Clemens Schneider Klimaneutrale Wertschöpfung für die Grundstoffindustrie

Clemens Schneider beschäftigt sich als Senior Researcher am Wuppertal Institut mit der Zukunft der Grundstoffindustrie auf dem Weg in die Klimaneutralität in Szenarien, Branchenanalysen und Analysen regionaler Industriecluster. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ist die Analyse möglicher Produktionsverlagerungen im Rahmen der Reinvestitionszyklen hin zu klimaneutraler Produktion.

Bild: Wuppertal Institut
23.10.2023

Die hohen Gaspreise in Europa zeigen die Anfälligkeit der deutschen Grundstoffindustrien. Auf dem Weg zur Klimaneutralität bieten sich jedoch Chancen – sofern es gelingt, von den niedrigen Energiepreisen anderer Regionen zu profitieren ohne die eigentliche Wertschöpfung bei der Veredelung von Produkten zu verlieren. Klimaneutral produzierte Vorprodukte der Stahl- und Chemie-Industrie sind gut transportierbar; Investitionen in diese Prozesse in Deutschland stärken aber die Resilienz von Lieferketten.

Die Gaskrise hat sich zwar etwas beruhigt, aber wir müssen nach wie vor wachsam sein. Sie hat uns vor Augen geführt, wie anfällig bestimmte Prozesse in der Industrie sind. Deshalb steht Deutschland jetzt vor der Herausforderung, diese energieintensiven Industrien, insbesondere die Stahlindustrie und die Petrochemie, einer tiefgreifenden Transformation zu unterziehen. Dafür brauchen wir innovative Lösungen, die Ökonomie und Ökologie verbinden. Denn Investitionen ohne klaren Fokus sind zu wenig: Notwendig ist eine gezielte Förderung zur Ermöglichung klimaneutraler Wertschöpfungsketten in der Grundstoffindustrie.

Die heutige Grundstoffindustrie weist eine hohe vertikale Integration von verschiedenen Wertschöpfungsstufen an ihren Standorten wie integrierten Stahlwerken und Chemieparks aus. Neue Verfahren zur Herstellung von Grundstoffen wie Stahl und Kunststoffen bieten die Chance zur räumlichen Entkopplung der Wertschöpfungsstufen, um von günstigen Energiepreisen in Spanien, Schweden, Chile oder Australien zu profitieren. Die eigentliche Wertschöpfung bei der weniger energieintensiven Veredelung kann jedoch in Deutschland verbleiben, denn wir profitieren von unserem bestehenden Anlagenpark, den Fachkräften und der Nähe zu den Abnehmern.

Die eigentlich energieintensiven Prozesse können zukünftig also vermehrt außerhalb Deutschlands stattfinden, was jedoch nicht heißt, dass deutsche Unternehmen an dieser Stelle ihrer Wertschöpfungskette nichts tun können. Im Gegenteil, deutsche Unternehmen müssen auch bei diesen Prozessen vorangehen und zeigen, dass es möglich ist, großtechnisch grüne Produkte in allen Qualitäten zu produzieren und zu vermarkten. Hierfür sind Investitionen auch im Inland sinnvoll, denn die sichere Beschaffung grüner Vorprodukte aus dem Ausland ist anspruchsvoll, die Projekte brauchen Zeit und wahrscheinlich wird es auch zukünftig Marktsituationen geben, in denen sich die energieintensive Produktion in Deutschland lohnt, selbst gegen die Konkurrenz in den „sweet spots“ mit konkurrenzlos günstigen Strompreisen wie in Schweden oder auf der Arabischen Halbinsel.

Der Blick auf energieintensive Vorprodukte wie grünes Eisen oder Methanol sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, worauf es für die deutsche Industrie wirklich ankommt: die Elektrifizierung der Wertschöpfungsstufen, in denen kundenspezifisch und marktnah produziert wird, also die Stahlerzeugung oder die Herstellung von Zwischen- und Endprodukten der Kunststoffproduktion. Je flexibler der Strom dort eingesetzt werden kann, desto eher können die Produzenten an günstigen Strompreisen partizipieren. Hier müssen die Zielfunktionen im Supply Chain Management entsprechend neu austariert werden.

Auch diese Transformation kann nur gelingen, wenn in den Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung und in eine verbesserte Strominfrastruktur investiert wird. Denn sowohl für die grüne Stahlproduktion als auch für die grüne Petrochemie ist eine ausreichende Stromversorgung entscheidend. Darüber hinaus sollten wir zentrale Teile von Wertschöpfungsnetzwerken fördern, die flexibel genug und damit langfristig belastbar sind.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Transformation sind Recycling und Abfallwirtschaft. Durch die optimale Nutzung von Abfallressourcen, wie zum Beispiel Stahlschrott und Kunststoffabfällen, können wir unseren grünen Fußabdruck optimieren. Doch auch diese Ressourcen sind nur begrenzt verfügbar und als „Exportweltmeister“ verliert Deutschland eine große Menge dieser Ressourcen an seine Handelspartner. Insofern wird der Wettbewerb darum hart und auch die Primärproduktion wird auf absehbare Zeit noch ihren Platz haben.

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