KI im Energiehandel Werden menschliche Energiehändler bald überflüssig?

Werden menschliche Arbeitskräfte im Energiehandel künftig noch gebraucht? Dieser Frage widmet sich Woflgang Eichberger, Co-Founder des österreichischen Software-Entwicklers Visotech.

21.01.2019

Ist Künstliche Intelligenz nur ein Modewort in der Energiebranche, das bald niemanden mehr interessieren wird? Oder ist KI ein ernstzunehmender Trend, der für Umwälzungen in den Energieunternehmen sorgen wird? Wolfgang Eichberger, Co-Founder von Visotech, beurteilt die Auswirkungen von KI für die Energiebranche.

Die für KI benötigten Basistechnologien entwickeln sich rasant weiter. Industriegiganten wie Microsoft, Google und IBM investieren Milliarden in die Weiterentwicklung von KI-Systemen. Oftmals werden Ergebnisse aus dieser Forschung als Open-Source-Projekte zur Verfügung gestellt, was die Verbreitung solcher Systeme weiter beschleunigt. Ein Beispiel dafür ist TensorFlow, ein System für KI-Anwendungen, welches ursprünglich von Google entwickelt wurde und nun von jedermann frei genutzt werden kann.

Aber was können diese Technologien leisten? Kurz gesagt: Vorhersage und Optimierung. Hochgradig granulare Wettervorhersagen – wie beispielsweise die IBM-Deep-Thunder-Lösung mit Reichweiten unter einem Kilometer in 15-Minuten-Intervallen - ermöglichen eine wesentlich genauere Vorhersage der produzierbaren Sonnen- und Windenergie oder auch des Energiebedarfs.

Dies wiederum ermöglicht es, genau die richtige Menge an Energie zu liefern, wann und wo sie benötigt wird. Der Betrieb von Kraftwerken aller Art - ob physisch oder virtuell, traditionell oder erneuerbar - kann optimiert werden, ebenso wie das Netz selbst. Mit Smart-Meter- und KI-gestütztem Demand-Side-Management lässt sich die Nachfrage in Zeiten mit höherem Angebot verschieben. Letztendlich führt dies zu Kosteneinsparungen und erhöhtem Gewinn, verbunden mit höherer Energieeffizienz und geringeren Emissionen. Eine Win-Win-Lösung für alle, oder?

Eine Industrie auf Speed

„Vielen Dank, Sie wurden von einer Künstlichen Intelligenz ersetzt!“ Vor diesem Satz fürchten sich derzeit viele Handelsprofis in der Energiebranche. Zu Recht?

Klar ist: Die Welt der Energieversorgung ändert sich derzeit dramatisch. Noch dazu in einer Geschwindigkeit, die mit einer traditionell eher trägen Branche nicht kompatibel ist. Kein Wunder, denn spätestens mit der rasant fortschreitenden Digitalisierung kommt eine ungewohnt hohe Geschwindigkeit in die Branche. Eine Industrie auf Speed.

Besonders augenscheinlich ist diese Entwicklung bei den europäischen Spotmärkten. Jahr für Jahr werden Rekordzuwächse im kurzfristigen Handel auf EPEX SPOT, NordPool und auch der Erdgasbörse PEGAS verzeichnet. Inzwischen ist der Handel bis wenige Minuten vor Lieferung möglich.

Eine weitere Entwicklung, die sich anhand des Kurzfristhandels ableiten lässt, sind die kontinuierlich sinkenden Preise. Das drückt auf die Margen und hat schon den ein oder anderen Businessplan obsolet gemacht. So werden neu gebaute Kraftwerke mit fossilen Energieträgern gleich wieder stillgelegt, um kein Geld zu verbrennen. Und um noch eines oben drauf zu legen, steigt die Volatilität der Preise. Langfristige Planbarkeit war gestern.

Limitiert intelligent

Glücklicherweise lassen sich immer mehr Prozesse automatisieren. Im Kurzfristhandel erleben Algo-Trading-Systeme gerade einen enormen Aufschwung und sind gut ausgestattet, um die notwendige Geschwindigkeit zu liefern. Was in der Finanzbranche seit Jahrzehnten gang und gäbe ist, erfreut sich mittlerweile auch in der Energiebranche einer großen Nachfrage.

Durch intelligente Systeme, die ganze Prozessketten vom Datenmanagement über den Handel bis hin zum Fahrplanmanagement automatisieren, entstehen plötzlich neue Chancen. Indem sie lernen, wie der Markt funktioniert, können KI-basierte Handelsalgorithmen komplexe Muster entdecken, die ein Mensch niemals sehen würde, und intelligentere, profitablere Trades im Handumdrehen abschließen.

Nun zurück zur einleitenden Frage: Braucht es noch menschliche Intelligenz? Selbstverständlich! Künstliche Intelligenzsysteme sind – wie der Name schon sagt – nur künstlich intelligent. Diese Systeme müssen, mühselig wie ein kleiner Hund, erst trainiert werden. Danach sind sie maximal so intelligent, wie der Trainer es ihnen beigebracht hat.

Entsprechend ist das Wissen der Energiehändler von heute gefragter denn je. Die neue Währung der Energiewirtschaft ist Know-how. Oder warum gibt es noch kein Uber oder AirBnB des Energiehandels? Ganz einfach: Weil die Sache etwas komplizierter ist als eine Taxifunkzentrale oder eine Hotelvermittlung. Energiehändler sind also gut beraten, Ihre Intelligenz zu nutzen, um auch bei rasanter Geschwindigkeit die Nase vorne zu behalten.

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  • Wolfgang Eichberger ist Co-Founder von Visotech.

    Wolfgang Eichberger ist Co-Founder von Visotech.

    Bild: Visotech

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