Drei fragen an Marcus Scholle, Trainer für funktionale Sicherheit bei Wieland Electric:
Herr Scholle, die EU-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG wird aktuell überarbeitet – warum ist dies notwendig
Die Überarbeitung ist notwendig, da die Richtlinie an ihre Anwendungsgrenzen kommt. Schon allein aus dem Veröffentlichungsjahr 2006 lässt sich schließen, dass die derzeit gültige Version nicht auf neueste Technologien abgestimmt ist beziehungsweise diese nicht berücksichtigt. Darunter fallen zum Beispiel selbstlernende Maschinen und kollaborierende Industrieroboter, die im Produktionsprozess mit Menschen interagieren.
Für bestimmte Hochrisikoprodukte wird eine Bewertung Benannter Stellen nötig sein. Das gilt insbesondere für Systeme zur Ausführung von Sicherheitsfunktionen in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz. Ein weiteres Thema ist die Cybersicherheit im Zusammenhang mit Komfortfunktionen wie etwa Fernzugriffen, um Anpassungen an Maschinenprogrammen vorzunehmen. Hier wird der Schutz vor unbefugten Änderungen deutlich an Bedeutung gewinnen.
Welche Unstimmigkeiten und Obsoleszenzen sehen Sie bei der aktuellen Version der Richtlinie?
Unstimmigkeiten gibt es etwa in definitorischer Hinsicht. So tauchen unterschiedliche und teilweise sogar widersprüchliche Definitionen auf, zum Beispiel in Bezug auf die Wirtschaftsakteure und deren Verantwortlichkeiten oder beim Format und Inhalt der Konformitätserklärung. Zudem ist der Ausschluss von Geräten für Haushaltsanwendungen (zum Beispiel Kühlschränke) formell nicht gültig, falls diese auch Funkgeräte (WiFi) beinhalten.
Besonders für Betreiber ist die Anwendung der Maschinenrichtlinie bei Modifikationen und Retrofit unklar. Hier ist der Begriff der „wesentlichen Änderung“ in der Richtlinie bislang nicht näher beschrieben. Abgesehen davon ist die Bereitstellungspflicht der Betriebsanleitungen in gedruckter Form nicht mehr zeitgemäß. Hier gilt es nachzubessern und die Lieferung einer digitalen Betriebsanleitung zuzulassen.
Wie geht es mit der Maschinenrichtlinie im Jahr 2023 weiter?
Die EU-Kommission hat untersucht, welche Möglichkeiten bestehen, die Maschinenrichtlinie in einer zukunftsfähigen Art und Weise zu überarbeiten. Diese Überlegungen mündeten 2019 in der Entscheidung, die Maschinenrichtlinie durch eine Verordnung zu ersetzen. Am 15.12.2022 wurde durch die Kommission ein Verhandlungserfolg bekannt gegeben.In der Folge muss die Verordnung noch in alle Amtssprachen übersetzt sowie formell verabschiedet werden, bevor sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wird.
Diese Veröffentlichung wird in Kürze vermutet. Hierbei wird eine Stichtagsregelung erwartet, bei der für 42 Monate weiterhin die Maschinenrichtlinie gilt und ohne Übergangsfrist die Maschinenverordnung angewandt werden muss. In der Folge entstehen neue Verantwortlichkeiten für Maschinenbauer und Betreiber, über die wir die betroffenen Personengruppen natürlich auf dem Laufenden halten werden.