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Intelligente Ladeinfrastruktur Zwei E-Autos auf Ladesäulen-Tour

Ladeinfrastrukturvorgaben sind vielfältig und müssen in der E-Fahrzeugentwicklung stets beachtet werden.

Bild: iStock, smartboy10
17.06.2021

Möglichst schnell sollen sie sein und dabei noch komfortabel für den Fahrer: Ladesäulen. Die Absicherung dieser Vorgaben stellt Entwickler vor besondere Herausforderungen. Mit zwei Testfahrzeugen wurde untersucht, wie es sich mit länderspezifischen Netz- und Steckerinfrastrukturen, Ladestandards und Bezahlsystemen verhält.

Für das Jahr 2030 wird ein Anteil an BEV-Fahrzeugen auf dem weltweiten Pkw-Markt von einem Viertel prognostiziert. Für den flächendeckenden Erfolg der Elektromobilität sind insbesondere schnelle Fortschritte hinsichtlich der Reichweite von E-Fahrzeugen sowie eines komfortablen Ladeprozesses essenziell.

Letzterer zeichnet sich neben dem Laden mit hoher Leistung sowie der Zuverlässigkeit des Ladevorgangs auch durch die Nachvollziehbarkeit der Anzeigen für den Fahrer sowie ein komfortables Handling während des Vorgangs aus. Mit der Konzeption und Umsetzung weltweit angelegter Interoperabilitätserprobungen wird für die Absicherung dieser Faktoren gesorgt.

Parameterkombinationen validieren

Plug & Charge – was dem Fahrer einen einfachen Ladevorgang für sein E-Fahrzeug verspricht, macht in der Entwicklung ein tiefgreifendes Absicherungskonzept erforderlich. Große Varianzen je nach Land und Ladesäulenanbieter gestalten den Ladeprozess durch eine Vielzahl an Parameter-Kombinationen komplex. So gilt es zunächst zu beachten, dass das Laden an sämtlichen Ladesäulentypen jederzeit reibungslos funktionieren muss. Darüber hinaus muss das E-Fahrzeug auch auf die Vielfalt hinsichtlich Steckerinfrastruktur und Ladestandards vorbereitet werden.

Grundsätzlich wird hierbei zwischen AC- und DC-Ladevorgang unterschieden. Bezüglich der DC-Ladestandards gilt: Während in Europa die Richtlinie CCS2 gültig ist, greifen beispielsweise in Japan die CHAdeMO- und in China die GBT-Norm. Das hat zur Folge, dass beim Ladevorgang die Spannung in der Ladesäule entsprechend der jeweiligen Anforderungen gleichgerichtet werden muss.

Die Kommunikation vom E-Fahrzeug zur Ladesäule über die Schnittstelle muss hierfür einwandfrei funktionieren und darf für den Fahrer gleichzeitig keinen Mehraufwand bedeuten. Dies muss für die unterschiedlichen Ländervarianten und damit variierenden Ladestandards und -protokolle sichergestellt werden.

Eine weitere Herausforderung für die Absicherung stellen die große Anzahl verschiedener Ladesäulenhersteller und damit verbunden auch wechselnde Hardware- und Softwarestände der jeweiliger Ladesäulentypen im Feld dar. Nur in Europa und Nordamerika bieten aktuell etwa 40 Hersteller jeweils rund vier Ladesäuletypen an, Tendenz steigend. Der Ladeprozess eines E-Fahrzeug muss demnach alleine in diesen beiden Regionen für über 160 unterschiedliche Ladesäuletypen abgesichert werden.

Bei der Absicherung der Kommunikation zwischen E-Fahrzeug und Ladesäule müssen zudem die je nach Land stark variierenden Bezahlsysteme oder auch Ladeverbünde berücksichtigt werden – für den Fahrer darf sich hierdurch im Ladeprozess kein Mehraufwand in der Abwicklung ergeben. Weitere Einflussfaktoren: die Abhängigkeit des Ladevorgangs vom Fahrzeughersteller und -typ sowie die variierende Aktualität des Ladeverbunds des jeweiligen Fahrzeugs.

Interoperabilität an verschiedenen Ladesäulen

In einem aktuellen Projekt hat ASAP die Interoperabilitätserprobung der Ladesysteme für ein E-Fahrzeug in Nordamerika und Europa übernommen und die Schnittstelle des Fahrzeugs zu den dort gängigsten Ladesäulentypen hinsichtlich verschiedenster Kunden-Use-Cases validiert. Für eine möglichst effiziente und umfassende Absicherung hat das Team hierfür zunächst eine Marktanalyse zur Ladeinfrastruktur in den Einsatzmärkten inklusive Identifikation aller Ladesäulenanbieter und -Typen durchgeführt und auf Basis dessen schließlich das Erprobungskonzept zur Absicherung der Kundenfunktionen erarbeitet. Anschließend wurden Routenpläne für beide Regionen erstellt – jeder wichtige Ladesäuletyp sollte mindestens fünfmal an unterschiedlichen Standorten angesteuert werden.

Das Ziel: Zwei Testfahrzeuge sollten parallel auf ihren Routen möglichst viele Länder, Bezahlsysteme sowie weitere der eingangs beschriebenen Parameter abdecken. Gleichzeitig wurden bei der Routenplanung länderspezifische Bestimmungen für Testfahrzeuge sowie das Vorhandensein abgesicherter Tiefgaragen bei allen Aufenthalten zum Prototypenschutz bedacht.

Das Ergebnis der Planung: Mit zwei Testfahrzeugen waren Entwickler fünf Monate lang in sieben Ländern unterwegs und haben auf ihrer Fahrt zu über 150 Ladesäulen etwa 10.000 km zurückgelegt.

Test-Case-Matrix erstellen und auswerten

Für die Durchführung der Kundenfunktionstests an den Ladesäulen wurde im Vorfeld der Erprobungsfahrten eine umfangreiche Test-Case-Matrix erstellt. Diese schließt für jede der angesteuerten Ladesäulen rund 100 Testfälle zur Absicherung unzähliger Parameterkombinationen ein.

Beispielhaft sei nachfolgend ein solcher Testfall in Kürze beschrieben. Für diesen Beispieltestfall wurden in der Test-Case-Matrix die folgenden Bedingungen festgehalten: Anschließen des Ladesteckers am Fahrzeug, Authentifizierung an der Ladesäule, aktives Laden des Fahrzeugs sowie Erreichen von 80 Prozent als State of Charge (SOC) Zielwert.

Die Aktion für diesen Testfall besteht dann darin – sobald der SOC-Zielwert erreicht ist –, am Fahrzeug-HMI einen neuen Zielwert größer des Ist-Wertes einzustellen. Die Erwartungswerte für diesen Testfall sind zunächst das Entriegeln des Steckers nach beendetem Ladevorgang sowie – nach Einstellung des neuen SOC-Zielwertes – die Wiederverriegelung des Steckers und das Fortsetzen des Ladevorgangs bis zum Erreichen des neuen Zielwerts.

Nach diesem Prinzip – Überprüfung der Testfallbedingungen, Durchführung der festgelegten Aktionen sowie Kontrolle und Dokumentation der Erwartungswerte – führen die Entwickler an jeder Ladesäule rund 100 verschiedene Testfälle zur Interoperabilitätserprobung durch. Bereits während der Erprobung werden konkrete Fehlerfälle analysiert, um eine zeitnahe Abstellmaßnahme herbeiführen zu können. Dazu werden die Kommunikation zur Ladesäule sowie die fahrzeuginterne Kommunikation ausgewertet. Die Ergebnisse der durchgeführten Tests werden lückenlos dokumentiert, um später die häufigsten Fehlerursachen und -arten identifizieren zu können.

Die häufigste Fehlerquelle im E-Fahrzeug stellt Auswertungen zufolge erwartungsgemäß der On-Board Charger (OBC) dar. Das mit standardisierten Protokollen für die Kommunikation mit Ladesäulen ausgestattete Steuergerät ist für die Steuerung des Ladeprozesses zuständig. Es sorgt für die Authentifizierung des E-Fahrzeugs an der Ladesäule, tauscht Ladeparameter mit der Ladesäule aus, fordert Strom an und übermittelt Informationen zur Zahlungsmodalität.

Besonders häufig auftretende Fehlerarten – beispielsweise ein falsches Anzeigeverhalten der Lade-LED oder der Restladezeit – können nach Abschluss der Interoperabilitätserprobung ebenfalls benannt werden. Auch Fehler seitens der Ladesäule werden im Zuge der Interoperabilitätserprobung ermittelt und an die jeweiligen Ladesäulenhersteller übermittelt.

Simulierte Ladesäule am Laborprüfstand

Die Erprobungsdaten dienen nicht nur der Absicherung des untersuchten E-Fahrzeugs, sie sorgen gleichzeitig dafür, dass Interoperabilitätserprobungen von E-Fahrzeugen im Allgemeinen künftig kosten- und zeitsparender umgesetzt werden können. ASAP hat hierfür einen neuen Ansatz zur umfassenden Ladeabsicherung erarbeitet, der das manuelle Testen mit Prototypen an Ladesäulen in Zukunft ergänzt.

Grund für die Entwicklung des neuen Ansatzes: Es ist absehbar, dass die Anzahl an Ladesäulen sowie Ladesäulenherstellern und -typen – und damit auch der Erprobungsaufwand – kontinuierlich steigen werden. Bisherige Interoperabilitätserprobungen haben ergeben, dass Fehler oft nur einmalig an einer bestimmten Ladesäule auftreten. Diese sind daher aktuell noch nicht reproduzierbar und deshalb oftmals schwer zu analysieren.

Das neue Absicherungskonzept schafft hierfür eine Lösung. Dabei werden zunächst reale Ladevorgänge durchgeführt, aufgezeichnet und in einer Datenbank dokumentiert. Aus diesen Daten werden die aufgetretenen Fehlerquellen und -arten identifiziert und diese dann simulativ nachgebildet.

An einem Laborprüfplatz mit simulierter Ladesäule kann der Ladeprozess eines E-Fahrzeugs damit schließlich nachgestellt werden. Dabei wird die Simulation so programmiert, dass die eingangs genannten Parameter auf die ausgewählten häufigsten Fehlerquellen hin untersucht werden. Neue Fehlerfälle fließen kontinuierlich ein und können so reproduzierbar und analysierbar gemacht werden.

Zudem besitzt der Prüfstand auch eine Schnittstelle zum E-Fahrzeug, wodurch einfache Fahrzeugfunktionen automatisiert durchgeführt werden können. Somit können auch die Bedienhandlungen der Tester nachgebildet werden.

Durch den Einsatz einer Testautomatisierung laufen die Testfälle inklusive Dokumentation der Ergebnisse automatisch ab. Nicht nur ermöglicht die Absicherung am Laborprüfplatz demnach die Integration von Funktionen und Systemen im Fahrzeug, die von vornherein besser abgesichert sind – gleichzeitig wird so der Bedarf an Testfahrten und -szenarien mit kostspieligen Prototypen auf diese Weise erheblich reduziert. Durch den Einsatz einer Testautomatisierung ist die Absicherung bei diesem Ansatz zudem nicht auf manuelle Eingaben angewiesen und kann folglich rund um die Uhr kostengünstig eingesetzt werden.

Der Laborprüfstand ermöglicht somit eine umfassende Ladeabsicherung von E-Fahrzeugen mit deutlich gesteigerter Prüftiefe über eine Vielzahl von Parameterräumen und sorgt gleichzeitig für eine Zeit- und Kostenoptimierung der Validierung. Darüber hinaus gewährleisten die Laborbedingungen die gezielte Reproduktion von Fehlern und ermöglichen detaillierte Fehleranalysen.

Nächster Halt: intelligente Ladeinfrastruktur

Für ein ganzheitliches Ladeabsicherungskonzept arbeitet ASAP zudem am Aufbau einer Datenbank. Darin werden die bei den Ladeversuchen im Feld gesammelten Daten aufgezeichnet und gesichert. Dies umfasst auch sämtliche physikalischen und Kommunikationsparameter.

Künftig werden sich dadurch per Knopfdruck Testfälle aus der Datenbank ableiten lassen, die dann wiederum in den Ladeprüfstand eingespeist werden können. Damit wird die Ladeabsicherung von E-Fahrzeugen weiter beschleunigt, und das Ziel einer intelligenten Ladeinfrastruktur rückt ebenfalls näher.

Insbesondere das bedarfsgerechte Laden der E-Fahrzeuge spielt dabei eine wichtige Rolle: Die Vision ist ein Wandel von der Ladesäule als einfache „Tankstelle“ hin zur einer intelligenten Netzintegration der E-Fahrzeuge. Das bedeutet etwa, dass die Ladesäule künftig den Zeitraum zwischen Anschließen des E-Fahrzeugs an der Ladesäule bis zur geplanten Weiterfahrt erkennt.

Beispiel: Laden im Wohngebiet

Der Nutzen dieser Information sei anhand des folgenden Szenarios kurz erläutert: Innerhalb eines großen Wohngebiets erreichen Bewohner ihr Zuhause durchschnittlich nach Feierabend gegen 18:00 Uhr. Ohne die beschriebene Information würden die E-Fahrzeuge dann direkt nach Anschließen an der Ladesäule laden und der Energiebedarf dementsprechend innerhalb eines kurzen Zeitraums sehr stark steigen.

Bei Einbindung der E-Fahrzeuge in eine intelligente Ladeinfrastruktur können sie stattdessen künftig bedarfsgerecht, also in diesem Szenario beispielsweise auch nachts, wenn der Energiebedarf im Wohngebiet geringer ist, geladen werden, sodass sie morgens für die Fahrt zur Arbeit rechtzeitig einsatzbereit sind. Einer Netzüberlastung lässt sich auf diese Weise vorbeugen.

Mit der Optimierung von Interoperabilitätserprobungen durch den Einsatz von Ladeprüfständen und den Aufbau einer Datenbank gestaltet sich demnach nicht nur die Ladeabsicherung kostengünstiger und zeitsparender. Das neue Absicherungskonzept leistet auch seinen Beitrag zur Realisierung neuer Mobilitäts- und Infrastrukturkonzepte, bei denen E-Fahrzeuge eine elementare Rolle spielen.

Bildergalerie

  • Grafische Darstellung eines Laborprüfplatzes zur Ladeabsicherung von E-Fahrzeugen

    Grafische Darstellung eines Laborprüfplatzes zur Ladeabsicherung von E-Fahrzeugen

    Bild: ASAP

  • Eine der im Zuge der Interoperabilitätserprobungen angesteuerten 150 Ladesäulen

    Eine der im Zuge der Interoperabilitätserprobungen angesteuerten 150 Ladesäulen

    Bild: ASAP

  • ASAPs weltweiter Routenplan für Interoperabilitätserprobungen

    ASAPs weltweiter Routenplan für Interoperabilitätserprobungen

    Bild: ASAP

  • Wolfgang Hensel, Senior Expert Elektronikentwicklung / Referenzfahrzeuganalyse bei ASAP

    Wolfgang Hensel, Senior Expert Elektronikentwicklung / Referenzfahrzeuganalyse bei ASAP

    Bild: ASAP

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