Acatech empfiehlt größere Freiräume für Kommunen Raum und Mobilität gemeinsam denken

Das Ziel einer integrierten Raum- und Mobilitätsplanung ist eine lebenswerte Stadtregion mit hoher Aufenthaltsqualität und kurzen Wegen. Dazu gehören Maßnahmen wie die Einrichtung von Umweltzonen, der Ausbau von Fuß- und Radverkehrswegen sowie die Einführung eines stadtweiten Fahrradverleihsystems. Zudem wird angestrebt, die Quartiere besser durch öffentliche Verkehrsmittel zu verbinden.

Bild: iStock, Kateryna Artsybasheva
20.02.2024

Umwelt- und Klimaschutz im Verkehr braucht beides: Intelligente Technologien und eine integrierte Gestaltung von Mobilität und Raum nach dem Motto „Ankommen statt unterwegs sein“. Dafür hat Acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften nun Erkenntnisse aus der Forschung, Praxisbeispiele, Handlungsempfehlungen und einen Leitfaden für Kommunen vorgelegt. Diese brauchen Rechtssicherheit und größere Kompetenzen, die insbesondere im Straßenverkehrsgesetz und im Raumordnungsgesetz verankert werden müssen.

Der Pariser Bürgerentscheid, dass größere Fahrzeuge wie beispielsweise SUVs drastisch höhere Parkgebühren zahlen sollen, brachte auch in Deutschland eine Debatte in Gang: Welche Handlungsspielräume haben Kommunen? Das Projekt „Integrierte Stadtentwicklung und Mobilitätsplanung“, dessen Ergebnisse am 20. Februar 2024 in Berlin vorgestellt werden, empfiehlt eine Erweiterung bestehender Spielräume: Kommunen brauchen rechtliche und finanzielle Möglichkeiten, damit sie als zentrale Akteure Stadtentwicklung und Mobilität integriert planen können. Denn jede Stadt, jede Region hat andere Voraussetzungen und unterschiedliche Mobilitätsbedürfnisse.

Übergeordnete Regelwerke wie das Straßenverkehrsgesetz (StVG) und das Raumordnungsgesetz (ROG) begrenzen jedoch den Gestaltungsspielraum von Kommunen. „Es ist ein Dilemma“, sagt Co-Projektleiter Helmut Holzapfel: „Kommunen sollen die Mobilitätswende vorantreiben, doch sobald sie Neues ausprobieren, um öffentlichen Raum vielfältiger zu nutzen und etwa Straßen für Fußgängerinnen und Fußgänger zu öffnen, droht schnell der Gang vor Gericht. Eine Novellierung des Straßenverkehrsgesetzes ist eine wichtige Basis für mehr Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort.“ Ende 2023 ist jedoch eine entsprechende Reform des StVG im Bundesrat gescheitert.

Hier sind integrierte Raum- und Mobilitätsplanung schon erfolgreich umgesetzt

Das Zielbild einer integrierten Raum- und Mobilitätsplanung ist die lebenswerte Stadtregion mit hoher Aufenthaltsqualität und kurzen Wegen. Mögliche Bausteine sind Umweltzonen, der Ausbau von Fuß- und Radverkehrsinfrastrukturen oder die Einrichtung eines stadtweiten Radverleihsystems sowie eine bessere Verbindung der Quartiere durch öffentliche Verkehrsmittel.

Die Studie „Ankommen statt unterwegs sein“, die Acatech am 20. Februar 2024 vorlegen wird, stellt Städte vor, in denen Raum und Mobilität bereits neu gedacht und gestaltet wurden. So stieg in Freiburg zwischen 1982 und 2016 der Anteil des Umweltverbunds (Fußgänger-, Rad- und öffentlicher Nahverkehr) am Gesamtverkehr von 61 auf 79 Prozent, während der Anteil des motorisierten Individualverkehrs von 39 auf 21 Prozent zurückging. Hannover zielt auf eine bessere räumliche Integration innerhalb der Region und möchte verkehrsbedingte CO2-Emissionen bis 2035 um 70 Prozent senken. Paris gehört zu den Vorreitern auf dem Weg zu einer 15-Minuten-Stadt: Alle Wege des Alltags sollen in dieser Zeitspanne zu schaffen sein – zu Fuß, mit Bus und Bahn oder mit dem Fahrrad.

Experimentierklauseln erweitern, Förderprogramme reformieren

Ob autofreie Straßen und Quartiere, Tempo-30-Zonen, Bus- oder Radspuren: Kommunen fehlen an vielen Stellen Gestaltungsmöglichkeiten und Rechtssicherheit. Die Acatech Expertengruppe empfiehlt deshalb neben Gesetzesreformen eine Erweiterung und Vereinfachung von Experimentierklauseln sowie Förderprogramme, mit denen Bund und Länder Kommunen im Umbau von Raum und Mobilität unterstützen.

Experimentierklauseln ermöglichen für einen begrenzten Zeitraum, von Vorschriften abzuweichen, um bestimmte Projekte zu erproben und deren Wirkungen zu messen. „Die Sendlinger Straße in München ist ein gutes Beispiel“, sagt Co-Projektleiter Klaus J. Beckmann. „Die Straße wurde zunächst versuchsweise zur Fußgängerzone umgewidmet. Seither flanieren die Menschen, sie genießen den neu gewonnenen Freiraum und auch der Einzelhandel profitiert von der höheren Besucherfrequenz. Schon nach einem Jahr war klar: Das soll so bleiben.“

Auch die Reform der Förderprogramme sowie eine stärkere Unterstützung der Kommunen bei der Fachkräftebindung und -suche stehen auf der Liste der Empfehlungen. Ein ebenfalls im Projekt entstandener kommunaler Leitfaden richtet sich explizit an kommunale Praktiker und zeigt Handlungsbausteine zur Umsetzung auf.

Die Forschungsberichte sind hier abrufbar.

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