Fassade Wer im Glashaus sitzt…

Bild: iStockphoto/zoom-zoom
27.05.2016

… hat einen schönen Ausblick, kann aber auch ins Schwitzen geraten. Große Glasfassaden liegen bei Büro- und Gewerbebauten im Trend. Doch energetisch und wirtschaftlich sinnvoll ist ihr Einsatz nur, wenn sie auch Klimafunktionen übernehmen und zur Energieversorgung beitragen.

In der modernen Architektur sind Glasfassaden, die für Helligkeit sorgen und Gebäude repräsentativ wirken lassen, immer gefragter. Prognosen zufolge sollen im Jahr 2021 weltweit 1,33 Milliarden Quadratmeter neue Fassaden verbaut werden. Das entspricht etwa der Fläche des Stadtgebiets von London. Das Problem: Vor allem im Sommer benötigen Gebäude mit Glashülle viel Energie, um die Raumtemperatur erträglich zu halten. Klimaanlagen sind Stromfresser und maßgeblich verantwortlich dafür, dass Gebäude in den Industrieländern rund 40 Prozent aller Kohlendioxid-Emissionen verursachen. Wer mit Glas plant, muss deshalb darauf achten, dass es mit Zusatzfunktionen zur Verschattung und Klimasteuerung ausstattet ist. Dies gilt umso mehr, als die Länder im Rahmen ihrer Klimaschutzziele immer weniger Emissionen erlauben. So haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union darauf verständigt, dass Neubauten ab 2020 fast keine Energie mehr für Heizung, Warmwasser, Lüftung und Kühlung benötigen dürfen und den restlichen Energiebedarf selbst decken.

Multifunktionale Fassaden können Abhilfe schaffen. „Viele Elemente wie Steuerung oder Sonnenschutz waren in der Vergangenheit schon integriert. In der Zukunft werden weitere Funktionen dazukommen“, sagt der Stuttgarter Architekt Stefan Behnisch. Dazu zählt er Beleuchtungselemente, Wärmetauscher zur Produktion von Solarwärme sowie Elemente der mechanischen Be- und Entlüftung.

Sommerhitze bleibt draußen

Bisher sind derartige Hüllsysteme kein Standard, weil Fassaden in einzelnen Komponenten betrachtet und die Bauteile von verschiedenen Herstellern entwickelt werden. Planer müssen sie deshalb aufwendig selbst miteinander kombinieren. Doch das könnte sich bald ändern, denn Industrie und Forschung fokussieren sich inzwischen stärker auf die Entwicklung integrierter Lösungen. „Fassaden haben ein konstantes physikalisches Verhalten, obwohl sich die Bedingungen außen wie innen ständig ändern“, sagt Bauingenieur und Architekt Werner Sobek, Leiter des Instituts für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren der Universität Stuttgart. „Man würde sich also eigentlich wünschen, dass man die Fassade schalten und an das, was außen und innen passiert, anpassen kann.“

Einige Bauprojekte wie das 67 Meter hohe, 16-geschossige Automation Center von Festo bei Esslingen liefern bereits einen Vorgeschmack auf die künftige Architektur. Seine Glasfassade mit einer Gesamtfläche von 8500 Quadratmetern ist als Abluftfassade konzipiert, bei der die Luft zwischen dem inneren Blendschutz, den Aluminiumbauteilen der Elementfassade und der Verglasung permanent abgesaugt wird. Dadurch kann Sommerhitze gar nicht bis in die Innenräume vordringen – der Kühlbedarf sinkt.

Für zusätzlichen Licht- und Wärmeschutz sorgt im Festo-Hochhaus sogenanntes elektrochromes Glas, das sich nach Bedarf dimmen lässt und Sonnenstrahlen abblocken kann. Insgesamt 441 sogenannte Sandwich-Scheiben mit einer Gesamtfläche von 1000 Quadratmetern wurden installiert. Ihre Innenseite ist mit einer hauchdünnen Schicht aus Wolframoxid-Nanopartikeln bedampft.

Zukunftstrend schaltbares Glas

Wird eine elektrische Spannung angelegt, färbt sie sich blau und reduziert so die Lichtdurchlässigkeit. Das geschieht im Automation Center über die Gebäudeleittechnik automatisch, sobald Sensoren das Signal dazu geben, kann aber auch manuell per Knopfdruck oder Touchscreen erfolgen. Die Schaltzeit von der hellsten bis zur intensivsten Färbung gibt der ostdeutsche Hersteller Econtrol-Glas mit 20 bis 25 Minuten an. Im gedimmten Zustand werde nur noch zwölf Prozent der Strahlung durchgelassen, der Rest reflektiere an den Partikeln.

Der Wissenschafts- und Technikkonzern Merck verfolgt eine andere Variante von schaltbarem Glas. Gemeinsam mit Industriepartnern erprobt er Scheiben, die schneller auf Lichtveränderungen reagieren sollen als vergleichbare schaltbare Glaslösungen. Dazu verwendet er eine Mischung aus Flüssigkristallen, die auch in Displays von Fernsehern oder Smartphones eingesetzt werden. „Damit lässt sich die Intensität des einfallenden Tageslichts in Sekundenschnelle anpassen und eine höhere Farbenvielfalt erzielen“, sagt Martin Zitto, Business Development Manager bei Merck. Die technische Basis unterscheidet sich von anderen schaltbaren Gläsern, die Funktionsweise von Flüssigkristallglas ist ähnlich: Die Mischung wird zwischen zwei verklebte Glasscheiben gefüllt. Durch Anlegen einer Spannung können die Kristalle in verschiedene Anordnungen gebracht werden. Dabei fällt mehr oder weniger Licht durch die Schicht – die Fenster sind entweder durchsichtig oder undurchsichtig.

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  • Das Automation Center von Festo hat eine Abluftfassade. So kann Sommerhitze nicht mehr bis in die Innenräume vordringen.

    Das Automation Center von Festo hat eine Abluftfassade. So kann Sommerhitze nicht mehr bis in die Innenräume vordringen.

    Bild: Festo

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