einen deutlichen Performance-Sprung des Cobots aktiv ausregeln. Was wir ebenfalls mit unseren Kunden gemeinsam vorantreiben, ist eine Verbesserung des Bewegungsablaufs, ohne den Aufbau und Struktur des Roboterarms groß verändern zu müssen.
Ein Problem von vielen Cobots ist neben der erwähnten geringeren Performance auch die über die Laufzeit oft leidende Wiederholgenauigkeit. Können hier die Robotik-Lösungen von Schaeffler durch die jahrzehntelange Kompetenz im Bereich Präzisionslager und Getriebe ebenfalls punkten?
Stölzle:
Auf jeden Fall! Bei unseren Robotik-Lösungen kommt natürlich das Schaeffler-Know-How aus allen anderen Produkten voll zum Tragen. Wir haben beispielsweise beim Wellgetriebe einerseits eine eigene ausgeklügelte Auslegung der Verzahnung, um die Drehmomentübertragung ohne Einbußen über die komplette Lebensdauer spielfrei zu halten. Gleichzeitig fließt immer auch unser Know-How in Werkstoff- und Materialwissenschaften bezüglich Materialkomposition, Wärmebehandlung und Abstimmung der Komponenten in die Robotik-Produkte ein. So können wir eben auch über die Lebensdauer dann die Performance entsprechend halten und verhindern ein Wegdriften der Wiederholgenauigkeit mit zunehmender Nutzungsdauer.
Gerade der Cobot-Markt ist auch sehr preissensitiv. Wie konkurrenzfähig vom Preis her stufen Sie hier Ihre Robotik-Lösungen ein?
Hämmerle:
Wir bei Schaeffler können unsere Robotik-Lösungen durch unsere Hochserientechnologie für die Automobilfertigung extrem kostenoptimiert produzieren, ohne jegliche Einbußen bei der Qualität. Unsere Robotik-Lösungen zielen aber dennoch nicht auf den Markt der Low-Cost-Robotik, sondern wir wollen Cobots auf das Leistungsniveau von Industrierobotern heben. Das Marktpotenzial für hochperformante und präzise Cobots ist im Umfeld der Industrieanwendungen riesig. Denn im Vergleich zu ihren klassischen „Kollegen“ sind Cobots kleiner, leichter und flexibler einsetzbar – und zu guter Letzt dann auch deutlich günstiger. Denn um es auch noch zu verdeutlichen: Unsere Robotik-Lösungen sind keine teure Luxusware.
Dennoch akquirierte Schaeffler kürzlich Melior Motion mit seinen Getriebelösungen für Industrieroboter mit hohen Traglasten. Wie passt das in Ihre Fokussierung auf Cobots?
Stölzle:
Ja wir haben uns mit den Lösungen von Schaeffler auf den Markt der Cobots fokussiert. Aber unsere Kunden sind ja meist breiter aufgestellt und benötigen auch Produkte für Roboter mit hohen Traglasten. Und hier ergänzt die Lösung von Melior Motion unser Angebot perfekt, weil wir jetzt auch Traglasten von 15 bis über 100 Kilogramm hinaus bei Industrierobotern bedienen können. Was für uns natürlich wichtig war, ist die herausragende Technologie von Melior Motion, denn auch im hohen Lastbereich wollen wir keine „me too“ Lösung anbieten. Das Ultra-Präzisionsplantengetriebe erlaubt bei Industrierobotern in Bezug auf Präzision und Lebensdauer einen ähnlichen Entwicklungssprung wie unsere Lösungen für Cobots.