Bis heute prägend für die Industrie Die 111-jährige Geschichte der Stromschiene

In den 1930er Jahren war die Stromschienenlogistik noch ein echter körperlicher Kraftakt.

Bild: Vahle
13.04.2023

Paul Vahle ist kein Mann, der sich mit dem Status quo zufriedengibt. Als Betriebsleiter der Dortmunder Eisen- und Stahlwerk Hoesch ärgert es ihn Anfang der 1910er-Jahre, dass die Produktion immer wieder stockt, weil elektrische Maschinen wegen eines Kurzschlusses ausfallen. Ein Problem, das den Dortmunder auch nach Dienstschluss nicht loslässt. Also macht er sich in seiner Freizeit kurzerhand an eine Lösung. Die erweist sich als so überzeugend, dass sie bis heute – 111 Jahre nachdem Vahle sie patentieren lässt – im Einsatz ist: die Stromschiene.

Nach der Industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts sorgt die Elektrifizierung für den nächsten Entwicklungsschub der Wirtschaft, und zwar für einen gewaltigen. Nachdem die großen Unternehmen Kohle und Dampf als Energieträger bereits in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch elektrische Energie ersetzt haben, ziehen die kleinen und mittleren Betriebe nun peu à peu nach.

Paul Vahle, der nicht nur findiger Tüftler ist, sondern auch Mut und Geschäftssinn hat, erkennt schnell den Wert seiner Erfindung. Ohne großen Vorlauf, aber mit einem erfolgversprechenden Patent in der Tasche, setzt er alles auf eine Karte und gründet am 9. April 1912 sein eigenes Unternehmen, die Vahle OHG mit Sitz in Dortmund-Brackel.

Vahle geht durch Höhen und Tiefen

Dass sich das Risiko lohnen sollte, zeigt sich schnell. Das Unternehmen wächst und gedeiht Jahr um Jahr. Als der Erfinder der Stromschiene 1926 stirbt, übernimmt dessen Frau Helene die Leitung der inzwischen 14 Jahre alten, gut laufenden Firma. Die stößt produktionstechnisch mittlerweile an ihre Grenzen, sodass 1929 zusätzliche Werkhallen in Dortmund-Brackel angemietet werden müssen. Helene Vahle wird bei der Unternehmensführung zu dieser Zeit bereits tatkräftig von ihrem Sohn Paul Werner unterstützt, der den elterlichen Betrieb 1932 schließlich übernimmt.

Die Wirren des Zweiten Weltkriegs, der ab September 1939 tobt, lassen auch Vahle nicht unberührt. Paul Werner wird zum Militärdienst eingezogen und gerät 1945 in Kriegsgefangenschaft, aus der er erst vier Jahre später nach Dortmund zurückkehrt. Und wieder war es eine Frau, diesmal Paul Werners Ehefrau Maria, die den Betrieb währenddessen erfolgreich auf Kurs hält und ausbaut. So zählt das Unternehmen 1936 bereits mehr als 30 Mitarbeiter.

Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit

Kräftig profitiert Vahle dann vom wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit: Der Umsatz vervielfacht sich binnen weniger Jahre, während die Zahl der Mitarbeitenden auf mehrere Hundert klettert. Auch räumlich expandiert Vahle und kauft ein Grundstück an der Westicker Straße in Kamen, an dem bis heute der Hauptfirmensitz liegt. In den 1970er- und 1980er-Jahren entwickelt das Unternehmen innovative und neuartige Produkte wie die Leichtmetallschiene oder Stromschienen für Elektrohängebahnen und stellt damit unter Beweis, dass es vom Innovationsgeist des Firmengründers und Namensgebers über die Jahre nichts eingebüßt hat.

Gegen Ende des Jahrtausends konzipiert Vahle dann ein System zur induktiven Energieübertragung für bewegliche Anwendungen in der Fördertechnik – eine Technik, die längst nicht mehr nur in der Industrie zum Einsatz kommt, etwa zur Stromversorgung Fahrerloser Transportsysteme, sondern auch im Alltag, beispielsweise zum Laden von Smartphones.

So steht es heute um das Unternehmen

Heute, 111 Jahre nach ihrer Gründung, ist die Paul Vahle GmbH & Co. KG mit rund 850 Mitarbeitenden einer der weltweit führenden Hersteller leistungsfähiger Energie-, Datenübertragungs- und Automatisierungssystemen und setzt internationale Großprojekte um. Unter anderem beteiligte sich das Unternehmen bereits in den 1980er-Jahren am Forschungsprojekt zur Magnetschwebebahn Transrapid, die in Shanghai übrigens seit 2001 über Stromschienen von Vahle schwebt.

Das imposanteste Projekt, an dem das Kamener Unternehmen als Partner beteiligt ist, steht jedoch in Dubai: das Riesenrad AIN Dubai, das mit einer Höhe von 260 Metern das weltweit höchste und größte ist. Sonderangefertigte Stromschienensysteme versorgen die 48 Luxus-Kabinen nebst den 65.000 LEDs des Riesenrads verlässlich mit Strom und verhindern Schäden infolge von Blitzeinschlägen. Auch an vielen Häfen geht ohne die Strom- und Datenübertragungssysteme von Vahle nichts mehr. Unter anderem elektrifizierte und automatisierte das Kamener Unternehmen den Port of Felixstowe, Großbritanniens geschäftigsten Containerhafen. Die Umrüstung der Anlagen in sogenannte Green Ports sind wohl die sichtbarsten Beispiele für Vahles Engagement in puncto Nachhaltigkeit und machen weltweit spürbare CO2 Reduzierung möglich.

Seine Ambitionen, die industrielle Stromversorgung nachhaltiger zu gestalten, unterstreicht das Kamener Unternehmen darüber hinaus durch sein Engagement in zahlreichen Forschungs- und Förderprojekten zur Entwicklung der Gleichstromschiene – einer Technologie, die das Potenzial hat, die industrielle Stromversorgung erneut zu revolutionieren. In diesem Zusammenhang hat das Unternehmen als Konsortialführer des Gemeinschaftsforschungsprojekts „effiDCent“ ein System für gleichstromgespeiste Schienen entwickelt, das einem Paradigmenwechsel in der industriellen Stromversorgung gleicht und im Betrieb mehr als zehn Prozent Energie einspart.

Smart Collector

Auch mit dem Smart Collector, dem weltweit ersten intelligenten Stromabnehmer, beweist das Kamener Unternehmen, dass es den Erfindungsgeist nicht verloren hat. Der Smart Collector ist in der Lage, parallel zum Betrieb der Anlage Analysedaten über den Zustand der Stromschienen sowie der gesamten Anlage zu sammeln. Somit erkennt er abzusehende Störungen, verhindert ungeplante Stillstände und gewährleistet dadurch einen reibungslosen Produktionsablauf.

„Vahle war immer ein ‚Möglichmacher‘, der mit seinen Produkten die Industrielle Revolution vorangetrieben und zahllose Entwicklungen angestoßen hat“, betont Achim Dries, CEO bei VAhle. „Diese Denkweise und der Anspruch, uns stetig weiterzuentwickeln, sind immer noch fest in der Unternehmens-DNA verankert. Unser Innovationsgeist ist auch nach 111 Jahren ungebrochen und nach wie vor unser Antrieb.“ Kundenansprüche aufzugreifen und sie in effiziente, nachhaltige und sichere Prozesse umzusetzen – das ist gestern wie heute die Maxime des Kamener Unternehmens. Und daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.

Bildergalerie

  • Das Unternehmerehepaar Helene und Paul Vahle um 1920

    Das Unternehmerehepaar Helene und Paul Vahle um 1920

    Bild: Vahle

  • Vahle setzt mit dem Smart Collector neue Maßstäbe bei der Anlagenanalyse und macht als erster eine vorausschauende Wartung möglich.

    Vahle setzt mit dem Smart Collector neue Maßstäbe bei der Anlagenanalyse und macht als erster eine vorausschauende Wartung möglich.

    Bild: Vahle

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel