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Robert Kickinger von B&R im Interview „Wir flexibilisieren Materialflüsse“

„Wir ermöglichen mit unserer neuen Technologie die einfache Realisierung von adaptiven Maschinen und Anlagen für die Losgröße 1.“,Robert Kickinger, Manager Mechatronic Technologies bei B&R

Bild: B&R
30.10.2017

Der Trend zu Losgröße 1 erfordert in der Produktion völlig neue Materialflüsse und eine Parallelisierung von Prozessschritten. B&R wird auf der SPS IPC Drives eine Lösung enthüllen, mit der Hersteller für diese Herausforderungen gerüstet sind. Robert Kickinger, Manager Mechatronic Technologies bei B&R, konkretisiert im Gespräch mit A&D, worauf es bei der flexiblen Fertigung ankommt und gibt erste Hinweise auf die neue Lösung.

A&D:

Individualisierte Produkte werden immer mehr Selbstverständlichkeit. Was heißt das für die Produktion?

Kickinger:

Egal ob Consumer oder B2B, der Trend geht stark in Richtung Online Ordering und personalisierte Produkte. Diese zunehmend individualisierten Massenprodukte müssen in Echtzeit produziert werden. Hierfür ist eine neue Produktionsinfrastruktur nötig, die diese Individualisierung auch bei voller Performance und Effizienz bewerkstelligt. Modularität ist eine Grundvoraussetzung für die Losgröße 1. Basis der Modularität ist für B&R insbesondere die Skalierbarkeit. Sowohl Maschinen als auch Anlagen müssen modular skalierbar sein, um höhere Stückzahlen, aber auch individualisierte Losgrößen bei Bedarf zu realisieren.

Das heißt, Maschinen sollen sich durch Einfügen zusätzlicher Segmente einfach erweitern lassen?

Genau. So wird die Maschine produktiver. Und das erhöht bei Anlagenbetreibern die Investitionssicherheit, weil Werkzeugmaschinen und Bearbeitungsstationen einfach mit den Aufträgen und neuen Losgrößen modular mitwachsen.

Aber leidet typischerweise mit der Modularisierung für Losgröße 1 nicht auch der Durchsatz?

Richtig, das ist ein zentrales Problem. Deshalb stellen wir auf der SPS IPC Drives eine neue Lösung vor, die genau das vermeidet. Mit der B&R-Technologie wird Losgröße 1 in der Serienproduktion ohne Stillstandzeiten möglich. Denn Zeitverluste für die Umrüstung müssen minimiert werden. Zusätzlich darf die Produktqualität nicht leiden: Bei voller Geschwindigkeit müssen fehlerhafte Produkte sofort beim Bearbeitungsschritt aussortiert werden. Erfolgt dies erst bei der Endmontage oder Verpackung, entstehen zu hohe Kosten.

Es wird also ein intelligenter Materialfluss benötigt, damit fehlerhafte Produkte aussortiert und defekte Maschinensegmente nicht mehr angefahren werden?

Genau, wir werden eine Technologie zeigen, die gewährleistet, dass bei voller Produktionsgeschwindigkeit und in vielfältiger Form Materialströme gezielt getrennt werden. Des Weiteren ermöglicht die B&R-Lösung, dass die defekten Segmente im Materialfluss nicht mehr berücksichtigt werden. Denken Sie zum Beispiel an eine Befüllstation, wo von vier seriellen oder parallelen Befüllern einer defekt ist oder nicht mehr exakt befüllt. Unser intelligenter Materialfluss lässt diesen einfach aus. So verhindern wir, dass nicht perfekt gefüllte Flaschen produziert und später aussortiert werden müssen.

Vorhin erwähnten Sie eine Umrüstung ohne Zeitverlust. Wie soll das gehen?

Auf der SPS IPC Drives stellen wir eine halbautomatisierte Lösung vor, wo der Umrüstvorgang ohne Zeitverlust in Interaktion mit Menschen stattfindet. Sie können es sich so vorstellen wie eine Auswechselbank beim Eishockey. Da gibt es Werkstückträger, die verrichten im Moment ihre Arbeit. Dann gibt es Werkstückträger, die warten auf ihren Einsatz, sind aber bereits durch manuelle Eingriffe gerüstet. Das Anstoßen der Vorrüstung erfolgt natürlich softwaregesteuert. Beginnt die neue Losgröße, verlassen die aktuellen Werkstückträger den Produktivbereich und fahren in die Auswechselbank für die nächste Vorrüstung. Gleichzeitig kommen die vorbereiteten Werkstückträger zum Einsatz. Unsere Lösung ermöglicht dem Gesamtsystem eine durchgängige Produktion ohne Unterbrechung und zu geringeren Kosten als eine vollautomatisierte Umrüstung.

Erlaubt Ihre neue Produktionstechnologie auch die Parallelisierung von Bearbeitungsschritten, um die Produktion skalieren zu können?

Bei einer klassischen Produktion bestimmt die langsamste Bearbeitungsstation die gesamte Taktzeit. Mit unserer Lösung des intelligenten Materialflusses lassen sich die langsamen Stationen mehrfach anordnen, ohne die dann typischerweise benötigten Pufferzonen davor und danach.

Die Parallelisierung eignet sich doch auch für die Individualisierung der Produkte?

Ja! Wir sind der Meinung, dass sich mit dem gezielten Trennen und dann wieder Zusammenführen von Produktströmen völlig neue Möglichkeiten für die Produktion ergeben. Neben individuellen Bearbeitungsschritten in parallelen Strömen ist durch ein intelligent gesteuertes Zusammenführen der Materialflüsse auch eine individuelle Komposition in der Umverpackung ohne Mehraufwand möglich. Ich habe zum Beispiel Produkt A, B und C aus parallelen Bearbeitungsschritten und führe die Materialflüsse getrieben vom aktuellen Auftragslos gezielt vor der Verpackungsmaschine in definierter Reihenfolge zusammen. Darin sehen wir einen sehr großen Mehrwert für die produzierende Industrie mit Hinblick auf die Individualisierung.

Parallele Produktströme sind in der Fertigungsindustrie jetzt nicht ganz neu. Was macht denn die Einzigartigkeit der neuen B&R-Lösung aus?

Die Einzigartigkeit macht die Geschwindigkeit und Flexibilität aus, bei der es möglich ist, Warenströme zu trennen und wieder zu vereinigen. Die Beibehaltung der vollen Produktionsgeschwindigkeit bei Losgröße 1 und die gleichzeitig hohe Wirtschaftlichkeit hebt unsere Lösung konkret ab.

Eignet sich die B&R-Technologie für Losgröße 1 nur für neue Anlagen oder auch im Brownfield?

Natürlich lässt sich bei neuen Anlagen unser Konzept leichter umsetzen. Aber wir haben auch sehr viel Wert darauf gelegt, die Lösungen möglichst einfach und wirtschaftlich in vorhandene Fertigungsanlagen einsetzen zu können. Der Schlüssel zum Erfolg ist hier unser Baukastensystem.

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