Smart Traffic & Mobility „Elektromobilität braucht neue Plattformen“

17.04.2012

An der Entwicklung elektrischer Antriebssysteme führt kein Weg vorbei, meint der Technik-Chef von Schaeffler, Prof. Dr. Gutzmer. Während reine Elektrotraktion vor allem bei Zweirädern und Stadtfahrzeugen eine Chance hat, will der Zulieferer große und schwere Automobile mit sparsamen Verbrennungsmotoren und einer elektrisch angetriebenen Achse ausstatten.

Mobility 2.0: Herr Professor Gutzmer, früher waren Sie Ingenieur bei Porsche, da ging es darum, möglichst schnell zu sein. Heute leben Sie von Komponenten, die grammweise CO 2einsparen. Mal ganz ehrlich: Hat Ihnen der Job früher nicht mehr Spaß gemacht?

Prof. Dr. Peter Gutzmer: Wenn man gute Technik entwickelt, muss das Spaß machen, auch wenn es darum geht, ein paar Gramm CO 2zu sparen. Sie müssen sich halt andere Spaß-Treiber suchen. Auto fahren, das ist auch künftig eine emotionale Sache.

Sie engagieren sich in der Nationalen Plattform Elektromobilität, der NPE. Darf man gegenüber Politikern denn noch vom Spaß beim Autofahren reden?

Ich glaube schon, denn auch Politiker sind Menschen mit Emotionen. Außerdem werden wir Elektroautos und auch sonstige Effizienztechnologien nur erfolgreich am Markt unterbringen, wenn sie Emotionen wecken. Das gilt insbesondere, wenn das Auto dadurch teurer wird.

Wie stark glüht das Fieber für das Elektroauto in der Autobranche derzeit noch?

Momentan neigt es dazu abzukühlen. Auch, weil die Mittel aus dem Energie- und Klimafonds geringer auszufallen drohen.

Wenn man bei der eigentlichen Forschung nicht kürzt, sondern bei den vielen Schaufenster-Projekten, wäre das aber wahrscheinlich gar nicht so schlimm.

Das muss man abwarten. Nach dem großen Aufwand, den alle Parteien - Politik, Industrie, Gewerkschaften, Hochschulen - in die NPE gesteckt haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass man jetzt nach der Rasenmähermethode vorgeht. Natürlich braucht man Schaufenster-Projekte, um Emotionen zu wecken. Aber man kann darüber diskutieren, ob jede Region ihr eigenes benötigt. Überhaupt nicht vorstellen kann ich mir, dass man bei der Forschung an Speichertechnologien kürzt.

Warum nicht - man kann die Batterien doch in Asien kaufen?

Die ganze Elektromobilität greift ökonomisch und ökologisch nur, wenn die Stromerzeugung aus regenerativen Quellen stammt. Dafür brauchen wir Energiespeicherkonzepte, auch elektrochemische. Wenn wir das in Deutschland nicht hinbekommen, dann haben wir wirklich verloren. Wir haben bei der Lithium-Ionen-Technik eine Aufholstrecke zu finanzieren, nur um das zu erhalten, was andere schon können. Parallel müssen wir mit neuen Technologien einen Vorsprung erzeugen.

Eine gewaltige Anstrengung für einen Technologiepfad, der es in absehbarer Zeit kaum auf Stückzahlen bringen wird.

Ich bin felsenfest der Überzeugung, dass der Verbrennungsmotor noch auf lange Zeit die dominierende Antriebsquelle bleiben wird, zumindest solange wir uns auf vier Rädern bewegen. Aber neben den Verbesserungen am Verbrennungsmotor wird die Elektrifizierung zunehmen, zunächst über Start-Stopp-Systeme. Im Zweiradmarkt wird die Elektrotraktion deutlich rascher Marktanteile gewinnen.

Welche Chance geben Sie dem Hybridantrieb?

Aus Kostengründen wird die elektrische Reichweite auf absehbare Zeit auf 20 bis 30 Kilometer begrenzt werden. So entstehen nur Scooter und kleine Stadtfahrzeuge als reine Elektrofahrzeuge. Zudem wird ein großer Anteil der Oberklassefahrzeuge und der SUVs (Sport Utility Vehicle, sportliche Geländefahrzeuge) mit Plug-in-Hybridantrieb ausgerüstet werden.

Zu welchen Kosten?

Zu vertretbaren Kosten, zumindest, wenn man den höheren Nutzen für den Kunden einrechnet. Das heißt, dass die Kosten gegenüber heute auf System- wie auf Batterieebene um den Faktor drei sinken müssen.

Die Mehrkosten könnten Sie beispielsweise rechtfertigen, wenn Sie die elektrische Achse, die Sie in einer Elektrofahrzeugstudie vorgestellt haben, als Allradantrieb in ein Hybridfahrzeug bringen.

Genau das haben wir vor. Denn wir werden über den Hybridantrieb lernen, den elektrischen Antrieb zu beherrschen.

Warum arbeiten Sie parallel zur elektrischen Achse auch noch am Radnabenmotor?

Rein elektrische Fahrzeuge, kleine Pendlerfahrzeuge oder Kleintransporter werden sich stark über den Nutzwert definieren. Und den kann man mit dem Radnabenmotor deutlich erhöhen, denn dann kann das restliche Fahrzeugvolumen besser ausnutzt werden und bietet auch mehr Sicherheit. Bei den Hybridfahrzeugen geht es ja eher darum, vorhandene Fahrzeugplattformen sinnvoll zu ergänzen, für reine E-Fahrzeuge werden wir ganz neue Plattformen sehen.

Sehr viele Fahrzeugentwickler halten nichts vom Radnabenmotor, unter anderem der ungefederten Massen wegen.

Aber es geht doch gar nicht darum, heutige Fahrzeuge mit Radnabenmotoren auszurüsten. Ich glaube, wenn wir erfolgreich Elektrofahrzeuge, beispielsweise für Pendler, machen wollen, müssen wir uns von den Standard-Plattformen lösen. Wir werden lernen, dass elektrisches Fahren in Großstädten mit viermal 10 kW oder zweimal 15 kW möglich ist. Das führt zu relativ kleinen Motoren und kleinen Massen.

Deshalb auch das Konzeptfahrzeug?

Schaeffler steht für Komponenten, benötigt aber das Systemverständnis. Und wir wollten zeigen, dass der Radnabenantrieb trotz aller Bedenken hinsichtlich thermischem Verhalten, Schwingungskomfort und anderem grundsätzlich funktioniert. Ich denke immer: Wo viel Kritik ist, sind viele Lösungen, viele neue Wege, die man beschreiten kann. Sonst gäbe es doch die ganzen Gegenargumente nicht.

Wer wird ein solches Fahrzeug als erster anbieten?

Ein chinesischer Hersteller. Denn die haben den Mut...

...und keine Fertigungseinrichtungen, die sie maximal ausnutzen müssen.

Natürlich. Aber wir brauchen deswegen keine Angst haben. Denn auch wenn die ersten Märkte für Elektromobilität dort entstehen, wo es keine gewachsenen Strukturen gibt, werden relativ schnell Premiumsegmente entstehen. Und dafür braucht man Premium-Komponenten.

Ist durch das Abklingen des Elektrohypes das von Schaeffler gegründete „Systemhaus Elektromobilität“ also nicht gefährdet?

Keinesfalls. Das Systemhaus hat ja drei Schwerpunkte. Erstens die Elektrifizierung des Antriebsstrangs, beginnend mit Start-Stopp. Gemeinsam mit der Optimierung des Verbrenners kommen wir so auf CO 2-Reduzierungen von 25 bis 30 Prozent, auch in Verbindung mit alternativen Kraftstoffen. Zweitens die Hybridisierung, mit der wir fahrzyklusabhängig noch einmal 20 Prozent CO 2einsparen. Mit der elektrischen Achse haben wir hier eine Lösung, die zusätzlich einen Allradantrieb bietet, ohne mehr zu wiegen als ein normaler Hybridantrieb. Der dritte Schwerpunkt ist der Radnabenmotor. Hier zielen wir auf eine Vollintegration, die auch die Leistungselektronik umfasst.

Sehen Sie sehr langfristig eine Alternative zur Elektromobilität, beispielsweise durch den Einsatz von Biokraftstoffen?

Vom Jahr 2050 aus betrachtet, führt kein Weg an neuen Energieformen im Verkehr vorbei. Wie schnell die sich durchsetzen, ist auch regionenspezifisch. In China, wo Erdöl importiert werden muss, andere Energieträger jedoch heimisch sind, wird man machtpolitisch die Elektromobilität stärker fördern als anderorts. Und neben Biokraftstoffen ist auch verstärkt mit Gas zu rechnen.

Wird denn dieses Geschäft noch ein Geschäft der Automobilhersteller sein? Und welche Rolle spielen Zulieferer wie Schaeffler künftig?

Wir beobachten schon, dass Unternehmen anderer Branchen, Google etwa, in das Automobilgeschäft drängen. Aber die Automobilindustrie ist stark genug. Um sich zu wehren, wird sie in andere Geschäftsmodelle gehen, umfassende Mobilitätsangebote machen, sogar eigene Kraftwerke bauen. Darin steckt für uns als Zulieferer eine enorme Chance, denn die Wertschöpfungstiefe der Hersteller wird eher sinken als steigen. So werden die Hersteller anfangs zwar Elektromotoren selbst fertigen, um Technik und Produktion hundertprozentig zu verstehen. Die großen Volumina werden sie jedoch von Lieferanten beziehen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir jetzt ins Systemgeschäft investieren.

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