Prozessautomation & Messtechnik „Wir haben die Nase vorn – aber nur die Nase“

ABB AG

Ferdinand Finken, ABB: "Bei Massemessern können wir uns viel stärker mit technischen Merkmalen absetzen, als bei Temperatur und Druck."

19.09.2014

Ferdinand Finken Leiter Business Development für Analysentechnik und Instrumentierung bei ABB, über die Mutation von Massemessern zum Zugpferd, die Stärken des Wettbewerbs und den Sicherheitslevel in der Chemie – vor SIL.

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P&A:

ABB hat sich eine Next-Level-Strategie verordnet. Was kommt da auf das Geschäftsfeld Measurement Products und natürlich auf alle anderen ABB-Bereiche zu, Herr Finken?

Ferdinand Finken:

Die nächsten Monate werden für uns sicher sehr aufschlussreich und spannend werden – wenn die Next-Level-Strategie, von der wir heute auch nur die übergeordnete Stoßrichtung kennen, auf die einzelnen Bereiche heruntergebrochen wird. In unserem Geschäftsfeld hat sich aber auch schon in den vergangenen zwei Jahren Einiges bewegt. Measurement Products in der jetzigen Form gibt es ja erst seit Anfang 2013.

Die einzelnen Aktivitäten darin sind ja nicht neu, wurden aber gebündelt. Welche Wirkung hatte das?

Durch die Zusammenführung der drei Instrumentierungsbereiche mit der klassischen Feldinstrumentierung inklusive Schreibern und Reglern, Antrieben und Stellungsreglern und den Bereichen Gasanalyse und Force Measurement können wir unsere Kunden deutlich besser betreuen.

Welchen Stellenwert hat die Durchflussmesstechnik in dieser Konstellation?

Innerhalb der Instrumentierung ist Durchfluss der größte Bereich, gefolgt von Druck und Temperatur. Den Sektor Durchfluss haben wir in den letzten Jahren deutlich aufgewertet, etwa durch große Investitionen in unseren Standort Göttingen, wo sich die Entwicklung für Durchfluss und die Fertigung der Masse-Messgeräte für den Weltmarkt befindet. Die ganze Produktion wurde dort erneuert.

Sie haben viel investiert in den Durchflussbereich. Merkt man das bereits am Wachstum?

Durchfluss ist tatsächlich stärker gewachsen als die Bereiche Druck und Temperatur.

Heißt das, dass das Wettbewerbsumfeld Sie im Durchflusssektor weniger unter Druck setzt.

Das nicht. Die Wettbewerbssituation ist durchaus ähnlich. Doch wir können uns bei der Durchflussmessung viel stärker mit technischen Merkmalen absetzen als bei Druck und Temperatur, wo 80 bis 90 Prozent aller Messstellen mit Standardprodukten abgedeckt werden können. Alleinstellungsmerkmale haben aber nur dann einen Wert, wenn sie für den Kunden einen Vorteil bringen.

Es gab sicher auch bereits eine Zukunftsstrategie vor Next Level. Was haben Sie sich für den Sektor Durchfluss vorgenommen?

Die Position, die wir erreicht haben, wollen wir behalten und ausbauen. Das untermauern wir durch unsere aktuellen technologischen Entwicklungen. Zudem vervollständigen wir das Portfolio durch Akquisitionen; so haben wir mit der niederländischen Firma Spirit die Kompetenz für Durchflussrechner für Flüssigkeiten zugekauft. Inzwischen sind wir mit insgesamt 13 Werken weltweit aktiv, quasi auf jedem Kontinent.

Wie ist die Nachfrage für die unterschiedlichen Durchflusstechniken in Ihrem Portfolio?

Innerhalb des Portfolios Flow geht eine Verschiebung vonstatten. Früher bildeten magnetisch-induktive Durchflussmesser das Rückgrat. Heute ist bei Neuanschaffungen in der Prozessindustrie Massemessung das Zugpferd. Coriolis wird ganz klar mehr nachgefragt, als die traditionellen Durchflussmesstechniken wie Schwebekörper, Blende mit Differenzdrucktransmitter, Wirbel oder Swirl. Entsprechend haben wir unser Produktportfolio erweitert: mit einem neuen Coriolis-Sensor, der Ende 2014 durch einen digitalen Messumformer ergänzt wird.

Coriolis-Geräte haben auch Ihre Wettbewerber im Angebot. Wird die Technik über kurz oder lang genauso me-too, wie es bei Druck- und Temperatursensoren der Fall ist?

Eben damit das nicht passiert, haben wir unsere Sensoren weiterentwickelt und damit die Abdeckung von Applikationen und Genauigkeiten ausgebaut. Und das bei geringerem Druckverlust. In der Kombination mit unserem Angebot für die thermische Massemessung gehen wir ein Stück vorneweg.

Sie sehen sich also als technologisch führend?

Ich bin der Meinung: Wir haben die Nase vorn – aber nur die Nase.

Werden die etablierten Messprinzipien bald ein Nischendasein fristen?

Nein, absolut nicht. Im Segment Wasser/Abwasser beispielsweise werden die Massemesser magnetisch-induktive Durchflussmesser niemals verdrängen. Und auch Wirbeldurchflussmesser nicht, die bei höheren Temperaturen funktionieren. Bei Masse-Durchflussmessern verzeichnen wir jedoch das größte Wachstum. Allgemein wächst der Markt für Durchflussmesser – denken Sie nur einmal an all die Messstellen in den großen Chemieparks. Wo früher Dampf einfach an alle Betriebe verteilt und die Kosten pi mal Daumen umgelegt wurden, rechnet heute der Chemieparkbetreiber mit vielleicht 30 Unternehmen am Standort exakt ab, auf Basis der Messwerte von 60 Durchflussmessern.

Neue Geräte wie den aktuellen Coriolis entwickeln Sie nach SIL. Doch die Kritik an der teuren SIL-Entwicklung häuft sich. Ist es denn wirklich sinnvoll?

Nachdem nun auch die Namur aus Versicherungsgründen neben Betriebsbewährung das SIL-Zertifikat fordert, bleibt uns nichts anderes übrig. Den Nutzen sehen wir noch nicht.

Auch die Namur stellt den sehr stark infrage.

So wie auch viele andere Anwender. Die zahlreichen Alarme in den SIL-Geräten führen dazu, dass die Anlagenverfügbarkeit sinkt. Für Betriebsmessungen sind diese Alarme sinnlos. Nun können kein SIL-Gerät mit ausgeschalteten SIL-relevanten Diagnosen und Alarmen liefern. Also muss der Anwender erst einmal damit auf die Werkbank und die nicht benötigten Alarma selbst abschalten. Weder der Anwender noch wir sind darüber glücklich. Der technologische Sicherheitsstandard in der Chemie war sehr hoch – vor SIL. Ob er durch SIL höher wird, wird zurzeit kontrovers diskutiert.

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