Dr. Mats Gökstorp KI in Sensoren wird normal

Dr. Mats Gökstorp, ist seit dem 1. Oktober 2021 Vorsitzender des Vorstands bei SICK und verantwortet das Ressort Products & Marketing. Er trat 2003 in das Unternehmen ein, als SICK IVP in Schweden übernommen wurde, und zog 2007 nach Deutschland, wo er Mitglied der Geschäftsleitung wurde. In dieser Zeit leitete er auch globale Vertriebsprozesse im Konzern. Seit dem 1. Januar 2021 verantwortet er das Ressort Products & Marketing. Dr. Gökstorp hat Informatik und Ingenieurswissenschaften in Schweden und den USA studiert und 1995 promoviert.

Bild: Sick
20.10.2023

Künstliche Intelligenz – ohne geht es gefühlt in der Industrie kaum mehr. Auch bei Sensoren? Ja, sagt Dr. Mats Gökstorp, Vorstandsvorsitzender bei Sick, im Gespräch mit publish-industry. Die Kombination von Sensorik und Künstlicher Intelligenz ermöglicht neue Innovationen und sorgt für energieeffizientere Prozesse. Doch bei all der KI und Technologie darf eines für den gebürtigen Schweden nicht auf der Strecke bleiben: Happiness.

Sick verzeichnet einen Rekordumsatz. Welche entscheidenden Faktoren haben dazu geführt, dass Ihr Unternehmen in den letzten Jahren trotz der unsicheren Weltwirtschaft erfolgreich war?

Über mehrere Jahre hinweg haben wir stark in Technologie investiert, um Innovationen voranzutreiben und uns erfolgreich im wachsenden Markt der Sensorik zu positionieren. Ein Beispiel dafür ist die gelungene Implementierung von Lösungen für fahrerlose Fahrzeuge (Automated Guided Vehicles, kurz: AGVs) in den Bereichen Produktion und Logistik. Zusätzlich haben wir festgestellt, dass das E-Commerce-Geschäft, in dem wir während dieser unsicheren Zeiten viele Innovationen und Lösungen auf den Markt gebracht haben, floriert. Außerdem haben wir den Umsatz in unseren etablierten Branchen wie dem Maschinenbau ausgeweitet. Unsere langjährigen Kundenbeziehungen und engen Partnerschaften haben dazu beigetragen, gemeinsame Erfolge zu erzielen. Zudem sind wir breit aufgestellt und bieten Lösungen für verschiedenste Branchen und Geschäftsfelder an, basierend auf verschiedenen Technologien. Dadurch können wir unterschiedliche Marktentwicklungen gut ausbalancieren und kontinuierliches Wachstum erzielen.

Inwiefern haben Materialknappheit und Lieferprobleme Ihr Unternehmen eingeschränkt? Und sehen Sie eine Entspannung in diesem Bereich?

Ja, auch wir haben unter den Herausforderungen bei der Materialbeschaffung gelitten. Bereits Ende 2021 und dann im Jahr 2022 haben wir diese Probleme gespürt, was sich zum Beispiel in unserem Auftragseingang widerspiegelte, der höher war als unser Umsatz. Wir konnten nicht alles ausliefern. Wir haben die Lieferprobleme immer absolut offen kommuniziert und unsere hervorragenden Kundenbeziehungen durch das gegenseitige Verständnis sehr gut gepflegt. Die Ehrlichkeit hat die Beziehungen sogar weiter gefestigt. Mittlerweile sehen wir, dass sich die Lage zunehmend entspannt. Es gibt nur noch vereinzelte Herausforderungen, aber insgesamt läuft alles gut.

Das deutet darauf hin, dass Sie einen weiteren Umsatzrekord verzeichnen werden, wenn sich die Lieferprobleme entspannt haben...

Ja, wir glauben, dass 2023 gut wird. Für 2024 müssen wir die weltweite Konjunkturlage im Auge behalten. Die wirtschaftliche Entwicklung in China ist beispielsweise noch nicht vollständig in Gang gekommen, da der Binnenmarkt dort etwas gebremst ist. Es gibt auch Unsicherheiten in Bezug auf hohe Zinsen und Inflation. Dennoch sind wir insgesamt optimistisch für die Zukunft.

Entwickeln Sie abseits Ihrer traditionellen Kernmärkte auch neue Märkte oder Anwendungen wie Batterieproduktion oder grüner Wasserstoff?

Die Batterieproduktion ist definitiv einer unserer Wachstumsmärkte. Hier können wir mit Lösungen für dreidimensionale Inspektion und Sensorik bei den Herstellern von Batterien gut punkten. Was den grünen Wasserstoff betrifft, sind wir ebenfalls aktiv. Wir haben kürzlich ein Durchflussmessgerät entwickelt, mit dem Gasgemische mit bis zu 30 Prozent Wasserstoffanteil in Rohrleitungen gemessen werden können. Das war bis dato nicht möglich. Obwohl es noch viel Technologieentwicklung und Infrastrukturaufbau erfordert, sehen wir den Wasserstoff als einen vielversprechenden Markt. Wir sind gut vorbereitet, um die richtigen Produkte und Lösungen anzubieten, wenn dieser Markt weiter Fahrt aufnimmt.

Ist es ein Erfolgsfaktor, gerade in angespannten Situationen verstärkt in Forschung und Entwicklung zu investieren, um die Innovationskraft zu stärken?

Das ist sogar entscheidend für unseren Erfolg. Wir haben zwar mit hohen Materialkosten gekämpft, was sich negativ auf unsere Profitabilität ausgewirkt hat. Dennoch erhöhten wir unsere Ausgaben für Forschung und Entwicklung überproportional. Im Jahr 2022 entfielen über 11 Prozent unseres Umsatzwachstums auf F&E. Innovation ist ein grundlegender Wert für uns, und wir treiben sie voran. Wir sind Entwicklerinnen und Entwickler. Wir sind leidenschaftlich daran interessiert, Technologie für das Gute einzusetzen. Diese Leidenschaft und Kraft treiben uns an und ermöglichen es uns, in der Technologiebranche weiterhin erfolgreich zu sein.

Sie haben einen Großteil Ihrer Patente zuletzt auf Software und KI angemeldet. Ist Sick auf dem Weg vom reinen „Sensorlieferanten“ zum Technologiepartner für die Digitalisierung der Industrie?

Das ist genau unsere Strategie. Wir sind zwar für unsere hochwertige Sensorik bekannt, aber wir arbeiten seit geraumer Zeit verstärkt an ganzheitlichen Lösungen – beispielsweise für die Logistik und Distributionszentren. Für unsere Sensoren haben wir schon vor Jahren das Ecosystem AppSpace entwickelt. Damit lässt sich die Sensorik flexibel über Software konfigurieren. Im Prinzip schieben Sie per Mausklick die gewünschte Applikation – wie beispielsweise „Static Package Dimensioning“ – auf den Sensor und schon funktioniert alles. Auf der Basis unserer intelligenten Softwaretools und Algorithmen entstehen so entweder sehr einfache individuelle Sensor-Apps, oder Kunden greifen auf fertige Lösungen für Track-and-trace, Positionierungsaufgaben, Roboterführungsysteme oder Qualitätskontrolle zurück. Wir erweitern unser Angebot auch mit Cloud-Lösungen und bieten Dashboards an. Dabei arbeiten wir immer eng mit unseren Kunden zusammen, denn wir wollen nicht im stillen Kämmerlein an den Kundenbedarfen vorbei entwickeln.

Sie erwähnten das Eco-System AppSpace für Ihre Sensorik. Spielt Ihnen der frühe Fokus auf Softwarelösungen im Hinblick auf Wettbewerbsvorteile zunehmend in die Karten?

Absolut! Das hilft uns heute, sowie auch schon in den letzten Jahren. Wir setzen bereits seit langem auf Softwarelösungen, insbesondere im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Wir sind absolut überzeugt von den Mehrwerten, die KI in Verbindung mit Sensorik erzeugen kann und haben entsprechend frühzeitig in die KI-Forschung investiert. Zum Beispiel haben wir Sensor-Apps für die Bildverarbeitung entwickelt, die In­spektionen durchführen und Anomalien erkennen können. Unsere Lösungen basieren auf Deep Learning. Und unsere Fortschritte der letzten Jahre sind phänomenal. Die User Experience hat sich dramatisch verbessert. Anwenderinnen und Anwender können ohne jegliches KI-Wissen sofort von unserer intelligenten Sensorik profitieren. Es ist so einfach geworden, Variantenvielfalt in der Inspektion zu berücksichtigen, ohne aufwendiges antrainieren. Außerdem hat sich die Inspektionsqualität durch die Fortschritte in der KI weiter erheblich verbessert.

Wird in Zukunft in jedem Sensor ein „bisschen“ künstliche Intelligenz stecken, zum Beispiel auch in einfachen Näherungsschaltern oder Reflexions-Lichtschranken?

Wenn wir in die Zukunft schauen, dann werden wir in unsere Sensoren zunehmend Künstliche Intelligenz integrieren. Vielleicht nicht in jedem Sensor, aber in einem Großteil. Durch den Einsatz von KI können wir Datenmengen frühzeitig reduzieren, die Effizienz steigern und somit bessere Lösungen anbieten. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass eine hochqualitative Sensorik weiterhin essenziell für uns ist. Sie liefert die grundlegenden Daten, die für präzise Einsätze erforderlich sind. Die Kombination von Sensorik und Künstlicher Intelligenz ermöglicht neue Innovationen.

Sie haben Ihre Entwicklungsabteilung in letzter Zeit stark um IT- und Software-Spezialisten erweitert. Werden Ihre Hardware-Entwickelnden hier nicht ein wenig neidisch?

Tatsächlich haben wir in den letzten Jahren vor allem in Software-, KI- und Digitalisierungskompetenzen investiert. Wir setzen jedoch auch weiterhin auf unsere geschätzten Hardware- und Optik-Entwicklerinnen und -Entwickler, hier muss niemand neidisch werden. Für uns ist die Kombination aller Fachkompetenzen entscheidend. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Teams ist wichtig, um gegenseitiges Verständnis und Respekt aufzubauen. Nur so können sich die Teams bestmöglich gegenseitig unterstützen. Unsere Hardware- und Optik-Entwickelnden sind von großer Bedeutung, und ihre Kompetenzen werden immer wichtiger, je stärker wir in die Software-Entwicklung investieren. Nur durch die Kombination von Hardware, Software und anderen Fachgebieten können wir intelligente und innovative Lösungen entwickeln und unseren Kunden Mehrwert bieten.

„Intelligente Sensortechnologie im Sinne der Umwelt und Gesundheit einzusetzen, ist tief im Unternehmen verwurzelt“, steht bei Sick. Sehen Sie sich als Hersteller von Sensorlösungen somit als „Enabler“ für energieeffiziente Prozesse?

Voll und ganz sehen wir uns als Enabler für energieeffiziente Prozesse. Bei Sick ist Nachhaltigkeit tatsächlich tief in unserer Unternehmenskultur verwurzelt und seit der Unternehmensgründung 1946 ein treibender Faktor für Innovationen. Wir entwickeln intelligente Sensortechnologien, die den Umwelt- und Gesundheitsaspekten Rechnung tragen. Durch den Einsatz unserer Sensorlösungen können Prozesse effizienter gestaltet und Energie eingespart werden. Ein Beispiel dafür ist unsere Sensorik zur Druckluftmessung. Mit dieser Technologie können Leckagen erkannt und der Energieverbrauch in der Industrie reduziert werden. Sensorik spielt auch eine entscheidende Rolle bei der CO2-Reduzierung in der Logistikautomation, um ein weiteres Beispiel zu nennen. Durch deren Einsatz können Transportwege optimiert, Leerfahrten vermieden und Prozesse generell effizienter gestaltet werden. Die Sensorik ist somit ein wichtiger Enabler für nachhaltigere Logistikprozesse. Und es gibt noch unzählige weitere Anwendungen, wo Sensorik die Energieeffizienz maßgeblich verbessert. Wir sehen es tatsächlich auch als unsere Verantwortung, umweltfreundliche Lösungen zu entwickeln und einen Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunft zu leisten.

Jetzt haben Sensoren selbst einen geringen Anteil, Energie zu sparen. Spielt also der eigene Carbon-Footprint Ihrer Produkte eine untergeordnete Rolle?

Bei der Produktion und dem Betrieb unserer Sensoren können wir auch einen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit leisten. Wir arbeiten kontinuierlich daran, unsere Sensoren und die eigenen Produktionsprozesse noch nachhaltiger zu gestalten. Wir investieren beispielsweise in nachhaltige Verpackungsmaterialien und sogenannte Rezyklate. Außerdem optimieren wir die Gehäuse unserer Sensoren, um den Materialeinsatz zu reduzieren. Zudem arbeiten wir an der Digitalisierung von Prozessen, um Papierdokumentationen zu reduzieren und bald ganz abzuschaffen. Wir sind also bestrebt, uns in allen Bereichen kontinuierlich für mehr Nachhaltigkeit einzusetzen.

Sick will bis zum Jahr 2030 seine Netto-Treibhausgasemissionen weltweit auf null senken. Welche Fortschritte machen Sie hier?

In Deutschland sind wir bereits seit 2013 CO2-neutral. Wir setzen voll auf erneuerbare Energien und energieeffiziente Produktionsverfahren. Nun treiben wir auch in unseren internationalen Produktionsstätten Maßnahmen zur CO2-Reduktion voran, um unser Ziel der Klimaneutralität für die komplette Sick-Gruppe bis 2030 zu erreichen. Wir sind auf einem guten Weg und fordern auch alle Mitarbeitende dazu auf, Ideen zur CO2-Reduktion aktiv einzubringen.

Fordern Kunden bereits Nachweise über eine nachhaltige Produktion?

Ja, immer mehr Kunden fordern Nachweise über eine nachhaltige Produktion und wollen Informationen über die Herkunft der verwendeten Rohstoffe – insbesondere unsere großen und globalen Kunden. Wir setzen hier auf volle Transparenz und können den Kunden verlässliche Informationen liefern.

Zum Abschluss: Was ist Ihr persönlicher Antrieb bei Sick?

Am Ende des Tages geht es um Happiness für alle – das ist für mich extrem wichtig! Mein Antrieb bei Sick ist es also, zufriedene Kunden und zufriedene Mitarbeitende zu haben. Es geht darum, Mehrwert zu schaffen und gemeinsam mit unseren Kunden erfolgreich zu sein. Wenn wir unsere Kunden zufriedenstellen und ihnen helfen, ihre Ziele zu erreichen, dann kann ich guten Gewissens sagen, dass wir unseren Auftrag erfüllen. Wenn alle Beteiligten bei Sick zufrieden sind und wir als Unternehmen einen positiven Beitrag für eine nachhaltigere Welt leisten, wenn wir zusammen Technologie für das Gute herstellen und einsetzen, dann kann ich gut schlafen.

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