Über- und Ausblick Energieautarkie für und in Deutschland?

Energieunabhängigkeit, dezentrale Stromnetze, Erneuerbaren-Speicher: und Kann das, was im kleinen Rahmen in Ortschaften funktioniert, auch im großen Rahmen in ganz Deutschland umgesetzt werde?

Bild: iStock, perihelio
16.01.2024

Kann die Bundesrepublik durch die Energiewende einen Weg in die Energieunabhängigkeit finden? Eine neue Studie beleuchtet den Status Quo, Deutschlands Ansätze zur Speicherung regenerativer Energie sowie den Stand in Privathaushalten und die Herausforderungen, die mit der Umsetzung einer unabhängigen nachhaltigen Energieversorgung einhergehen.

Das öffentliche Interesse am Thema Energiewende, Energieversorgung sowie deren Finanzierung ist nach wie vor ungebrochen. „Reichelt Elektronik hat im dritten Quartal 2023 eine Umfrage zum Thema Energiesparen durchgeführt, die besagt, dass etwa die Hälfte der Deutschen weiter steigende Energiepreise befürchten und daher besonders auf ihren Verbrauch achten“, kommentiert Tobias Thelemann, Produktmanager mechanische Bauelemente und Automatisierungstechnik bei Reichelt Elektronik. „Ein Drittel der Befragten hat Bedenken bezüglich der Sicherstellung der Energieversorgung, die durch die politische Situation beeinträchtig werden könnte. Andererseits setzen sich viele Bürger aktiv mit dem Thema auseinander und wollen mehr über alternative und unabhängige Stromerzeugung erfahren.“

Eine Auswertung des Marktstammdatenregisters der Bundesnetzagentur bestätigt diesen Trend: In den vergangenen vier Jahren hat sich die Nachfrage nach Photovoltaikanlagen und Solarspeichern verdreifacht.

Der Status Quo der Stromversorgung in der Bundesrepublik

Die deutsche Energieversorgung hat große Ziele und durchlebt signifikante Veränderungen: Bis 2030 sollen 80 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen stammen. Der Atomausstieg wurde im Frühjahr 2023 umgesetzt. Die Leistung der Kohlekraftwerke soll bis zum finalen Kohleausstieg 2038 stetig reduziert werden, im dritten Quartal  2023 lag ihr Anteil am Strommix bei knapp 24 Prozent. Grüne Energiequellen – Off- und Onshore-Windparks, Wasserkraft-, Photovoltaik- und Biogasanlagen – erzeugen aktuell 60 Prozent des Stroms. Der restliche Bedarf wird von Erdgas (13 Prozent) und Stromimporten gedeckt.

Laut Statistischem Bundesamt wurden bis zum dritten Quartal 2023 23,1 Milliarden Kilowattstunden Strom importiert. Das liegt nicht nur an den günstigen Preisen der anderen europäischen Stromerzeuger, sondern auch an der unzureichende Netzinfrastruktur zwischen Süd- und Norddeutschland und den mangelnden Speicherkapazitäten im Inland.

Die Energiewende als Katalysator für mehr Autarkie

Für eine erfolgreiche Energiewende und Förderung der Energieautarkie ist eine ausreichende Fläche für neue Wind- und Solarparks sowie Stromspeicher notwendig, was glücklicherweise in Deutschland gegeben ist. Speichersysteme helfen, Wetter und Tageszeit auszugleichen und garantieren die Versorgung.

Ein dezentrales Stromnetz mit lokalen erneuerbaren Energiequellen und Energiespeichern fördert die Energieunabhängigkeit, verbessert Effizienz, steigert Nachhaltigkeit und erhöht die Widerstandsfähigkeit des Stromnetzes gegenüber Störungen. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE berichtete, dass bis zum Jahresende 2023 Großspeicher mit einer Speicherleistung von 10 bis 11 GWh in Deutschland installiert werden sollten.

Neben Batterien gibt es weitere Ansätze, hierzulande Energie aus erneuerbaren Quellen zu konservieren: Grüner Wasserstoff, Pumpspeicherkraftwerke, Wärmespeicher und Abwärmenutzung – einiger dieser Technologien sind aber noch nicht voll ausgreift. Dass diese Strategie auch tatsächlich funktioniert, zeigt eine kleine Gemeinde in Brandenburg: Feldheim erzeugt kostengünstig und klimaneutral Strom sowie Wärme aus Wind- und Biogasanlage. Seit 2010 sind sie energieautark.

Vorteile – und nicht zu unterschätzende Herausforderungen

Kann das, was im kleinen Rahmen in Orten wie Feldheim funktioniert, auch im großen Rahmen in ganz Deutschland umgesetzt werde? Positive Entwicklungen sind in erster Linie, dass die Bürger und der Staat von stabil niedrigen Energiepreisen profitieren und ihren Beitrag für eine umweltfreundliche Energieversorgung ohne fossile Brennstoffe leisten. Zudem schafft die lokal generierte Energie Möglichkeiten zur Wertschöpfung in der eigenen Region – dazu gehören auch neu geschaffene Arbeitsplätze und Vorteile für ansässige Unternehmen, die durch die Preisstabilität Planungssicherheit erhalten und ihre Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten können.

Für die Umsetzung müssen eine Reihe von neuen Technologien, wie beispielsweise erfolgreiche Systeme für die Abwärmenutzung, entwickelt werden. Das Know-How dafür könnte dann auch wieder exportiert werden und Deutschlands Position als Technologieführer festigen.

Allerdings dürfen die Hürden und Nachteile, die die Umsetzung einer unabhängigen nachhaltigen Energieversorgung mit sich bringt, auf keinen Fall unterschätzt werden und müssen gut durchdacht werden: Die Kosten für den Um- und Ausbau werden enorm sein. Allein die Planung eines dezentralen Netzes, das vorher zentral funktioniert hat, stellt eine riesige Herausforderung dar.

Zudem begibt man sich in verschiedene neue Abhängigkeiten: Eine erfolgreiche grüne Energieerzeugung hängt zu hundert Prozent von Witterung sowie Tageszeit ab. Die Abhängigkeit von Drittstaaten bei der Beschaffung von Rohstoffen für die Produktion von Solarzellen und anderen Technologien könnte zu möglichen politischen Spannungen führen. Weitere innerpolitische Hürden – auch auf Bundesländerebene – könnten das gesamte Projekt zum Stocken bringen. Dennoch – die Vision einer autarken Energiezukunft kann auch ein entscheidender Antrieb für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende in Deutschland sein.

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