Fachbeitrag Einen Schritt voraus sein

publish-industry Verlag GmbH

Bild: roibu, Shutterstock
06.05.2014

Der Innovationsdruck in Technologieunternehmen ist sehr groß. Dennoch bleibt die Anzahl der Patentanmeldungen in Europa seit Jahren unverändert. Abhilfe kann hier eine Unternehmenskultur schaffen, die Kreativität fördert und damit unsere Zukunft sichert.

Bei der Frage, wie wir unseren Lebensstandard auch zukünftig sichern wollen, ergeben sich mehrere Gesichtspunkte. Unstrittig ist sicherlich, dass wir dem potenziellen Käufer auf dem Weltmarkt Produkteigenschaften bieten müssen, die uns von anderen Herstellern abheben. Dies kann einerseits über einen günstigen Preis, aber auch über hohe Zuverlässigkeit, innovative Konzepte und neue Technologien erfolgen. Da wir bei den Herstellkosten gegen die Niedriglöhne in weiten Teilen der Welt keine Chance haben, können wir unsere Produkte kaum über den Preis in den Markt bringen, sondern müssen versuchen, über die letztgenannten Eigenschaften zu punkten. Aber auch durch die Anwendung neuartiger Fertigungsmethoden oder pfiffige Lösungen sind Kostensenkungen möglich, sodass wir auf diesem Gebiet nicht ganz chancenlos sind. Es ist erforderlich, anderen Regionen, die vom Vorteil niedriger Lohnkosten profitieren, bei der Entwicklung neuer, innovativer Produkte immer einen Schritt voraus zu sein. Dies hat in der Vergangenheit recht gut funktioniert. Wir müssen jedoch auch an die Zukunft denken – zumal es Anzeichen gibt, auf die wir reagieren sollten. Ein Anzeichen ist die Entwicklung der Patentanmeldungen. Die Anzahl der Anmeldungen in Deutschland und auch EU-weit verläuft in den vergangenen Jahren nahezu unverändert, während in den asiatischen Ländern Jahr für Jahr erhebliche Zuwächse entstehen. Die Verhältnisse beim Europäischen Patentamt sind in Abbildung 1 ersichtlich, wobei die Zuwächse bei der WIPO (World Intellectual Property Organization) noch drastischer ausfallen.

Innovative Produkte entstehen durch Kreativität

Technologieunternehmen stehen hierzulande unter einem hohen Innovationsdruck. Die Frage ist, wie diese regelmäßig Innovationen erzeugen und die dazu erforderliche Kreativität entwickeln. Sicherlich gibt es die Möglichkeit, hier auf (teure) externe Hilfe über spezielle Think Tanks, also Denk-Organisationen und -Firmen, zurückzugreifen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass es bedeutend effektiver ist, durch geeignete Maßnahmen die Kreativität der eigenen Mitarbeiter zu fördern. Es geht darum, das hier schlummernde hohe Ideenpotenzial zu nutzen, eine entsprechende Unternehmenskultur herzustellen und dadurch international wettbewerbsfähig zu bleiben. In jedem Mitarbeiter schlummert ein Schatz an Ideen, den ein Unternehmen für neue Produktentwicklungen brauchen kann. Es muss diesen Schatz nur heben. Dies kann durch ein zugeschnittenes betriebliches Vorschlagswesen erfolgen. Es können zum Beispiel Ideen-Wettbewerbe zu bestimmten Themen veranstaltet werden, bei denen am Ende eine Prämie winkt.

Grundsätzlich bringt das Vorschlagswesen auch viele unbrauchbare Ideen, insbesondere bei technisch komplexen Problemstellungen. Es ist jedoch ein zusätzlicher Baustein, um die Innovationsfreudigkeit zu verbessern. Wichtig ist, dass man alle Vorschläge sinnvoll in einer Datenbank verwaltet. Vielleicht wird das Unternehmen dort bereits beim nächsten Projekt fündig.

Ohne ein gewisses Risiko geht es nicht

Während das Tagesgeschäft, bestehend aus Kundengesprächen, Projektdokumentationen, Besprechungen und dem Beantworten von E-Mails, mit einer klaren Abteilungsstruktur mit genau festgelegten Kompetenzen am besten funktioniert, entstehen Innovationen besser in flachen Hierarchien mit hoher Entscheidungsbefugnis und abteilungsübergreifender Freiheit. Kreativität bedingt auch eine gewisse Risikofreudigkeit – eine Idee muss auch einmal fehlschlagen können, ohne dass direkt personelle Konsequenzen drohen.

Erwiesenermaßen führt nur ein Bruchteil der Ideen zum erhofften Ziel, oder jemand muss eine Idee noch weiter konkretisieren oder modifizieren. Zumeist sind gerade bei der Elektronik-Entwicklung noch Vorversuche erforderlich, die natürlich unverzüglich durchgeführt werden sollten, um zielgerichtet und ohne Zeitverlust weiter zu kommen. Oft kommt es vor, dass ein Entwickler mehrere gute Ideen hat, die beste jedoch nur durch einen Versuch ermitteln kann, für dessen Durchführung ihm einige Bauteile fehlen. Da er jedoch nicht befugt ist, diese sofort und auf direktem Wege selbst zu bestellen, sondern den normalen Durchlauf über den Einkauf nutzen muss, bekommt er seine Teile erst nach Wochen. Während dieser Zeit ruht das Projekt. Unter solchen Voraussetzungen wird ein Projekt ewig „im eigenen Saft“ schmoren. Hier ist das Unternehmen gefragt, um Abhilfe zu schaffen. Für kreative Produkte braucht es auch eine kreative Unternehmensstruktur.

Die guten Ideen kommen meist unverhofft

Kreativität entsteht nicht unter Termin- und Erfolgsdruck und bei Besprechungen und Meetings. Sie hat es auch schwer, wenn ein schlechtes Betriebsklima herrscht, jeder Arbeitsgang genauestens dokumentiert und jede Arbeitsstunde nachgewiesen werden muss. Und die Arbeitsumgebung spielt auch eine große Rolle.

Viele haben es schon erlebt: Die zündende Idee, der entscheidende Gedanke kommt nicht beim Arbeiten oder mit einem Problem, sondern unter der Dusche, beim Rasieren, im Bett, beim Rauchen oder auch auf dem stillen Örtchen. Kreativität entsteht nämlich zwischen den geordneten Gedanken, sozusagen im Niemandsland.
Sie muss nicht angeboren sein, sondern kann auch durch geeignete Förderung entstehen. Oft wird angenommen, dass Experten im Gegensatz zu Laien zu viele Vorurteile besäßen und daher nicht sehr kreativ wären. In Wahrheit verstehen die meisten Laien jedoch eine Aufgabe nicht klar genug, und deren Ideen sind dann nicht umsetzbar.

Genauso kommt Kreativität nicht vorzugsweise von jüngeren Menschen, sie produzieren vielleicht mehr, dafür jedoch auch vielfach unbrauchbare Ideen. Ein sträflich vernachlässigter Punkt ist das Fehlen von weiblicher Intuition. Frauen sollten aufgrund ihrer unterschiedlichen Herangehensweise viel mehr im technischen Kreativbereich eingesetzt werden.

Kreativitätstechniken sind nicht immer geeignet

Um Kreativität zu fördern, gibt es diverse Kreativitätstechniken. Zumeist wird dabei versucht, innerhalb einer Gruppe von Kandidaten kreative Ideen zur Lösung einer Aufgabe zu erarbeiten. Bereits seit 80 Jahren existiert das Brainstorming, das die wohl bekannteste Form ist. Brainstorming wird auch heute noch meist angewendet. Im Laufe der Zeit wurde dann eine Vielzahl von Kreativitätstechniken mit den verschiedensten Lösungsansätzen entwickelt, beispielsweise der Morphologische Kasten, Mindmapping, die 6-Hüte-Methode oder TRIZ-Methoden.

Es sollte jedoch bedacht werden, dass zur Lösung von technischen Aufgaben in der Elektronik-Entwicklung gruppendynamische Vorgehensweisen eher schlecht geeignet sind, da hierfür aufgrund der technischen Komplexität nur wenige Experten zur Verfügung stehen und daher bei einem größeren Arbeitskreis die Gefahr besteht, sich in Detailfragen zu
verzetteln.

Gestaltung des Arbeitsplatzes spielt eine große Rolle

Für das Entstehen von Kreativität ist ein optimaler Arbeitsplatz äußerst wichtig. Großraumbüros stellen in dieser Hinsicht eine schlechte Lösung dar. Die Idee dabei ist, dass sich dort durch stetigen Gedankenaustausch der Mitarbeiter quasi von selbst Kreativität einstellt. Leider ist das Gegenteil der Fall. Viele Studien haben nachgewiesen, dass sich der stetige Geräuschpegel und die Betriebsamkeit innerhalb eines Großraumbüros sehr negativ auswirken. Mitarbeiter können sich schlecht auf ein Problem konzentrieren, wenn im Hintergrund irgendwo ein Telefon klingelt oder die Kollegen sich unterhalten. Außerdem fühlen sich die Menschen ständig beobachtet und können sich dadurch nicht optimal konzentrieren.

Zur Ideenfindung benötigt ein Mensch vielmehr Muße und Ruhe. Daher liegt die beste Lösung für Kreativkräfte in der Bereitstellung von zwei Arbeitsplätzen. Diese sollten zunächst aus einem abgetrennten Einzeldomizil für Kreativarbeit bestehen, wo der Mitarbeiter ungestört seinen Gedanken nachhängen kann, kein Telefon stört, und auch technische Versuche durchführbar sind. Der zweite Platz dient dann dazu, das Tagesgeschäft und begleitende Engineeringarbeiten im Kreise der Kollegen zu erledigen, wobei hier der Gedankenaustausch auch förderlich ist. Ein Unternehmen kann dies beispielsweise so regeln, dass der Arbeitstag zwischen den beiden Plätzen aufgeteilt ist, sodass nichts zu kurz kommt. Natürlich sind auch regelmäßige Projektbesprechungen erforderlich, die jedoch maximal wöchentlich in möglichst straffer Form stattfinden sollten.

Bildergalerie

  • Abbildung 1: Die Anzahl der Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt (EPA) verläuft seit Jahren unverändert, während die Patentanmeldungen in asiatischen Ländern stetig zunehmen.

    Abbildung 1: Die Anzahl der Patentanmeldungen beim Europäischen Patentamt (EPA) verläuft seit Jahren unverändert, während die Patentanmeldungen in asiatischen Ländern stetig zunehmen.

    Bild: Hans P. Vrancken

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