Diamantstruktur für die Erforschung des Klimawandels Fieberthermometer für die Erde

Unsere Erde wird immer heißer – Zeit das Fieberthermometer rauszuholen.

Bild: publish industry / DALL-E
15.01.2024

Fiebermessen für die Erde – das ist der Auftrag der FORUM-Mission. Die für 2027 geplante Satellitenmission der Europäischen Weltraumbehörde (ESA) möchte den Wärmehaushalt der Erde analysieren, um so die globale Erwärmung und das Weltklimasystem besser zu verstehen. Für das Spektrometer an Bord des Satelliten haben Forschende aus Jena eine neuartige Diamantenstruktur entwickelt, die präzise Messungen im extrem-fernen Infrarotbereich ermöglicht. Die ersten flugtauglichen Komponenten wurden nun ausgeliefert.

Die Erde gerät ins Schwitzen – buchstäblich. Die Jahre 2018 und 2022 gehörten zu den wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Ein wichtiges Puzzlestück bei der Untersuchung der globalen Erwärmung ist dabei die Abstrahlung von Wärme von der Erde ins Weltall.

Messung der „Fieberreaktion“

„Der Klimawandel wird durch ein Ungleichgewicht im Strahlungshaushalt der Erde verursacht“, erklärt Dr. Falk Eilenberger, der die Abteilung für Mikro- und Nanostrukturierte Optik am Fraunhofer IOF leitet. „Das Problem: Klimagase reduzieren die Menge an Wärme, die von der Erde ins Weltall abgestrahlt wird. Die Folge: Es wird hier unten zunehmend wärmer. Dieser Prozess ist jedoch äußerst komplex und wird von Faktoren wie der Verteilung der Gase, der Wolkenbildung und den Strömungen in der Atmosphäre beeinflusst“, so der Forscher weiter.

Um eben diese komplexen Mechanismen besser zu verstehen, will die ESA voraussichtlich 2027 die Mission FORUM starten. Mit einem Satelliten soll der Strahlungshaushalt der Erde lokal genau aufgenommen werden. „Im übertragenen Sinne heißt das: FORUM ist ein Satellit gewordenes Fieberthermometer mit extremer Präzision“, versinnbildlicht Eilenberger.

Für die „Fiebermessung“ kommt auf dem Satelliten ein Spektrometer zum Einsatz. Dieses zeichnet die Wärmestrahlung der Erde im extrem-fernen Infrarotbereich auf – das heißt von circa 10 bis 100 Mikrometer (µm). Die wesentliche Schlüsselkomponente hierbei ist der Strahlteiler des Spektrometers.

Geätzte Diamantenstruktur fungiert als Strahlteiler im Interferometer

Genau hier spielen das Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF sowie das Institut für Angewandte Physik der Friedrich-Schiller-Universität eine entscheidende Rolle: Für eben diesen Strahlteiler haben Forschende beider Institute eine neue Diamantmikrostruktur für die hochpräzise Messung von Spektren im extrem-fernen Infrarotbereich entwickelt und gefertigt. Dabei kommt eine spezielle Technologie zum Einsatz, bei der mikroskopische Pyramiden in einen Diamanten geätzt werden.

„Für die extreme Bandbreite, die von FORUM aufgenommen werden soll, brauchen wir einen Strahlteiler, der über den gesamten Spektralbereich durchsichtig ist“, erläutert Eilenberger.

Er fährt fort: „Es gibt kein optisches Material, das diese Eigenschaft hat – außer Diamant.“ Entsprechend nutzten die Forschenden einen Diamanten von der ungefähren Größe einer Kreditkarte (~43mm x 64 mm). Dessen glänzende (und später zusätzlich beschichte) Oberfläche fungiert als Strahlteiler. Und hier wartet schon die nächste Herausforderung, denn: „Es darf aber nur eine Oberfläche des Diamanten glänzen“, erklärt Eilenberger. „Unser Job war es also, die zweite Oberfläche zu entspiegeln.“

Herkömmliche Entspiegelungsverfahren, wie sie etwa bei Brillengläsern zum Einsatz kommen, sind für diese Anwendung ungeeignet, da sie aus Schichten verschiedener Materialien bestehen und nicht über den gesamten Spektralbereich transparent sind. Die Forschenden haben daher einen speziellen Ätzprozess entwickelt, um die erforderlichen Strukturen in den Diamanten einzubringen. Dafür ließen sie sich von der Natur inspirieren – und zwar vom Auge der Motte.

Nach dem Vorbild der Natur: Mottenaugen als Inspiration

„Mottenaugen sind breitbandig entspiegelt“, erörtert Eilenberger. „Sie erreichen diese Entspiegelung durch mikroskopisch kleine Pyramiden auf der Oberfläche. Das Fraunhofer IOF hat dieses Vorbild aus der Natur bereits vor einigen Jahren für Optiken im sichtbaren übernommen. Wir haben diesen Ansatz für die FORUM-Mission nun auf die Diamantstrahlteiler angewandt.“

Obwohl das Konzept damit schon länger am Fraunhofer IOF zum Einsatz kommt, sind die Anforderungen für eine Anwendung im Fall der FORUM-Mission extrem, wie der Forscher weiter ausführt: „Nicht zuletzt da Diamant – bekannt als eines der härtesten Materialen der Welt – nur sehr schwer zu strukturieren ist. Die extreme Bandbreite bedarf weiterhin Pyramiden mit extremer Formtreue. Wir mussten also einen Ätzprozess entwickeln, der Strukturen der notwendigen Form exakt und reproduzierbar erzeugt.“

Gelungen ist dies den Forschenden mithilfe eines reaktiven Ionenätzprozess, maskiert durch eine Elektronenstrahllithographisch aufgebrachte Maske. Im Ergebnis erreichten sie eine Entspiegelungseffizienz von mehr als 96 Prozent durch eine Strukturtiefe von mehr als 7 µm und eine präzise definierte Flankensteilheit.

Hier waren die Kollegen vom Institut für Angewandte Physik (IAP) der Universität Jena maßgeblich beteiligt: „Ohne diese absolut exzellente Zusammenarbeit und die hervorragende Ätz-Technologieentwicklung des IAP, wäre die Strukturierung des Diamanten nicht möglich oder so erfolgreich gewesen“, sagt Eilenberger.

„Diamonds are photonics’ best friend“: Potenzial als optischer Werkstoff

Für Eilenberger und sein Team zeigt die Entwicklung insgesamt große Potenziale in der Verwendung von Diamant als optischem Werkstoff auf: „Dieses Projekt zeigt auch, dass wir das Potenzial von Diamant als optischem Werkstoff erst durch eine Nanostrukturierung wirklich nutzen können“, erklärt er.

Er erläutert weiter, dass Diamant das einzige optische Material ist, das vom ultravioletten Licht bis zum tiefen Infrarot nutzbar ist. „Durch seine hohe Festigkeit und Wärmeleitfähigkeit eignet er sich auch exzellent als Material für Hochleistungslaseroptiken. Im Gegensatz zu klassischen Laseroptiken kann Diamant selbst extremste Umgebungsbedingungen klaglos überstehen.“

Er fährt fort: „Wir möchten mit dem Projekt auch zeigen, dass nanostrukturierter Diamant das Material der Zukunft für Optiken im extremen Bereich ist. Mit unseren Prozessen sind wir exzeptionell aufgestellt diese Zukunft zu gestalten: Diamant-Metaoptiken, waferskalige Diamant-Magnetfeld-Sensoren, Resonante-Diamant-Spiegel und vieles mehr. Man könnte sagen: Diamonds are photonics’ best friend.“

Erfolgreiche Übergabe nach vier Jahren Entwicklungsarbeit

Die FORUM-Mission markiert einen bedeutenden Meilenstein in der Erforschung des Klimawandels sowie der Anwendung von Diamantstrukturen in der Raumfahrttechnologie. Insgesamt hat das Jenaer Forschungsteam – bestehend aus Mitarbeitenden des Fraunhofer IOF sowie des IAP – vier Jahre an der Entwicklung der neuartigen Diamantenstruktur gearbeitet. Die Entwicklungsarbeit erfolgt in enger Abstimmung mit dem Auftraggeber OHB SE sowie der ESA als Missionsträger.

Der flugtaugliche Strahlteiler zur Anwendung im Rahmen der FORUM-Mission wurde im Dezember 2023 nun an OHB übergeben.

Bildergalerie

  • Ein Diamant von der ungefähren Größe einer Kreditkarte fungiert als Strahlteiler.

    Ein Diamant von der ungefähren Größe einer Kreditkarte fungiert als Strahlteiler.

    Bild: Fraunhofer IOF

  • Forschende des Fraunhofer IOF betrachten die Diamantenstruktur unter dem Rasterelektronenmikroskop.

    Forschende des Fraunhofer IOF betrachten die Diamantenstruktur unter dem Rasterelektronenmikroskop.

    Bild: Fraunhofer IOF

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