Gehirninspiriertes Computing Werden neuromorphe Siliziumchips demnächst industrietauglich?

Die nichtlineare Wechselwirkung von Magnetwellen führt zu einem charakteristischen Ausgabesignal, das eine Klassifizierung von zeitlichen Mustern erlaubt.

Bild: HZDR / H. Schultheiss
15.11.2022

Für viele technische Systeme ist die automatische Mustererkennung essenziell. Aktuell wird diese Arbeit von Software erledigt, die auf klassischen Computersystemen läuft. Doch die sind energiehungrig und nicht beliebig verkleinerbar. Neuromorphe Chips sollen das ändern. Sie sollen in Zukunft selbstlernend Muster erkennen und das mit einem Bruchteil der Energie, die herkömmliche Systeme dafür benötigen.

„Die Von-Neumann-Architektur klassischer Computer ist nicht dazu geeignet das zu vollbringen, was unser Gehirn leisten kann“, erklärt Dr. Helmut Schultheiß. Er leitet die Emmy Noether-Gruppe „Magnonik“ am Institut für Ionenstrahlphysik und Materialforschung des HZDR.

„Deshalb gibt es die Forschungsfelder des neuromorphen, unkonventionellen oder gehirninspirierten Computing. Hier entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Techniken, die auf physikalischen Effekten basieren und wie unser Gehirn aus Datenströmen verschiedene Informationen herausziehen können.“

Computertechnologie basierend auf dem Gehirn

Eine Möglichkeit dafür ist, das Gehirn in herkömmlicher Computertechnologie nachzubauen. Doch das ist sehr ressourcenaufwändig. Denn unser Gehirn hat etwa 100-Milliarden-Schaltstellen: die Neuronen. Und diese sind mit unzähligen Leitungen, den Synapsen, untereinander verbunden. Das lässt sich kaum auf einem Siliziumchip abbilden.

„Deshalb haben wir einen völlig neuen Ansatz entwickelt“, erläutert Dr. Katrin Schultheiß, die dafür das Projekt NIMFEIA ins Leben gerufen hat. Die Abkürzung steht für Nonlinear Magnons for Reservoir Computing in Reciprocal Space. Ein Thema, an dem sie zusammen mit ihrem Mann bereits seit 2015 forscht. „Wir nutzen mikrometerkleine magnetische Scheiben, in denen wir durch nichtlineare Prozesse magnetische Wellen erzeugen. Damit bilden wir die Schaltstellen im Gehirn nach.“

Dabei haben sie und ihre Forschungsgruppe entdeckt, dass sich durch die Wechselwirkung verschiedener magnetischer Wellen Informationen innerhalb der Scheibe verarbeiten lassen. Und zwar extrem effizient. „Dass sich damit Muster erkennen lassen, haben wir bereits in Laborexperimenten erfolgreich demonstriert“, fasst Helmut Schultheiß zusammen. „Ganz neu für uns ist jetzt, dass unsere Forschung verstärkt in Richtung industrielle Anwendung geht. Denn jetzt wollen wir beweisen, dass unsere Idee auch industriekompatibel ist und dass wir einen Prototyp auf einem Standardwafer der Chipindustrie entwickeln können.“

Team aus Forschungsinsituten und Industriepartnern

Das mit drei Millionen Euro von der EU geförderte Projekt ist auf vier Jahre angelegt. Die Koordination liegt beim HZDR. Unterstützt werden die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen von Kollegen und Kolleginnen der Université Paris-Saclay, des Centre National de la Recherche Scientifique CNRS, der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und der Stichting Radboud Universiteit.

Außerdem gehören mit Infineon Technologies und GlobalFoundries Dresden Module One auch zwei Industriepartner zum Team. „Ganz besonders stolz sind wir darauf, dass wir mit unserer Idee sowohl Infineon als auch GlobalFoundries überzeugen konnten, bei dem Projekt dabei zu sein“, sagt Katrin Schultheiß.

Dass ihr Ansatz großes Anwendungspotenzial hat, da sind sich Katrin und Helmut Schultheiß sicher. Denn dank der effizienten Mustererkennung bei gleichzeitig sehr niedrigem Energieverbrauch ließen sich damit zum Beispiel die Daten von Abstands- und Geschwindigkeitsmessungen direkt an den Sensoren autonomer Fahrzeuge ermitteln.

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