Stromversorgungsanlage an das Mittelspannungsnetz anbinden Effiziente Lösung für die Fernbetätigung

Phoenix Contact Deutschland GmbH

Durch seine individuellen Vorgaben hinsichtlich Datenmenge, -art und -richtung legt der Netzbetreiber die Kommunikation zwischen den in der Kundenübergabestation installierten Komponenten und der Fernwirkeinrichtung klar fest.

Bild: iStock, shulz
11.11.2021

Aufgrund von dezentralen Einspeisern aus den erneuerbaren Energien verändern sich die Verhältnisse in den Verteilnetzen: Die unidirektionalen Lastflüsse in den Hoch- und Niederspannungsnetzen haben sich in Richtung Bidirektionalität gewandelt. Zur Sicherstellung der Netzstabilität müssen die Betreiber ihre Netze daher nicht nur überwachen, sondern auch steuern und dabei den Lastfluss im Auge behalten.

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Genau hier kommen Fernwirkstationen zur Steuerung und Überwachung der wichtigsten Funktionen und Parameter in Ortsnetzstationen zum Einsatz. Als Beispiel sei die Anbindung einer Kundenstromversorgungsanlage an das Mittelspannungsnetz der Bayernwerk Netz angeführt. In der durch die Baumeister Bahnstromanlagen–Energietechnik GmbH gebauten Kundenübergabestation wird die Fernwirkplattform smartRTU von Phoenix Contact verwendet. Typischerweise geben die Technischen Anschlussbedingungen des Netzbetreibers alle notwendigen Signale und deren Übertragungswerte bindend vor. In der beschriebenen Station müssen die Lasttrenn- und Leistungsschalter beispielsweise aus der Ferne betätigt werden können. Außerdem sind dem Betreiber sämtliche für die Betriebsführung des Netzes erforderlichen Informationen bereitzustellen. Dazu gehören analoge Messwerte sowie digitale Stellungs-, Schutz- und Störmeldungen.

Durch seine individuellen Vorgaben hinsichtlich Datenmenge, -art und -richtung legt der Netzbetreiber die Kommunikation zwischen den in der Kundenübergabestation installierten Komponenten und der Fernwirkeinrichtung klar fest. Um diese Anforderungen zu erfüllen, benötigt die Fernwirkstation smartRTU keine aufwendige Programmierung, sondern lediglich eine Parametrierung der geforderten Datensätze. Die Datenübertragung zwischen der Kunden- und der Netzbetreiberseite erfolgt über die serielle RS485-Schnittstelle mittels des bewährten IEC60870-5-101-Protokolls.

Einfache Parametrierung der Datensätze

Auf der Kundenseite der Übergabestation werden die fernwirktechnischen Aufgaben von einer smartRTU AXC SG von Phoenix Contact erledigt. Baumeister hat diese Entscheidung unter anderem wegen der einfachen Parametrierung des Systems auf der Grundlage der Technischen Anschlussbedingungen von Bayernwerk Netz getroffen. Ohne spezielle Vorkenntnisse über Fernwirksysteme können die Mitarbeiter die Einstellungen nun nach kurzer Einarbeitung vornehmen.

Im ersten Schritt wird die Netzwerkverbindung zwischen dem Laptop und der Fernwirkstation hergestellt. Nachdem der Webbrowser auf dem Laptop gestartet und die IP-Adresse der smartRTU eingegeben worden ist, baut sich die Verbindung auf. Zum Schutz vor ungewollten Änderungen sind anschließend der Benutzername und das zugehörige Passwort einzutippen. Die Webapplikation und die Parametrieroberfläche der Steuerung öffnen sich und die Parametrierung kann erfolgen. Danach vergibt der Nutzer eine neue IP-Adresse und führt die laut Spezifikation notwendigen Sicherheitseinstellungen auf der smartRTU durch. Im Anschluss definiert er die Konfiguration der Hardware und die Stationsparameter.

Als nächstes sind lediglich die vom Kommunikationspartner (zum Beispiel Fernwirkunterstation des Verteilnetzbetreibers oder Überwachungseinrichtung) für die Schnittstelle vorgegebenen Kommunikationsparameter in der smartRTU einzutragen. Die Fernwirkstation tauscht Daten über eine der beiden seriellen RS485-Schnittstellen via IEC60870-5-101-Protokoll mit der Stationsautomatisierung von Bayernwerk Netz aus. Die zweite serielle Schnittstelle dient der Einbindung der installierten Kurzschluss- und Erdschlussanzeiger über Modbus RTU. Zu diesem Zweck sind die in der Dokumentation vorgegebenen Werte einfach in die jeweiligen Felder übernommen und die relevanten Drop-Down-Felder ausgewählt worden.

Notwendige Angaben aus der Herstellerdokumentation

Im Rahmen der Projektierung der Anlage erfolgt im Anschluss die E/A-Parametrierung mit dem Mapping der physikalischen E/A und deren Meldungen sowie Befehlen. Dazu wird zum Beispiel einem Signalnamen eine eindeutige Messwerteingabe zugewiesen und unterschiedliche Einstellungen – wie Skalierung, Schwellwertmodus und Schwellwert – definiert. Dies geschieht übersichtlich in einem tabellarischen Format. Aus den Anschlussbedingungen geht beispielsweise hervor, dass der Strom der Phase 2 im Eingangsfeld 1 gemessen und übertragen werden muss. Der Strom wird im Kurzschluss-/Erdschlussanzeiger im Eingangsfeld 1 erfasst und über Modbus RTU an die smartRTU übertragen.

Gemäß Anschlussbedingungen des Verteilnetzbetreibers (VNB) soll der Stromwert dem Signal 36-0-11-162 zugeteilt werden. Um den Wert dem Signal zuzuordnen, ist er über Modbus RTU aus dem Gerät auszulesen. Die Dokumentation des Herstellers gibt die Registeradressen und weitere Informationen für das Auslesen oder Setzen eines bestimmten Werts an. Des Weiteren werden dort die erforderlichen Einstellparameter für die serielle Kommunikation aufgeführt, die in den Konfigurationsdialog des Modbus-RTU-Masters auf der smartRTU eingetragen werden müssen.

Notwendige Angaben aus der Herstellerdokumentation

Wenn die benötigten Informationen vorliegen, wird auf der Fernwirkstation im Bereich „Projektierung-Übertragungslisten-Downlink Modbus RTU“ der Bereich dargestellt, in dem Einzel-/Doppelmeldungen und Messwerte definiert werden können. Über die Webparametrierung lassen sich diese Informationen einfach mittels eines Dialogfensters festschreiben. Im Bayernwerk Netz-Projekt sind die notwendigen Werte und Signalnamen entsprechend der Vorgaben des VNB und der Herstellerangaben im Dialogfenster registriert und gespeichert worden.

Bild 4 zeigt die vollständige Parametrierung aller Werte, die von den Kurzschlussanzeigern per Modbus RTU an die smartRTU übertragen und dort verarbeitet werden. Die Parametrierung der Einzel- und Doppelmeldungen, die aus den Informationen der Kurzschluss- und Erdschlussanzeiger resultieren, erfolgt nach dem gleichen Schema. Neben den Messwerten verlangt die Bayernwerk Netz weitere Meldungen, etwa „SF6 Verlust“. Im Rahmen der Drucküberwachung des SF6-Tanks der MS-Schaltanlage ist das Signal der Anlage physikalisch auf einen Eingang des digitalen Eingangsmoduls der smartRTU verdrahtet.

Die Einzelmeldung 30-0-1-140 („SF6 Verlust“) wird über den Dialog „Projektierung-E/A-Parametrierung-Einzelmeldung“ erzeugt. In der Anlage koppelt dazu der Ausgang der SF6-Überwachung an den Eingang 2 des ersten digitalen Eingangsmoduls der Fernwirkstation an (interne Bezeichnung SYS-PE.3.BI002). Dies wird als Signalquelle bezeichnet. Die Definition der generierten Einzelmeldung erfolgt über den Namen im Feld Signalsenke. Abgesehen vom Namen kann zur Überwachung per Drop-Down eine Meldespannung angegeben werden. Zusätzlich lässt sich das Signal durch einen Mausklick invertieren sowie individuelle Ein- und Ausschaltverzögerungen festlegen.

Die erforderlichen Doppelmeldungen – zum Beispiel für die Stellung eines Leistungsschalters – werden auf die gleiche einfache Weise erstellt. Hier müssen jedoch zwei Signalquellen aufgelistet werden: Eine Quelle beschreibt den Ein-, die andere den Auszustand (Bild 6). Letztlich sind noch die Einzel- und Doppelbefehle in der Applikation zu parametrieren. Das geschieht nach dem oben erläuterten Verfahren. Wichtige Parameter – wie die Nachdrückzeit – sowie weitere Parameter und Funktionen der Befehlsausgabe stehen in einem separaten Dialog zur Verfügung.

Schnelle Erstellung von Applikationen

Neben der Protokollwandlung von Modbus RTU auf das IEC 60870-5-101-Protokoll ermöglicht die smartRTU auch die Konvertierung auf IEC 60870-5-104. Zudem lässt sich die Fernwirkstation als IEC 61850-Server in Anlagen integrieren. In diesem Fall können alle definierten Signale und Meldungen als GOOSE Publisher auf der horizontalen Kommunikationsebene verschickt werden. Zum vertikalen Datenaustausch mit einem IEC 61850-Client wird ein MMS-Server auf der smartRTU parametriert. Statt einer Programmierung findet hier also ebenfalls eine Parametrierung sämtlicher für die -104- und IEC 61850-Kommunikation benötigten Schritte statt. So lassen sich nicht nur Applikationen schneller erstellen: Wartungsarbeiten vereinfachen sich ebenso, weil alle Angaben in übersichtlicher Form vorliegen (Bild 7).

Nachdem die Projektierung der smartRTU abgeschlossen ist, muss die Anlage getestet werden. Die entsprechenden Anforderungen gibt der Netzbetreiber vor. Die erfolgreiche Prüfung wird im „Protokoll für Prüfung Fernwirk-Anbindung kundeneigener Übergabestation“ attestiert. Dann kann die Übergabestation in Betrieb genommen werden.

Technische Erfahrungen notwendig

In Summe bleibt festzuhalten, dass sämtliche Einstellungen übersichtlich und klar strukturiert in Dialogfenstern und tabellarischen Listen dargestellt sind. Die Baumeister-Mitarbeiter konnten die Applikation daher ohne jegliche Programmierkenntnisse einfach umsetzen und so erhebliche Zeit einsparen. Fremde Unterstützung war lediglich gelegentlich notwendig. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass die Realisierung eines solchen Projekts technische Erfahrungen sowie Kenntnisse bezüglich der Projektierung von Übergabestationen und den daraus resultierenden Anforderungen und Prozessen bedingt. Selbst die besten Parametrierumgebung für eine Fernwirkanlage kann das Wissen und Können der beteiligten Techniker und Ingenieure nicht vollständig ersetzen.

Bildergalerie

  • Zur Sicherstellung der Netzstabilität müssen die Betreiber ihre Netze daher nicht nur überwachen, sondern auch steuern und dabei den Lastfluss im Auge behalten.

    Zur Sicherstellung der Netzstabilität müssen die Betreiber ihre Netze daher nicht nur überwachen, sondern auch steuern und dabei den Lastfluss im Auge behalten.

  • Hardware-Aufbau der smartRTU-Applikation.

    Hardware-Aufbau der smartRTU-Applikation.

  • Fertige Kundenstromversorgungsanlage von Baumeister Bahnstromanlagen-Energietechnik.

    Fertige Kundenstromversorgungsanlage von Baumeister Bahnstromanlagen-Energietechnik.

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