Fokusthema Chemie & Pharma Eine Branche reagiert

Bild: Bayer; iStock, Paday
07.05.2018

Als drittgrößte Industrie Deutschlands muss auch die chemisch-pharmazeutische Industrie der Digitalisierung ins Auge schauen. Angst muss dabei niemand haben, denn die Chemie-
industrie ist bereits auf dem besten Weg in die digitale Zukunft, wie Beispiele aus Praxis und Forschung beweisen.

Der chemisch-pharmazeutischen Industrie geht es gut: Laut dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) konnte die Branche im Jahr 2017 bei Produktion und Umsatz dynamischer zulegen als in den Jahren zuvor und auch für 2018 sei mit guten Geschäften zu rechnen. Obwohl die Branche mit Rückenwind in das Jahr 2018 gestartet ist, bleiben laut VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann noch Wünsche offen: „Damit die Industrie weiter wettbewerbsfähig bleibt, sind bessere Bedingungen für Innovationen und Investitionen gefragt.“

An Mut zu Neuerungen mangelt es der Branche nicht, denn wie andere Industriezweige steckt auch die chemisch-pharmazeutische Industrie mitten in der Digitalisierung. Analog zur vierten industriellen Revolution spricht eine Studie, die der VCI gemeinsam mit Deloitte im Jahr 2017 erstellt hat, von der Chemie 4.0. Um zu definieren, was das neue Zeitalter der chemisch-pharmazeutischen Produktion ausmacht, hat die Studie 30 verschiedene Trends identifiziert, die Treiber der neuen Entwicklungsphase sind. Zu diesen Katalysatoren gehören neue Märkte, die gerade in Asien und Südamerika und auf lange Sicht auch in Afrika entstehen, der weltweit wachsende Wettbewerb, das Bestreben danach, schonender mit Ressourcen umzugehen, und der Traum von personalisierter Medizin.

Dennoch eröffnet die Digitalisierung neue Möglichkeiten, beispielsweise die noch effizientere Nutzung von Daten in der Produktion, die Unterstützung der Forschung und Produktentwicklung mit Hilfe von Simulationen oder die Schaffung neuer Geschäftsmodelle.

Vorhandene Ansätze weiterdenken

Dazu gehört beispielsweise das Digital Farming, das Bayer und Bosch bereits in einer gemeinsamen Forschungskooperation testen. Die Partner entwickeln darin die sogenannte Smart-Spraying-Technologie, die den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln effizienter machen soll. Schwerpunkte der Bosch-Forschung sind die hocheffektive Sensorik, intelligente Analyseverfahren und selektive Sprühsysteme. In die Partnerschaft bringt Bayer seine Erfahrung auf den Gebieten Geographische Informationssysteme (GIS) – einschließlich der Entwicklung von Algorithmen als Basis für agronomische Entscheidungen –, Integrierter Pflanzenschutz, Formulierungstechnik und Applikationstechnik ein.

Eine weitere Idee dafür, wie sich Geschäftsmodelle in der Chemieindustrie digitalisieren lassen, liefert das Start-up Chembid: Das Unternehmen bietet eine Metasuchmaschine, über die Chemieunternehmen eine zentralisierte Suche in Webshops und auf Online-Marktplätzen weltweit durchführen können. Damit unterstützt die Plattform sowohl Einkäufer als auch Verkäufer bei der schnellen und effizienten digitalen Anbahnung und Abwicklung von Geschäften. Gleichzeitig setzen die voranschreitende Digitalisierung und der steigende Wettbewerbsdruck Unternehmen zunehmend unter Handlungsdruck. Über den Marketplace sollen Verkäufer in der Lage sein, die Digitalisierung ihres Angebotes in Teilen outzusourcen und so Ressourcen für die Entwicklung und Pflege eines eigenen Webshops zu sparen.

Trotz vielversprechender Forschungsansätze und Plattformen gibt es noch viele Entwicklungen, für die es nach wie vor gilt, Lösungen zu finden. Dazu gehört beispielsweise das Thema Nachhaltigkeit in der Lieferkette. Um vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) dabei zu unterstützen, eigene Ideen für ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement zu finden, hat die chemisch-pharmazeutische Industrie einen Leitfaden erarbeitet. Im Rahmen des Pilotprojekts „Nachhaltigkeit in Lieferketten“ der Nachhaltigkeitsinitiative Chemie3 haben verschiedene KMU ihre Erfahrungen eingebracht, die als praxisnahe Bausteine in den Leitfaden eingeflossen sind. Zu den Modulen des Leitfadens gehören zum Beispiel die Identifikation von Nachhaltigkeitsaspekten in Lieferketten, der Aufbau eines Regelwerks, die Bewertung der Nachhaltigkeitsleistung von Lieferanten sowie die Messung von Fortschritten.

Bei Pharma ist Flexibilität gefragt

Speziell Pharmaunternehmen haben mit der Digitalisierung die Möglichkeit, den Trend zu personalisierter Medizin zu bedienen. Die Voraussetzung dafür liegt aber nicht zwischen Einsen und Nullen begraben, sondern ganz klassisch in der Hardware: Denn Anlagen müssen heute nicht nur automatisiert und mit moderner Messtechnik versehen sein, sondern auch eine modulare Produktion ermöglichen. Damit einzelne Module zu einem Gesamtprozess zusammengeschaltet werden können, gilt es, Schnittstellen zu überwinden.

Namur-Arbeitskreise und ZVEI-Arbeitsgruppen arbeiten dafür seit einigen Jahren zusammen mit Dechema und VDI an der Spezifikation einer herstellerneutralen Beschreibung von Modulen, dem Modul Type Package (MTP). Die Vorteile beschrieb Felix Seibl, Geschäftsführer des Fachbereichs Messtechnik und Prozessautomatisierung im ZVEI, im Vorfeld der Hannover Messe 2018: „Mit dem MTP lassen sich einzelne Module schnell zu einem Gesamtprozess zusammenschalten und so eine effizientere Produktion sicherstellen.“ Es sei das Herzstück für die Automation einer modularen Anlage.

Das Thema Anlagenbau wird ebenso wie die Digitalisierung in der Chemieindustrie eines der Trendthemen auf der diesjährigen Achema sein. Gerade die Verbindung der beiden Themen gilt als mögliches Differenzierungsmerkmal gegenüber dem Wettbewerb: In einer aktuellen Studie des VDMA rechnen 72 Prozent der befragten Anlagenbauer damit, dass sich mit neuen, digitalen Produkten und Dienstleistungen höhere Umsätze erzielen lassen. Die Befragten sehen außerdem durchgängige und standardisierte Schnittstellen in den verschiedenen Gewerken des Planungsprozesses als Effizienztreiber. Weitere aktuelle Trends aus der Chemie- und Pharmabranche zeigt das Fokus-
thema auf den folgenden Seiten.

Bildergalerie

  • So geht Digitalisierung: Das Projekt Smart Spraying untersucht, wie Sensorik und intelligente Analysen als digitale Helfer den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft effizienter gestalten können.

    So geht Digitalisierung: Das Projekt Smart Spraying untersucht, wie Sensorik und intelligente Analysen als digitale Helfer den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft effizienter gestalten können.

    Bild: Bayer

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